Welche Hochdruckmittel als "erste Wahl" gelten ob allein Betablocker und Diuretika oder auch die neueren Kalziumantagonisten,
ACE-Hemmer und Alphablocker wird seit Jahren international widersprüchlich beurteilt. Die Tabelle spiegelt den Meinungsstreit der Experten
wider.1 Die Deutsche Liga zur Bekämpfung des hohen Blutdrucks stellt in ihren jüngsten Empfehlungen alle Wirkklassen an erste Stelle. Für
Patienten mit sogenannter "milder Hypertonie", hierzulande etwa zwei Drittel aller Hochdruckkranken, gelten jedoch die Liga-Empfehlungen aus dem Jahr
1991, in denen nur Betablocker und Diuretika auf der ersten medikamentösen Behandlungsstufe rangieren. In Großbritannien herrscht 1993 unter den
Experten ein offener "Non-Consensus". Die Empfehlungen der Briten stellen klar, daß die Experten in dieser Frage uneinig sind. In den USA wurden
1989 alle Wirkstoffgruppen gleichermaßen empfohlen. 1993 stehen nur noch Betablocker und Diuretika an erster Stelle.
Nur für Betablocker und Diuretika ist bislang belegt, daß sie Häufigkeit von Herz-Kreislauferkrankungen und Sterblichkeit von
Hochdruckpatienten senken (vgl. a-t 9 [1991], 79).2 Dies gilt nach neueren Studien auch für über
60jährige.3,4,5 Für Kalziumantagonisten, Alphablocker und ACE-Hemmer fehlen derartige Studien, so daß nicht beurteilbar ist, ob diese
überhaupt die Sterblichkeit oder die Zahl der Herzinfarkte und Schlaganfälle senken (vgl. a-t 1 [1993], 17).
Die Uneinigkeit der Experten lenkt die Diskussion auf Nebeneffekte der antihypertensiven Therapie, bei denen neuere Mittel den bewährten überlegen
sein sollen.
Zwei 1993 veröffentlichte Langzeitstudien vergleichen erstmals prospektiv die Begleiteffekte verschiedener Antihypertonika zur Behandlung der milden
Hypertonie.6,7 In der Treatment of Mild Hypertension Study 6 erhielten über 900 Patienten nach diätetischer Beratung entweder den
Betablocker Acebutolol (PRENT u.a.), das Diuretikum Chlortalidon (HYGROTON u.a.), den Kalziumantagonisten Amlodipin (USA, Schweiz: NORVASC), den
Alphablocker Doxazosin (CARDULAR, DIBLOCIN), den ACE-Hemmer Enalapril (XANEF u.a.) oder Plazebo. Die Gewichtsabnahme ist im Studienzeitraum von
über vier Jahren in allen Gruppen gleich. Chlortalidon senkt den systolischen Blutdruck durchschnittlich am stärksten (-18 mm Hg), der Alphablocker am
geringsten (-14 mm Hg). Die echokardiographisch ermittelte Masse der linken Herzkammer nimmt ebenfalls im Mittel unter Chlortalidon am meisten ab (-34 g), unter
Enalapril am wenigsten (-23 g). Ischämische ST-Strecken-Veränderungen bilden sich in der Acebutolol-Gruppe am ausgeprägtesten zurück. Nur
Betablocker und Diuretikum verbessern Parameter der Lebensqualität, die übrigen Wirkstoffe unterscheiden sich hierin nicht von Plazebo.
Über Störwirkungen wird unter Plazebo deutlich häufiger (!) geklagt als unter Verum. So leiden 16% der Männer, die das Scheinmedikament
einnehmen, unter Potenzproblemen gegenüber 13% in den Behandlungsgruppen. Der Betablocker beeinträchtigt die Potenz am wenigsten (10%), das
Diuretikum (17%) am stärksten. Mit geringfügigen Unterschieden nehmen in allen Gruppen parallel zum Gewichtsverlust Gesamtcholesterin, LDL-
Cholesterin und Triglyzeride ab, das HDL-Cholesterin zu. Den größten Effekt auf Blutlipide haben Alpha- und Betablocker. Das Thiazid-Diuretikum
läßt die Serumharnsäure ansteigen und das Serumkalium abfallen, ohne daß dies mit einer Zunahme ventrikulärer Extrasystolen im 24-
Stunden-EKG oder der Blutzuckerwerte einhergeht.
In der Veterans Affairs Cooperative Study 7 werden das Diuretikum Hydrochlorothiazid (ESIDRIX u.a.), der Betablocker Atenolol (TENORMIN u.a.), der
ACE-Hemmer Captopril (LOPIRIN, TENSOBON), der zentrale Alpharezeptorenagonist Clonidin (CATAPRESAN u.a.), der Kalziumantagonist Diltiazem (DILZEM u.a.),
der Alphablocker Prazosin (MINIPRESS u.a.) und Plazebo verglichen. Der Anstieg des Nüchtern-Blutzuckers in der Diuretikum-Gruppe, der in den meisten
Studien mit einem Abfall des Serumkaliums einhergeht, unterstreicht die Notwendigkeit einer niedrigen Dosierung von Thiazid-Diuretika (vgl. a-t 7 [1990], 66),8 damit die Kombination mit einem kaliumsparenden Diuretikum seltener erforderlich wird. Der
anfängliche Anstieg des Serumcholesterins unter Hydrochlorothiazid läßt sich am Ende der Studie nicht mehr nachweisen. Der diastolische Blutdruck
sinkt am stärksten unter Diltiazem, am wenigsten unter Prazosin. Nur Clonidin und Prazosin weisen mehr unerwünschte Wirkungen auf als Plazebo. Das
Diuretikum ist am verträglichsten.
FAZIT: Diuretika wie Hydrochlorothiazid (ESIDRIX u.a.) und kardioselektive Betablocker wie Atenolol (TENORMIN u.a.) senken Häufigkeit von Herz-
Kreislauferkrankungen und Sterblichkeit von Hochdruckpatienten. In niedriger Dosierung und bei Ausgleich des thiazidbedingten Kaliumverlusts ist ihr
Nebenwirkungsprofil gleich oder sogar besser als das der neueren, teureren (vgl. Kasten) und in kontrollierten Langzeitstudien noch nicht ausreichend untersuchten
Antihypertensiva.
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