PNEUMOKOKKEN-IMPFUNG FÜR ALLE ÜBER 60? |
Die ständige Impfkommission (STIKO) hat bekanntlich ihre Impfempfehlungen für die Pneumokokkenimpfung dahingehend
geändert, dass nunmehr analog zur Influenza-Impfung diese für alle Personen ab 60 Jahren empfohlen wird. Der Kostenschub ist absehbar... Meines
Wissens sind die Resistenzen von Streptococcus pneumoniae in Deutschland nicht besonders verbreitet, mithin also Infektionen durch Standardantibiotika
beherrschbar. Die Aussagekraft der einzigen randomisierten Untersuchung mit positivem Ergebnis, einer französischen Studie mit 1.700 älteren Patienten,4 ist wegen methodischer Mängel wie offenes Design und Nichtbehandlung statt Plazebo in der Kontrollgruppe beschränkt. Eine einfach-blinde finnische Prüfung mit 1.500 über 60-jährigen, die erst 12 Jahre nach Abschluss veröffentlicht wird, findet einen Nutzen nur in der Untergruppe derjenigen mit erhöhtem Pneumonierisiko, nicht aber in der Gesamtgruppe.5 Nicht dokumentierte Impfungen der Hochrisikopatienten gegen Virusgrippe (BEGRIVAC u.a.) außerhalb des Studienprotokolls könnten das Ergebnis zu Gunsten der Pneumokokkenimmunisierung verzerrt haben. Befürworter der Impfung berufen sich auf retrospektive Fallkontrollstudien.6 Nach der größten dieser Untersuchungen nehmen Bakteriämien mit den in der Vakzine enthaltenen Serotypen bei gesunden Älteren um 40% ab, wobei der Nutzen mit zunehmendem Alter geringer wird und weniger lange anhält. Selbst wenn man das epidemiologische Design als hinreichend valide akzeptiert, würde der Schutzeffekt insgesamt nur 28% betragen, da der Impfstoff etwa 70% der aktuellen Serotypen abdeckt. Die Datenlage aus Interventionsstudien spricht jedoch dafür, dass die Breitenimpfung allenfalls die bakteriologischen Befunde, nicht aber die Zahl der Lungenentzündungen und die Pneumoniesterblichkeit in der geimpften Bevölkerung senkt.3 Auf Nachfrage begründet die STIKO ihre Entscheidung mit dem hohen Risiko älterer Menschen, an Pneumokokkenpneumonien zu erkranken und zu sterben, sowie mit zunehmender Antibiotikaresistenz der Pneumokokken unter Hinweis auf eine aktuelle Arbeit aus den USA.7 Antibiotikaresistenz der Pneumokokken ist hierzulande jedoch - anders als in den USA oder Großbritannien - (bislang?) von untergeordneter Bedeutung, der Nutzen der Maßnahmen nicht hinreichend belegt. Die Durchimpfung eines Jahrgangs verursacht Medikamentenkosten in Höhe von 45 bis 50 Millionen DM. Uns erinnert der Aktionismus an den Betrunkenen, der seinen Schlüssel unter einer Laterne sucht, weil es ihm dort, wo er ihn verloren hat, zu dunkel ist, - Red. |
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