"Wechseljahre sind eine Krankheit und nicht natürlich. Sie sind von Menschenhand geschaffen,"1 erfahren Niedersachsens
Frauenärzte von ihrem Berufsverband. Und weiter: "Frauen wurden um 1897 38 Jahre alt. Eine Hormonersatzbehandlung bedeutet daher eine
Zurückversetzung der Frau in ihren 'Naturzustand'."1 Die Hormonsubstitution sei "wichtig und richtig, wie die Insulinsubstitution beim
Diabetiker".2 Die Perfidie: Ein physiologischer Vorgang wird zur Krankheit umgedeutet (Disease Mongering: a-t 2002; 33: 71-2). Auf diese Weise werden alle Frauen um die 50 automatisch zu Patientinnen und die Praxen sowie die
Kassen der Hersteller gefüllt.
Berufsverbände der Frauenärzte und von Firmen gesponserte Meinungsbildner versuchen, die große Studie, die jetzt den unzureichenden Nutzen der
prophylaktischen Einnahme und die Schädlichkeit von Hormonen nach den Wechseljahren belegt (a-t 2002; 33: 81-
3), systematisch zu diffamieren und als unglaubwürdig darzustellen. Die bislang einzige randomisierte Primärpräventionsstudie habe angeblich
eine "höchst eingeschränkte Relevanz für deutsche Verhältnisse".3 Das KV-Blatt Berlin lässt eine Frauenärztin
auf zwei Seiten - umrahmt von drei Werbeseiten für die Menopausenhormon-Präparate LAFAMME, INDIVINA und TRADELIA - kommentieren:
"Keinesfalls lasse ich mich durch diese unzulänglich angelegte Studie beunruhigen oder in meinem Verordnungsverhalten negativ beeinflussen. Und das
empfehle ich allen Kollegen!"4
Das Zauberwort hiesiger Meinungsbildner lautet"individuelle Hormonsubstitution". Ein Statement überwiegend deutschsprachiger Frauenärzte
fordert "die amerikanischen Kollegen" sogar "ausdrücklich auf, die Standards der europäischen HRT (Hormonersatztherapie, -Red.)
anzuwenden und selbst auch individualisiert zu behandeln". Eine individuelle Hormontherapie "nach heutigen europäischen Standards"
könne "als unbedenklich" (!) angesehen werden.5 Allerdings gibt es weder "europäische Standards" noch Belege für
die Unbedenklichkeitsbehauptung. Statt dessen liefern diese Gynäkologen ein klassisches Beispiel dessen, was als "Arroganz der präventiven
Medizin"6 kritisiert wird: Sie geben forsche Ratschläge, was symptomfreie Menschen tun sollen, um gesund zu bleiben. Statt Tatsachen liefern sie
Spekulationen und Vermutungen, dass die empfohlenen Maßnahmen mehr nützen als schaden. Zudem verunglimpfen sie diejenigen, die den Wert solcher
Äußerungen anzweifeln, bei- spielsweise als "tendenziös"7 oder "die Bevölkerung, aber auch die Frauenärzte
verunsichernd"7. Derartiges "Expertentum" gedeiht aus der engen Verflechtung mit Herstellern empfohlener Produkte. Kritische Distanz zu
Firmeninteressen fehlt. Der einem Rundschreiben aus dem Berufsverband der Frauenärzte e.V. beigefügte und mit "Ihre
Frauenarztpraxis"gezeichnete "Patientinnenaufklärungsbogen"8 erweist sich als von der Firma Schering verfasst.9 Angeblich
sollen die als Absender Genannten (Prof. TEICHMANN, Berufsverband der Frauenärzte e.V.) erst im Nachhinein von der Aktion erfahren haben.9
Der Aufklärungsbogen, der in Arztpraxen ausgelegt werden soll,8 offenbart typische Strategien des Marketings: Nicht direkt lügen, aber
Tatsachen ignorieren und Daten weglassen - und damit Sachverhalte verdrehen. So soll beispielsweise eines der "wesentlichen Ergebnisse" der
Hauptstudie sein: "Keine Senkung der Herz-Kreislauferkrankungen".9 Eine hinterhältige Irreführung: 700 zusätzliche
Erkrankungen an koronarer Herzkrankheit pro eine Million Frauen bedeutet in der Tat "keine Senkung", sondern eine drastische Zunahme der
Gefährdung. Sogar der Hinweis, dass die Women's Health Initiative (WHI) Studie wegen dieser Gefährdung der Frauen vorzeitig abgebrochen wurde, wird
vom Schering-Marketing unterschlagen.
Wenn für Firmen Verkaufszahlen das primäre Ziel sind und nicht die Gesundheit der Patienten, erscheint dies noch nachvollziehbar. Es sind jedoch die
von Firmen reich belohnten medizinischen Meinungsbildner, die aus privatem Profitinteresse und persönlichem Profilierungsstreben wissenschaftlich
begründete Kritik an Behandlungsstrategien diffamieren. Solche "Experten" werden zunehmend zum gravierenden Risiko für die Qualität
der Patientenversorgung. Im Interesse ihrer Sponsoren propagieren sie Medikamente zur Krankheitsprävention, ohne deren Wirksamkeit und Sicherheit durch
ausreichend große randomisierte kontrollierte Langzeitstudien belegen zu können. Und es sind Berufsverbände, die sich zum Schaden von Patienten
einspannen lassen.
Präventive Medizin ist zu wichtig, um sie diesen "Experten" und Verbänden zu überlassen. Wir hoffen auf Widerspruch der
Frauenärztinnen und Frauenärzte, die sich die Falschinformationen nicht weiter bieten lassen. Wann wird es endlich zur Pflicht, dass Experten und
Verbände detailliert ihre finanziellen Verflechtungen offenbaren müssen? Wann greift die Fachaufsicht in diese korrupten, das Leben von Patientinnen
gefährdenden Umtriebe ein? Hier sind Gesetzesinitiativen gefordert.
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