Die Knochen befinden sich in einem ständig ablaufenden physiologischen Umbauprozeß. Im Fließgleichgewicht absorbieren Osteoklasten
die alte Substanz, während Osteoblasten neuen Knochen bilden.1 Erkrankungen mit erhöhtem Umsatz wie Morbus PAGET, osteolytische
Tumorerkrankungen mit oder ohne Hyperkalzämie und Osteoporose, lassen sich seit einigen Jahren mit Bisphosphonaten behandeln. Wirkstoffe dieser Gruppe
wie Clodronat (OSTAC, BONEFOS) und Etidronat (DIPHOS, ETIDRONAT JENAPHARM) leiten sich vom Pyrophosphat ab, einem körpereigenen Stoff, der den
Knochenabbau hemmt (vgl. a-t 1 [1983], 2).
Die gegenüber Stoffwechseleinflüssen stabilen synthetischen Phosphorverbindungen "imprägnieren" den Knochen, indem sie mit dem
Hydroxylapatit des Knochens Komplexverbindungen eingehen und das Auflösen der Kristallstruktur behindern. Zudem sollen sie die Aktivität der
Osteoklasten direkt hemmen. Clodronat blockiert den Knochenabbau etwa zehn- und Pamidronat (AREDIA) hundertfach stärker als Etidronat.
EIGENSCHAFTEN: Bisphosphonate können sowohl parenteral als auch per os angewendet werden. Nach Einnahme per os gehen zwischen 1% und
10% der Dosis ins Blut über. Die gleichzeitige Aufnahme insbesondere kalziumreicher Nahrung beeinträchtigt die Absorption. Die Mittel sollen daher im
Abstand von zwei Stunden zu den Mahlzeiten und nicht mit Milch oder anderen kalziumreichen Flüssigkeiten eingenommen werden. 20% bis 60% der
aufgenommenen Dosis gelangen in das Skelett, der Rest wird rasch über die Nieren ausgeschieden. Die Serumhalbwertszeit liegt im Bereich weniger Minuten.
Da Bisphosphonate jedoch Monate bis Jahre, evtl. lebenslang im Knochen bleiben und nicht verstoffwechselt werden, ist auch bei zeitlich befristeter Anwendung mit
Langzeiteffekten zu rechnen.
STÖRWIRKUNGEN: Zu rasche Infusionen können akutes Nierenversagen verursachen, vermutlich durch Bildung unlöslichen Kalzium-
Bisphosphonats. Bisphosphonate sind daher langsam über mindestens zwei Stunden zu infundieren. Nach Einnahme per os kommen
Übelkeit und Durchfall häufig vor. Manche Patienten bemerken einen metallischen Geschmack. Pamidronat löst bei bis zu 50% der Anwender ein
etwa drei Tage anhaltendes Fieber mit Temperaturerhöhung um 1° bis 2°C aus. Lymphopenien im peripheren Blut und Anstieg des C-reaktiven
Proteins sind ebenfalls als Akute-Phase-Reaktion anzusehen.
Etidronat kann bei langfristiger Anwendung bereits in niedrigen Tagesdosen von 5 bis 8 mg/kg Körpergewicht (KG) die Mineralisation des Skeletts stören.2
Auch unter Pamidronat finden sich feingeweblich Beeinträchtigungen der Kalziumeinlagerung.
MORBUS PAGET: Nach Untersuchungen an Verstorbenen wird die Häufigkeit von neu aufgetretenem M. PAGET bei über 40jährigen auf
3% jährlich geschätzt. Mit steigendem Alter erkranken mehr Personen an der chronisch fortschreitenden Knochenverdichtung und -krümmung.
Erhöhter Knochenabbau durch Osteoklasten kennzeichnet die Skeletterkrankung. Das Knochengewebe wird durch fibröses Bindegewebe, in
späteren Stadien durch irregulären Balkenknochen ersetzt. Die Krankheitsaktivität läßt sich an der beträchtlich erhöhten
alkalischen Phosphatase im Serum abschätzen, die sich auch zur Verlaufskontrolle unter der Therapie eignet.
Oft fehlen Beschwerden. Die Diagnose wird dann zufällig im Rahmen von Röntgenuntersuchungen gestellt. Manche Patienten klagen jedoch über
Rücken- und Beinschmerzen. Behandlungsbedarf besteht bei starken Schmerzen, Herzinsuffizienz (verursacht durch erhöhtes Herzzeitvolumen),
Hyperkalzämie, wiederholten Frakturen und ausgeprägter Hyperkalzurie mit oder ohne Nierensteinleiden.
Im Vergleich zum ebenfalls verwendeten Calcitonin (KARIL u.a.) sprechen mehr Erkrankte auf Bisphosphonate an. Die Besserung ist ausgeprägter und
dauerhafter. Die alkalische Phosphatase sinkt um 40% bis 60%. Remissionen können nach Absetzen bis zu zwei Jahre anhalten.
Von dem unter den Bisphosphonaten am besten untersuchten Etidronat werden sechs Monate lang täglich 5 bis 10 mg/kg KG per os eingenommen. Schon in
diesem Dosisbereich können Knochenbrüche ohne vorausgehendes Trauma auftreten.3 Das Risiko steigt unter höherer Dosierung an. Bei
Nichtansprechen kann die Kombination mit Calcitonin Erfolg haben.
Stärker wirkende Bisphosphonate wie Pamidronat oder Tiludronat (Schweiz: SKELID) werden derzeit geprüft. Sie sind nicht zur Behandlung des M.
PAGET zugelassen. Unter intravenöser Therapie mit Pamidronat lassen sich feingeweblich Mineralisationsstörungen nachweisen.4 Bis die
klinische Bedeutung dieser Befunde geklärt ist, gilt Zurückhaltung beim Gebrauch der potenteren Bisphosphonate.
HYPERKALZÄMIE BEI TUMORERKRANKUNGEN: Eine klinisch behandlungsbedürftige Hyperkalzämie beruht am häufigsten auf
bösartigen Tumoren. Seltener liegen den erhöhten Serumkalziumspiegeln primärer Hyperparathyreoidismus oder Medikamente wie Vitamin D
(VIGANTOL u.a.) zugrunde.
Bösartige Tumorerkrankungen verursachen Hyperkalzämien durch direkte Osteolyse (z.B. beim Prostatakarzinom) sowie durch Bildung
parathormonverwandter (-related) Peptide (PTH rP). Etwa die Hälfte der betroffenen Patienten leidet unter den Symptomen des Hyperkalzämiesyndroms:
Übelkeit, Erbrechen, Herzrhythmusstörungen, Beschwerden des zentralen Nervensystems, Polyurie und Nierenversagen.
Neben dem Ausgleich der Elektrolyt- und Flüssigkeitsbilanz stehen Maßnahmen zur Senkung des erhöhten Serumkalziums im Vordergrund. Mit
Bisphosphonaten läßt sich der Kalziumspiegel rasch und anhaltend herabsetzen. Die Phosphorverbindungen beeinflussen allerdings nur die osteoklastisch
bedingte Knochenzerstörung. Daher wirken sie bei Hyperkalzämien, die vorwiegend durch parathormonverwandte Peptide entstehen, schwächer
oder gar nicht.
Die symptomatische Hyperkalzämie geht häufig mit Erbrechen ein. Anfangs wird daher die parenterale Gabe bevorzugt. Gegebenenfalls schließt sich
eine Dauertherapie per os an (täglich 1600 mg Clodronat über sechs Monate). Binnen einer Woche lassen sich normale Blutkalziumwerte
erreichen.
Die wirkstärkeren Bisphosphonate Pamidronat und Clodronat sind dem Etidronat bei Hyperkalzämie überlegen. Etidronat wirkt auch in hohen Dosen
nicht immer zufriedenstellend.5 In klinischen Studien werden unterschiedliche Dosierungen verwendet. Wahrscheinlich hängt die Wirksamkeit von der
Höhe der Gesamtdosis ab. Je nach Höhe der Kalziumwerte liegt die Dosis zwischen 15 mg und 90 mg Pamidronat bei einmaliger intravenöser
Infusion. Clodronat kann mit jeweils 300 mg/Tag über sieben bis zehn Tage oder als Einmaldosis von 1,5 g infundiert werden. Bei mangelndem Ansprechen
oder erneutem Anstieg der Kalziumwerte wird die Behandlung wiederholt.
Bei Knochenmetastasen ohne Hyperkalzämie sollen Bisphosphonate den Abbau von Knochengewebe verzögern, indem sie Osteoklasten
inaktivieren. Frauen mit Mammakarzinom und Knochenmetastasen, die Pamidronat einnehmen, haben deutlich weniger Hyperkalzämien, Knochenschmerzen
und drohende pathologische Frakturen als unbehandelte.6 Die Überlebenszeit bleibt offensichtlich unbeeinflußt.
Bisphosphonate wirken nicht "antitumorös". Sie lindern Beschwerden, ohne die ggfs. angezeigte, das Tumorwachstum hemmende Behandlung zu
ersetzen.
OSTEOPOROSE: In zwei plazebokontrollierten Studien wird der Einfluß zyklischer Etidronat-Regime auf die Osteoporose nach Eintritt der Wechseljahre
geprüft (vgl. a-t 1 [1991], 3).7,8 Der 14tägigen Einnahme von täglich 400 mg folgte eine 11-
bzw. 13wöchige Pause. Dieser Zyklus wurde acht- bzw. zehnmal wiederholt. Ein Teil der Frauen erhielt vor Beginn der Etidronateinnahme drei Tage lang
Phosphat zur "Aktivierung" des Knochenumbaus.8 Alle nahmen zusätzlich Kalzium ein. In den Verumgruppen stieg die Knochendichte an
der Wirbelsäule im Mittel um 4,2%8 bzw. 5,3%.7 Phosphat beeinflußte den Verlauf nicht.
Ob jedoch das eigentliche Therapieziel die Verringerung der Frakturrate erreicht wird, steht dahin.1 Dies gilt auch für die neueren
Bisphosphonate. Etidronat senkt zwar in beiden Studien die Zahl der Wirbelbrüche, für eine Absicherung dieses Befundes sind die Patientenzahlen jedoch
zu klein. Da Bisphosphonate die Knochenbrüchigkeit durch Mineralisationsstörungen und verringerten Knochenanbau theoretisch auch erhöhen
können,9 könnte die durch sie verursachte Schädigung ihren Nutzen überwiegen. Der Vorbehalt erstreckt sich ebenso auf die
steroidinduzierte Osteoporose, selbst wenn die Knochendichte unter der Therapie zunimmt (vgl. a-t 12 [1990],
103).10
Von den etablierten Strategien zur Vorbeugung und Behandlung der postmenopausalen Osteoporose sollte beim gegenwärtigen Kenntnisstand nicht
abgewichen werden (körperliche Aktivität, ausreichende Kalziumaufnahme (vgl. a-t 1 [1995], 5),
Östrogenersatz, ggf. Calcitonin; a-t 12 [1990], 103 und 1 [1991],
3). Die in Deutschland erhältlichen Bisphosphonate sind nicht zur Behandlung der Osteoporose zugelassen.
FAZIT: Bisphosphonate hemmen den Knochenabbau. Erkrankungen, die mit erhöhtem Knochenumsatz einhergehen, lassen sich günstig
beeinflussen. Etidronat (DIPHOS, ETIDRONAT JENAPHARM) ist aufgrund der umfangreichen Erprobung nach wie vor Mittel der Wahl beim
behandlungsbedürftigen Morbus PAGET.
Die wirkstärkeren Bisphosphonate Clodronat (OSTAC, BONEFOS) und Pamidronat (AREDIA) empfehlen sich bei tumorbedingter Hyperkalzämie. Mit
Therapieversagen ist bei Parathormonbildung außerhalb der Nebenschilddrüse zu rechnen.
Bisphosphonate sind in Deutschland nicht zur Behandlung der Osteoporose zugelassen. Zwar finden sich in Knochendichtemessungen positive Resultate. Ob
jedoch die Frakturhäufigkeit günstig beeinflußt wird, bleibt offen.
|