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Neu auf dem Markt

BOTULINUMTOXIN B (NEUROBLOC) GEGEN SCHIEFHALS

Die ersten Versuche, das Nervengift des Anaerobiers Clostridium botulinum therapeutisch zu nutzen, liegen 20 Jahre zurück. Botulinumtoxin Typ A (BoNTA; BOTOX, DYSPORT; a-t 1993; Nr. 9: 87-9), das seit knapp zehn Jahren kommerziell angeboten wird, hat die Behandlung lokalisierter Dystonien wie Torticollis spasmodicus (Schiefhals, zervikale Dystonie) oder Blepharospasmus (Lidkrampf) entscheidend vorangebracht. Etwa 5% bis 10% der Patienten sprechen jedoch auf BoNTA von vornherein nicht an. Bis 20% entwickeln sekundäre Resistenz, zum Teil bedingt durch neutralisierende Antikörper.1 Jetzt kommt ein weiteres der insgesamt sieben Toxine aus Clostridium botulinum auf den Markt: Botulinumtoxin Typ B (BoNTB; NEUROBLOC). Es ist im Unterschied zu dem breiteren Indikationsspektrum von BoNTA nur für die Behandlung des Torticollis spasmodicus zugelassen.

EIGENSCHAFTEN: Botulinumtoxine, die giftigsten biologischen Toxine überhaupt, blockieren die neuromuskuläre Übertragung durch irreversible Hemmung der Azetylcholinfreisetzung in präsynaptischen Nervenendigungen. Die Injektion in einen Muskel erzeugt eine lokalisierte schlaffe Lähmung und Atrophie. Die neuromuskuläre Funktion kehrt zurück, indem im Laufe von zwei bis drei Monaten neue Nervenendigungen wachsen. Auch parasympathische und cholinerge sympathische Neuronen werden blockiert.2 BoNTB unterscheidet sich von BoNTA durch seinen Angriffspunkt und in seiner Antigenität. Kreuzreaktionen neutralisierender Antikörper gegen Typ A und Typ B sind nach bisheriger Kenntnis nicht zu erwarten.3,4

KLINISCHE STUDIEN: An den beiden zulassungsrelevanten Studien3,4 haben insgesamt 156 mit BoNTA vorbehandelte Patienten teilgenommen, darunter 77 mit sekundärem Therapieversagen dieses Toxins. Botulinumtoxin B lindert Beschwerden der Patienten besser als Plazebo, gemessen am Punktwert einer Torticollis-Messskala (0 bis 87 Punkte) vier Wochen nach intramuskulärer Injektion. Bei den Patienten, die weiterhin auf BoNTA ansprechen, sinkt der mittlere Wert unter 5.000 E. bzw. 10.000 E. von initial 47 um 9 (20%) bzw. 12 (25%) Punkte. Unter Plazebo geht er von eingangs 44 um 4 Punkte (10%) zurück. Patienten, die gegen Typ A sekundäre Resistenz entwickelt haben, profitieren ähnlich mit durchschnittlicher Besserung um 21%.

Die Ansprechrate (kein Studienendpunkt), definiert als Minderung des Punktwertes um mindestens 20%, beträgt in beiden Untersuchungen insgesamt 57% unter Verum im Vergleich zu 19% unter Plazebo.1 Die in den Studien angegebene "Effektdauer" von 10 bis 12 Wochen ist genau genommen die Zeit bis zum Wiedererreichen des Ausgangszustandes. Der Effekt im Sinne 20%iger Besserung hält deutlich kürzer an, bei 60% nicht einmal 4 Wochen.1

Direkte Vergleiche des therapeutischen Nutzens von Botulinumtoxin Typ A und Typ B gibt es nicht. Nach einer experimentellen Untersuchung mit gesunden Freiwilligen könnte BoNTA die Muskeln stärker und länger lähmen als BoNTB.5

UNERWÜNSCHTE WIRKUNGEN: Die häufigsten Störwirkungen in klinischen Studien sind anticholinerge Effekte wie Mundtrockenheit (14% bis 44%) und Schluckbeschwerden (11% bis 28%). Beide nehmen mit steigender Dosis zu, Schluckstörungen besonders nach hoher Dosis in den M. sternocleidomastoideus (Kopfnickermuskel). Häufig wird auch über Schmerzen an der Einstichstelle, Verdauungsstörungen, Stimm- und Geschmacksveränderungen und Myasthenie geklagt. Als immunogene Reaktion kann ein grippeähnliches Syndrom auftreten. Auch BoNTB ruft bei wiederholter Anwendung neutralisierende Antikörper hervor, nach bisherigen Daten bei 6%.1

Schwere Dysphagie durch Botulinumtoxine kann Sondenernährung erfordern. Tod nach Aspirationspneumonie ist beschrieben.6 Auch ein systemisches Botulismus-ähnliches Syndrom mit Atemstillstand nach lokalisierter Behandlung mit Botulinumtoxin Typ A ist inzwischen bekannt geworden.7

DOSIS UND KOSTEN: In der EU werden als Anfangsdosis 10.000 E. BoNTB empfohlen1, in den USA dagegen 2.500 E. bis 5.000 E.6 Vorsicht: Die Dosisangaben gelten nur für NEUROBLOC und sind nicht auf die BoNTA-Präparate übertragbar, deren empfohlene Dosierungen geringer, untereinander aber ebenfalls nicht austauschbar sind.

Botulinumtoxin B kostet mit 792 DM pro Behandlung mit 10.000 E. 28% weniger als das Botulinumtoxin-Typ-A-Präparat BOTOX (1.108 DM für eine Behandlung mit 150 E.). Es ist etwa 5% günstiger als das BoNTA-Präparat DYSPORT (838 DM pro Behandlung mit 500 E.; Wirkverhältnis BOTOX/DYSPORT etwa 1:3)2.

 Botulinumtoxin Typ B (NEUROBLOC) ist im Unterschied zu Botulinumtoxin Typ A (BOTOX, DYSPORT) nur für die Behandlung des Torticollis spasmodicus (zervikale Dystonie, Schiefhals) zugelassen.

 Es bietet eine Alternative für Patienten, die eine sekundäre Resistenz gegen Botulinumtoxin Typ A entwickelt haben.

 Klinische Gleichwertigkeit oder Vorteile gegenüber BOTOX oder DYSPORT sind nicht belegt. Die Neuerung könnte nach experimentellen Daten schwächer und kürzer wirken.

 Die Therapie mit NEUROBLOC ist etwas günstiger als mit DYSPORT und deutlich billiger als mit BOTOX.

© 2001 arznei-telegramm

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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