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Im Blickpunkt

RUN-IN-PERIODEN VOR KLINISCHEN STUDIEN
... Studienoptimierung oder Manipulation?

In der Anfang des Jahres veröffentlichten HOPE*-Studie mit Ramipril (DELIX u.a.; a-t 1999; Nr. 12: 127, 2000; 31: 21-2) geht der Randomisierung eine sogenannte Run-in-Phase voraus, in der alle Patienten sieben bis zehn Tage lang täglich 2,5 mg Ramipril und anschließend 10 bis 14 Tage lang ein Plazebo einnehmen. Knapp 10% (1.035 von 10.576) der für die Studie geeigneten Patienten werden nach dieser Phase wegen Non-Compliance, unerwünschter Wirkungen, pathologischen Serumkreatinins oder Kaliumwerts oder wegen Widerrufs der Einverständniserklärung ausgeschlossen.1

Run-in-Perioden zum Ausschluss bestimmter Teilnehmer sollen die statistische "Power" kontrollierter Studien erhöhen. So mindern Patienten, die einer aktiven Behandlung zugeteilt werden und das Mittel nicht einnehmen, den Therapieeffekt, wenn nach "intention to treat" ausgewertet wird. Eindrückliches Beispiel sind die beiden Physicians-Health-Studien zur Vorbeugung des Herzinfarktes mit Azetylsalizylsäure (ASS; ASPIRIN u.a.) in den USA und Großbritannien. Der amerikanischen Studie wird eine Run-in-Phase zur Prüfung der Therapietreue vorgeschaltet. 33% der Ärzte werden ausgeschlossen. Im weiteren Studienverlauf halten sich 90% der Teilnehmer an die Einnahme.2 Die Herzinfarktrate unter ASS sinkt signifikant (relatives Risiko [RR] 0,56, 95% Konfidenzintervall [CI] 0,45 bis 0,70).3 Das britische Pendant beginnt ohne Run-in, erzielt eine 70%ige Compliance und endet ohne signifikanten Unterschied (RR 0,97, 95% CI 0,73 bis 1,24).2,4

In anderen Studien werden die Patienten vorab auf Unverträglichkeitsreaktionen getestet. Hier ist neben HOPE beispielsweise die US-amerikanische Herzinsuffizienz-Studie mit Carvedilol (DILATREND u.a.) zu nennen.5 Todesfälle unter Carvedilol in der "Run-in-Phase" blieben in der Endauswertung unberücksichtigt. In plazebokontrollierten Studien zum Nutzen des Antidepressivums Fluoxetin (FLUCTIN u.a.) dient eine Run-in-Periode dazu, Menschen, die gut auf Plazebo ansprechen, vorab herauszufinden und auszuschließen.6 Das Alzheimermittel Tacrin (COGNEX) wird im plazebokontrollierten Vergleich untersucht, nachdem zuvor zwei Drittel (417 von 632) der Patienten ausgeschlossen wurden, bei denen der Wirkstoff in einer Run- in-Phase keine klinische Verbesserung gebracht hat oder nicht vertragen wurde (vgl. a-t 1993; Nr. 11: 124).7

An der Vergleichbarkeit der Gruppen nach Durchlaufen einer Run-in-Periode scheint sich auf den ersten Blick nichts zu ändern. Die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf die klinische Praxis (externe Validität) steht jedoch in Frage. Systematische Untersuchungen hierzu fehlen.

So lässt sich die Zuverlässigkeit der Einnahme im klinischen Alltag nur schlecht vorhersagen. Auch der Ausschluss von Patienten, die auf Verum nicht ansprechen oder mit Unverträglichkeit reagieren, kompliziert die Interpretation der Ergebnisse für die Praxis. Nicht allein, dass der Nutzen und die Verträglichkeit eines Mittels durch die Vorauswahl überbetont werden. Es ist auch nicht garantiert, dass Ansprechen auf eine Therapie und Empfindlichkeit für unerwünschte Wirkungen voneinander unabhängige Ereignisse sind.2

Zweifelhaft ist zudem, ob sich durch Absetzen des Mittels nach der Run-in-Phase die Ausgangssituation vor Einnahme wiederherstellt. In der Tacrin-Studie dokumentieren die Autoren ein Entzugssyndrom mit Abfall der kognitiven Leistungen unter das Ausgangsniveau, das sich bei den anschließend in die Plazebogruppe randomisierten Patienten in die Doppelblindphase hinein fortsetzt. Der vermeintliche Nutzen von Tacrin beruht hier zumindest zum Teil auf der künstlich erzeugten Verschlechterung der Kontrollgruppe.7 Von Patienten mit Herzinsuffizienz weiß man, dass sich ihr Zustand nach Absetzen von Digoxin (LANICOR u.a.) verschlechtert, während die Neuverordnung im randomisierten Vergleich wenig Nutzen bringt (a-t 1997; Nr. 4: 45).

Plazebo-Run-in-Perioden sind ethisch nicht vertretbar, wenn die Studienteilnehmer über das Protokoll getäuscht werden. Das informierte Einverständnis zur Teilnahme an einer randomisierten Studie setzt voraus, dass die Patienten Ziele und Ablauf der Untersuchung kennen.8 Für eine Run-in-Phase, die Plazebo-Responder herausfinden und diesen Zweck nicht verfehlen soll, dürfte sich kaum ein informiertes Einverständnis einholen lassen.

FAZIT: Kontrollierte klinische Studien, z.B. HOPE*, beginnen häufig mit einer Vorlaufphase ("Run-in-Periode"), die den Zweck hat, zur Erhöhung der "Power" bestimmte Teilnehmer von vornherein auszuschließen. Diese Run-in-Phasen können die Interpretation und die ohnehin schon eingeschränkte Übertragbarkeit von Studienergebnissen auf den klinischen Alltag sehr erschweren. So entsteht durch vorgeschaltete Verträglichkeitstests ein selektioniert positives Nebenwirkungsprofil, während durch Ausschluss von Plazeborespondern und Verum-Nonrespondern der Nutzen des Verums überbetont wird. Systematische Untersuchungen zu den Auswirkungen von Run-in-Perioden fehlen.

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