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                            a-t 1998; Nr. 10: 87-8nächster Artikel
Im Blickpunkt

HAUPTSACHE TEUER?
VITAMIN-K-PROPHYLAXE IN DEUTSCHLAND

Intramuskulär gespritzt schützt Vitamin K (KONAKION) Säuglinge zuverlässig vor späten, nach der ersten Lebenswoche einsetzenden Mangelblutungen (Gipfel im Alter von zwei bis sechs Wochen). Ohne Vorbeugung kommen die Blutungen bei 4 bis 10 von 100.000 lebendgeborenen Kindern vor. Jedes zweite dieser Kinder erleidet eine Hirnblutung, eines von dreien stirbt oder bleibt schwer behindert.

Seit Bekanntwerden des Krebsverdachts in Verbindung mit Vitamin K i.m. (siehe Kasten) werden in vielen Ländern orale Prophylaxe-Regime empfohlen. Unter der zunächst in Deutschland sowie in Australien üblichen dreimaligen oralen Dosis von 1 mg (KONAKION N) finden sich 1,8 späte Vitamin-K- Mangelblutungen pro 100.000 Neugeborene. Zuverlässig beugen dagegen offenbar das dänische und das niederländische Schema mit häufigeren Einzeldosierungen vor (siehe Tabelle). Bei guter Compliance sind bisher keine Prophylaxeversager bekannt.1,2

Auf Grund der Versagerraten wurde in Deutschland 1994 die Dosis auf dreimal 2 mg per os verdoppelt, in Australien wieder auf die i.m.-Injektion umgestellt. Späte Blutungen trotz vollständiger Vorbeugung nahmen daraufhin hierzulande ab, kommen aber noch vor: 1995 und 1996 bei 0,5 bzw. 0,4 pro 100.000 Lebendgeborenen.3

Seit 1996 bietet Roche Vitamin K zusätzlich als Mischmizellen-Zubereitung (KONAKION MM) an, in dem das wasserunlösliche Vitamin durch Einbettung in Lezithin und Gallensäuren in Lösung gebracht wird. Die Dosierung beträgt ebenfalls dreimal 2 mg. Für die älteren KONAKION N Tropfen hat die Firma jetzt die Indikation Blutungsprophylaxe bei Neugeborenen zurückgezogen.

VITAMIN K I.M. UNTER KREBSVERDACHT

Anfang der 90er Jahre erweckten zwei Fall-Kontroll-Studien den Verdacht, dass die Prophylaxe mit Vitamin K i.m. im Neugeborenenalter das Krebsrisiko der Kinder verdoppeln könnte. Acht nachfolgende Untersuchungen lassen keinen signifikanten Zusammenhang zwischen i.m.-Gabe und Krebs erkennen (siehe auch a-t 10 [1993], 99).4 Schein-Signifikanzen sind ein Problem von Fall-Kontroll-Studien, andererseits sind die Studien jedoch zum Teil zu klein, um ein erhöhtes Risiko ausschließen zu können.

Nach einer aktuellen retrospektiven Fall-Kontrollstudie verdoppelt die i.m.-Prophylaxe das Risiko Ein- bis Sechsjähriger, an akuter lymphoblastischer Leukämie zu erkranken. Ein Zusammenhang mit anderen Karzinomen ergibt sich nicht. Beim gegenwärtigen Kenntnisstand lässt sich demnach ein erhöhtes Leukämierisiko durch intramuskuläres Vitamin K nicht mit Sicherheit ausschließen. Eine Metaanalyse der europäischen Studien soll weiteren Aufschluss bringen.5

Das Vitamin soll aus dem Mischmizellen-Präparat besser absorbiert werden als aus der Tropfenzubereitung. Dies wäre vor allem für Kinder mit Störung der Fettabsorption bei Cholestase von Bedeutung, bei denen die orale Prophylaxe früher besonders häufig versagt hat und deren Erkrankung in den ersten Lebenswochen oft noch nicht erkannt ist.4 Es liegt aber nur eine Prüfung zur Absorption mit drei an Cholestase erkrankten Kindern vor.6 Die Prophylaxe mit zweimal 2 mg der MM-Zubereitung, die in der Schweiz seit 1995 praktiziert wird, hat die Versagerrate dort gegenüber der Vorbeugung mit ein- bis zweimal 2 mg der Tropfenlösung zwar gesenkt. Sie liegt aber mit 1,2 (bzw. 2,4; siehe Tabelle) pro 100.000 nach wie vor hoch. Zwei der drei betroffenen Kinder mit Mangelblutung trotz KONAKION MM hatten eine Gallengangsatresie.7 Ob das Mischmizellenpräparat in der hierzulande empfohlenen Dosierung besser schützt als die alte Tropfenzubereitung, bleibt somit offen.

Die Ernährungskommission der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde hüllt sich in Schweigen. Eine offizielle Empfehlung von KONAKION MM gibt es nicht. Wir haben nachgefragt, 1. warum man in Deutschland nicht dem dänischen Beispiel folgt und 2. wie die Ernährungskommission die Prophylaxe mit KONAKION MM bewertet. Antwort:

  • zu 1: "Die Zahl der dänischen Kinder (mehr als 160.000 [d. Red.]) [ist] noch zu gering..., um definitiv zu sagen, dass das Regime in Dänemark besser ist als in der Bundesrepublik Deutschland".8


  • zu 2: "Was die neue Präparation mit Mischmizellen des Präparates KONAKION angeht, so geben wir Ihnen Recht, dass keine breiten Daten vorhanden sind, die diese Anwendung wesentlich stützen... Insgesamt liegen dafür noch zu wenig Daten vor.8... Wir gehen davon aus, dass, wenn die neue Lösung im Handel ist, nach einiger Zeit genügend Daten zur Verfügung stehen, die hoffentlich zeigen, dass die KONAKION-MM- Lösung wirksamer ist als die alte."9

KONAKION MM verteuert die Vorbeugung um das Neunfache. 100 Dosierungen zu 2 mg kosten als KONAKION MM 274,80 DM statt 31,41 DM als KONAKION N.

Die Indikation der alten Tropfenzubereitung umfasst weiterhin die "Prophylaxe von Vitamin-K-Mangelzuständen", ohne dass Neugeborene von der Anwendung ausgeschlossen sind. Formale Gründe sprechen daher nicht gegen die weitere Verwendung dieser preiswerten Tropfen.

Für deutsche Kinderärzte ist guter Rat teuer. Die Ernährungskommission versagt unseres Erachtens kläglich. Wir plädieren für eine bundesweite Einführung des dänischen Regimes. Dies lässt sich wohl nur durch Richtungsänderung innerhalb der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde und Neubesetzung der Fachkommission erreichen.


© 1998 arznei-telegramm

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