Wegen der Komplikationsdichte, insbesondere spät auftretender allergoider Reaktionen der Haut, nimmt die Schering AG Anfang Oktober die
intravasal anzuwendende Zubereitung des nichtionischen dimeren Röntgenkontrastmittels Iotrolan (ISOVIST 280) vom Markt. Aus Deutschland gingen dem
Hersteller 261 Berichte über Spätreaktionen zu, darunter 23 mit schwerwiegendem, zum Teil lebensbedrohlichem Verlauf. Ausgehend von 200.000
Untersuchungen errechnet Schering großzügig abgerundet eine schwerwiegende Schädigung auf 10.000 Anwendungen (Wir kommen ohne
Berücksichtigung einer Dunkelziffer auf 1 : 8.770, Red.).1
Über unseren Japan-Korrespondenten erfahren wir von 486 Personen mit Unverträglichkeiten auf ISOVIST 280 einschließlich Hautreaktionen und
Blutdruckabfall, die bei drei Viertel der Betroffenen mit einer Latenzzeit bis zu einer Woche einsetzen. Dies entspricht bei 100.000 Anwendungen in Japan einer
Spätreaktion pro 270 Personen (ohne Dunkelziffer). Bei 102 Geschädigten normalisiert sich die Atemfunktion erst nach mehreren Tagen. 21 Personen
erleiden schwere Schockzustände. Ein 51jähriger mit fortgeschrittenem Hirntumor stirbt 8 Tage nach der Kontrastdarstellung mit ISOVIST
280.2,3
Die Stunden und Tage verzögert auftretenden zellvermittelten immuntoxischen Reaktionen gefährden besonders ambulante Patienten, die sich z.B. vom
niedergelassenen Urologen röntgen lassen (vgl. a-t 4 [1995], 47). Bei Notfallaufnahmen dürfte ein
Zusammenhang von den behandelnden Klinikärzten nicht erkannt werden, da Informationen fehlen. Nationale Datenbanken enthalten keine Angaben zum
Zeitpunkt des Einsetzens spontan gemeldeter Störwirkungen, weil sie nicht erfaßt werden oder Angaben in den Berichten fehlen.
Die Häufung später Unverträglichkeiten sei "nicht zu erwarten" gewesen, behauptet Schering.4 Die Wiener Tochterfirma, die
ISOVIST 280 erst im September 1995 auf den Markt gebracht hat, zeigt sich von der Entscheidung der Rücknahme "überrascht",5
obwohl der Konzern seit Frühjahr 1992 die Gefahr aus Mitteilungen japanischer Mitarbeiter an die dortige Gesundheitsbehörde KOSEISHU kannte. Zu
diesem Zeitpunkt vermerkt das klinische Prüfprotokoll der Schering Nippon die auffällige Häufung verzögerter Reaktionen nach Iotrolan in der
Urographie und Angiographie.6 Die Autoren des Berichts forderten den sofortigen Stop aller laufenden Studien und retrospektive Untersuchung auf
späte Unverträglichkeiten in den beteiligten Studienzentren. Bei einer Störwirkungsrate in einzelnen Zentren bis zu 30% sei Iotrolan zumindest
für Hochdosisindikationen nicht geeignet.
Entweder hat Schering diese Kenntnisse der deutschen Zulassungsbehörde entgegen der gesetzlichen Verpflichtung nicht zugeleitet, oder das Berliner
Arzneimittelinstitut hat die Gefährdung als irrelevant interpretiert. Sonst hätte eine Zulassung für die intravasale Anwendung von ISOVIST 280 nur mit
Auflage einer mindestens 48stündigen klinischen Überwachung unter Gewährleistung der Notfallversorgung erteilt werden dürfen.
Bis Anfang des Jahres war Iotrolan (ISOVIST 240, ISOVIST 300) in Deutschland nur für die Myelographie und zur Darstellung von Körperhöhlen
zugelassen, seit Januar als ISOVIST 280 auch für die Angio- und Urographie sowie zur Anhebung der Dichte in der Computertomographie. Für die
intravasalen Anwendungsbereiche bieten nichtionische Kontrastmittel hinsichtlich schwerer und lebensbedrohlicher Störwirkungen keine nachgewiesenen
Vorteile gegenüber ionischen, kosten aber bis zu sechsfach mehr (a-t 2 [1995], 10). Die neueren Diagnostika
sind dort erwünscht, wo der höhere osmotische Druck ionischer Abkömmlinge zu lokalen Reizerscheinungen führt wie etwa zu iatrogenen
Thrombosen in der Phlebographie. Auch für Personen mit schweren kardiopulmonalen Erkrankungen werden nichtionische Kontrastmittel zur Angiographie
empfohlen.
In der Ausscheidungsurographie sind nichtionische Konrastmittel eher von Nachteil, wenn der Patient eine beginnende, klinisch noch nicht auffällige
Niereninsuffizienz entwickelt oder ein kritischer Gesamtzustand sekundäres Nierenversagen auslösen könnte.7 Während ionische
Konrastmittel aufgrund ihrer diuretischen Wirkung noch eine gute Darstellung ermöglichen und sich auf die Nierenfunktion eher günstig auswirken,
können nichtionische Mittel in das Zellinnere der Tubulusepithelien gelangen (vakuolige Degeneration) und durch toxische Einflüsse akutes
Nierenversagen mit möglicher Dialysepflicht begünstigen.
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