Nach der großen britischen Metaanalyse von 1994 zum Nutzen von Azetylsalizylsäure (ASS; ASPIRIN u.a.) als Thrombozytenaggregationshemmer soll
ASS nicht nur im arteriellen Schenkel des Kreislaufs wirken, sondern auch das Risiko venöser Thromboembolien um etwa 30% bis 40% senken (a-t 1994; Nr. 2: 18).1 Dieses Ergebnis wurde stets kontrovers diskutiert. In offiziellen Empfehlungen zur
Thromboembolieprophylaxe wird ASS bis heute nicht berücksichtigt.
Erstmals scheint jetzt eine große randomisierte Interventionsstudie die Daten der Metaanalyse zu bestätigen. Die von neuseeländischen und
australischen Behörden gestützte, in fünf Ländern durchgeführte PEP-Studie* berücksichtigt 4.100 Patienten mit elektivem
Hüft- oder Kniegelenkersatz und 13.400 Patienten mit Akuteingriffen wegen Hüftfraktur. Die Patienten nehmen 35 Tage lang täglich 160 mg ASS
oder Plazebo ein. Verglichen wird die Sterblichkeit bis fünf Wochen postoperativ sowie die Rate symptomatischer Venenthrombosen und Lungenembolien bis
zur Krankenhausentlassung.2
Patienten mit Gelenkersatz profitieren nicht von ASS. Venenthrombosen und Lungenembolien sind nicht seltener, klinisch relevante Blutungen nicht häufiger als
unter Plazebo. Bei Operationen wegen Hüftfraktur reduziert ASS dagegen symptomatische Phlebothrombosen von 1,5% auf 1,0% und Lungenembolien von
1,2% auf 0,7% (Number Needed to Treat [NNT] jeweils 200). Die Thromboembolierate sinkt bei diesen Patienten insgesamt von 2,5% auf 1,6% (NNT = 111). Auch
tödlich verlaufende Embolien nehmen deutlich ab (-0,37%; NNT = 270). Das relative Risiko venöser Komplikationen wird um 30% bis 40%
vermindert.
Die Studie hat jedoch erhebliche methodische Mängel: Auswahlkriterien und Basisdaten für die Patienten (Anamnese, Risikofaktoren u.a.) fehlen;
Zielkriterien und Subgruppen sind nicht klar vordefiniert; die Fallzahl wird erst nachträglich kalkuliert; die Compliance liegt bei 80%. Auch die Ergebnisse werfen
Fragen auf: vaskuläre und Gesamtsterblichkeit sind in beiden Gruppen gleich groß. Myokardinfarkte und koronare Todesfälle kommen unter ASS in
der Tendenz sogar häufiger vor. Das Salizylat senkt die Thromboembolierate bei Patienten mit Hüftfraktur erst ab der zweiten, nicht aber in der ersten
postoperativen Woche.
Schwerster Einwand gegen die Studie ist, dass der Mehrzahl der Teilnehmer eine dem Stand der Erkenntnis entsprechende Thromboseprophylaxe vorenthalten
wurde. Bei elektivem Gelenkersatz erhalten nur 37%, bei Akuteingriffen wegen Oberschenkelhalsbruch nur 44% der Patienten Heparine. Dosisangaben fehlen. Nur
jeder dritte bzw. vierte Patient wird mit fraktionierten Heparinen wie Certoparin (MONO EMBOLEX) behandelt, die das Thromboembolierisiko nachweislich um 50% bis
70% vermindern und seit Jahren als Standard gelten (a-t 1997; Nr. 12: 122-6).3,4 Die ethische Vertretbarkeit
der von 1992 bis 1998 durchgeführten Studie wird nicht diskutiert. In der adäquat mit fraktioniertem Heparin behandelten Subgruppe bleibt ein
zusätzlicher Nutzen von ASS auch bei Patienten mit Oberschenkelhalsbruch aus.
Auch nach Einschätzung des begleitenden Editorials sind Konsequenzen aus der Studie für den klinischen Alltag nicht erkennbar.5 Der
Stellenwert von ASS zur perioperativen Thromboseprophylaxe bleibt unklar. Die unter ASS beschriebene Senkung symptomatischer Thromboembolien ab der
zweiten postoperativen Woche nach Hüftbruch sollte aber in weiteren Studien überprüft werden. Bei Bestätigung wäre ASS für die
poststationäre Phase eine attraktive Option. Fraktionierte Heparine haben nach Knie- und Hüftoperation zu diesem Zeitpunkt nur noch auf
asymptomatische Venenthrombosen signifikanten Einfluss.6-8 Zur Prophylaxe nach Klinikentlassung sind sie deshalb nutzlos.4
FAZIT: Bei Hüft- und Knieoperationen bringt Azetylsalizylsäure (ASS; ASPIRIN u.a.) zur perioperativen Thromboseprophylaxe keinen Vorteil. Mittel der
Wahl sind weiterhin fraktionierte Heparine wie Certoparin (MONO EMBOLEX). ASS könnte sich für die poststationäre Phase ab zweiter Woche
postoperativ als wirksame und preisgünstige Alternative erweisen.
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