Die atopische Dermatitis (AD, früher Neurodermitis, endogenes Ekzem u.a.) ist eine weltweit verbreitete chronische Hauterkrankung, deren Häufigkeit
in den letzten 30 Jahren deutlich zugenommen hat. 5% bis 21% der Schulkinder und 2% bis 10% der Erwachsenen sollen betroffen sein.1,2 Besonders
häufig kommt die entzündliche Hauterkrankung in Industrienationen und Großstädten vor, seltener in ländlichen Regionen.3 80%
der Patienten erkranken im ersten Lebensjahr. Zwar bildet sich die Dermatitis bei bis zu 60% vor dem Erwachsenenalter zurück, doch sind Rückfälle
häufig.4 Zudem sollen bis zu 80% der Kinder mit AD an allergischer Rhinitis oder Asthma erkranken.3
Die Ursachen der AD bleiben unklar. Neben einer zumeist ererbten atopischen Veranlagung bei etwa 80% der Betroffenen scheinen weitere Faktoren wie Allergene
(z.B. Hausstaubmilbenkot, Tierhaare), physikalisch-chemische Noxen (trockene Luft, mechanische Irritation u.a.) oder Nahrungsmittel bei der Auslösung
und/oder Ausprägung der Hauterscheinungen eine Rolle zu spielen. Gehobener sozialer Status, kleine Familien und häufiger Antibiotikagebrauch
(so genannter "western lifestyle") sollen das Erkrankungsrisiko erhöhen.3
Ob Muttermilch vor atopischer Dermatitis schützt, ist umstritten: Während mindestens dreimonatiges Stillen von Kindern mit positiver Familienanamnese
nach einer Metaanalyse das Risiko in den ersten fünf Lebensjahren um etwa 40% verringert,5 soll die Erkrankungshäufigkeit in einer bisher nur
als Abstract veröffentlichten Studie mit 14.000 unselektierten Familien ansteigen.6 Ein protektiver Effekt durch mütterliche Antigenvermeidung
(z.B. Verzicht auf Erdnüsse, Fisch) in der Schwangerschaft oder Stillzeit lässt sich in bisherigen Studien nicht absichern.7
Pathophysiologisch werden Verschiebungen innerhalb des T-Zell-Systems sowie eine veränderte Lipidzusammensetzung und gestörte Barrierefunktion der
Haut diskutiert.3 Bei vielen Patienten ist der IgE-Titer erhöht. Die pathogenetische Bedeutung ist jedoch nicht vollständig geklärt.8
KLINIK UND DIAGNOSE: Das klinische Bild variiert abhängig vom Alter der Betroffenen und der Aktivität der Erkrankung. Die akute
Dermatitis geht mit extrem juckenden geröteten Papeln, Ödem, nässenden Exkoriationen und Krusten einher. Kennzeichen des subakuten Ekzems
sind schuppende Papeln oder Plaques. Im chronischen Stadium findet sich typischerweise eine Vergröberung der Hautfelder (Lichenifikation). Patienten mit AD
haben grundsätzlich sehr trockene Haut.3
Bei Säuglingen und Kleinkindern sind vorwiegend Wangen und Kinn, behaarter Kopf, Körperstamm und die Streckseiten der Extremitäten betroffen.
Typische Prädilektionsstellen bei älteren Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen sind Ellen- und Kniebeugen, Hand- und Fußgelenke sowie der
Hals. Altersabhängig nehmen periorbitaler und periokulärer Befall zu.9 Als Minimalvarianten kommen Ohrläppchen- bzw.
Mundwinkelrhagaden, trockene Lippen, Mamillenekzem und schuppende Rötung oder Einrisse an Finger- und Zehenkuppen vor. Schwere Verläufe mit
generalisierter Erythrodermie sind selten.9 Selbst bei mäßigen Hautaffektionen kann unerträglicher Juckreiz starkes Krankheitsgefühl
verursachen.1
Die Diagnose kann anhand der weltweit gebräuchlichen und validierten Kriterien einer englischen Arbeitsgruppe10 (siehe Tabelle) gestellt
werden. Differenzialdiagnostisch ist im Säuglingsalter die seborrhoische Dermatitis und bei Erwachsenen vor allem das kutane T-Zell-Lymphom abzugrenzen.
Routinemäßige Bestimmung des IgE-Titers, spezifischer IgE-Antikörper oder kutane Allergietestung sind umstritten. Bei konkretem
Allergieverdacht ist gegebenenfalls ein Spezialist hinzuzuziehen, da falsch-positive Ergebnisse häufig vorkommen bzw. speziell bei Nahrungsmitteln oft nicht mit
der Klinik übereinstimmen.3
Behandlung der
unkomplizierten atopischen Dermatitis
Hautpflegepräparate wie wirkstofffreie Öl-in-Wasser- oder
Wasser-in-Öl-Emulsionen u.a. gelten als Basistherapie sowohl in floriden als auch symptomfreien Episoden. Sie sollen die Barierrefunktion der Haut verbessern
und die Hautfeuchtigkeit regulieren. Randomisierte Studien, in denen der Nutzen im Sinne einer Einsparung Kortikoid-haltiger Externa oder Reduzierung von
Rückfällen bzw. eine Überlegenheit bestimmter wirkstofffreier Präparate geprüft wird, gibt es nicht.7
Anhalt für einen Nutzen der häufig praktizierten kombinierten Anwendung topischer Kortikoide und wirkstofffreier Hautpflegemittel liefert eine Studie mit 80
Patienten mit milder bis mäßiger Erkrankung, die das mittelstarke Desonid 0,05% (Schweiz: LOCAPRED u.a.) zweimal täglich mit oder ohne
Feuchtigkeitscreme verwenden. Dabei reduziert die kombinierte Anwendung Beschwerden wie Juckreiz oder Erythem besser als das Kortikoid allein (80% vs. 70%).
Nahezu alle Patienten bevorzugen die Kombination (96% vs. 4%).11
Zusatz von Harnstoff soll unter anderem die Wasserbindung in der Hornschicht erhöhen. In einem Rechts-Links-Vergleich mit 80 Patienten lindert eine
10%ige Zubereitung (ELACUTAN u.a.) Hauttrockenheit und Rötung besser als die Cremegrundlage.12 Vor allem bei Kleinkindern ist mit
unerwünschten Wirkungen wie Hautrötung und Brennen bis hin zu Mazerationen zu rechnen.13
Die entzündungshemmenden, immunsuppressiven und vasokonstriktorischen
Eigenschaften lokaler Kortikoide werden seit Jahrzehnten bei atopischer Dermatitis genutzt. Entsprechend existiert eine Vielzahl häufig jedoch
methodisch schlechter Studien. Im Plazebovergleich bessern sie Krankheitssymptome wie Juckreiz und Hautrötung zuverlässig.
Die Wirkstärke der Substanzen wird meist in vier Klassen eingeteilt: schwach (z.B. Hydrokortisonazetat [HYDROCUTAN u.a.]), mittelstark (z.B. Prednicarbat
[DERMATOP]), stark (z.B. 0,1%iges Betamethasonvalerat [BETNESOL-V u.a.]) und sehr stark (z.B. Clobetasolpropionat [DERMOXIN u.a.]). Dies gilt sowohl für
erwünschte als auch für unerwünschte Effekte. Eine klinische Überlegenheit bestimmter Wirkstoffe einer Wirkklasse ist nicht
belegt.7,14
Die Auswahl der Wirkstärke erfolgt nach Alter der Betroffenen und Lokalisation, Schweregrad und Akuität der Erkrankung. Allgemein gilt: Das Kortikoid
soll so schwach wie möglich sein und so kurz wie möglich verwendet werden. Bei Kindern sowie generell im Gesicht, Genitalbereich und den Beugen sind
wegen der dort dünnen Haut schwache Kortikosteroide vorzuziehen, während lichenifizierte Hautareale bzw. Bereiche mit dicker Haut (z.B.
Handflächen, Fußsohlen) oft ein starkes Steroid erfordern.14 Mehrmals tägliche Anwendung bietet gegenüber einmal täglichem
Gebrauch desselben Kortikoids in mehreren Studien keinen Vorteil. Ob eine ausschleichende Dosisreduktion dem abrupten Therapieende vorzuziehen ist, lässt
sich mit den vorhandenen Daten nicht beurteilen.7,14
In einem kürzlich veröffentlichten 18-wöchigen Vergleich einer jeweils dreitägigen Behandlung akuter Schübe mit dem starken Kortikoid
Betamethasonvalerat (Stoßtherapie) oder siebentägigem Gebrauch des schwachen Steroids Hydrokortison (SANATISON MONO u.a.) bei 203
Kindern mit milder bis mäßig ausgeprägter Erkrankung finden sich keine Unterschiede.15 Zwei Studien2,16 zur vorbeugenden
Anwendung des starken Kortikoids Fluticason (FLUTIVATE) zweimal wöchentlich im Vergleich zu Plazebo eignen sich wegen Schwächen des
Designs ("Behandlung" inzwischen abgeheilter und neu aufgetretener Hautbezirke, möglicher Rebound-Effekt in der Plazebogruppe nach
initial bis zu vierwöchiger zweimal täglicher Anwendung von Fluticason) nicht zur Nutzenbeurteilung.
Okklusivverbände sollen die Wirkstoffaufnahme erhöhen. Ein Nutzen ist nicht belegt: Die einzige vom Studiendesign her geeignete
Untersuchung liegt bislang nur als Abstract vor. Hier soll sich der Effekt von Hydrokortison mit bzw. ohne Verband in einem zweiwöchigen Vergleich mit 19
Kindern nicht unterscheiden.17
Die Störwirkungen externer Kortikosteroide umfassen Follikulitiden, Steroidakne, periorale Dermatitis und Kontaktdermatitis, Pigmentverschiebungen
sowie Hautinfektionen. Je nach Wirkstärke des Kortikoids lässt sich in kleinen Untersuchungen an Personen ohne Hauterkrankung mittels Ultraschall
bereits nach einwöchiger Anwendung eine Hautverdünnung nachweisen, die sich jedoch nach Absetzen innerhalb weniger Wochen
zurückbildet.14,17 Hinweise auf eine klinisch bedeutsame Hautverdünnung bei korrekter Handhabung topischer Steroide (ein- bis
zweiwöchige Anwendung im akuten Schub, dann Wechsel auf reine Hautpflegemittel) gibt es nicht.7 Mit systemischen Effekten wie CUSHING-
Syndrom, Wachstumsverzögerung oder Nebennierenrindensuppression ist vor allem bei Säuglingen und Kleinkindern sowie bei lang dauernder
großflächiger Anwendung potenter Abkömmlinge zu rechnen.14
Mittel der Reserve
Seit 2002 sind mit Tacrolimus (PROTOPIC Salbe) und Pimecrolimus
(ELIDEL Creme) zwei örtlich anzuwendende Immunmodulatoren für Erwachsene und Kinder ab zwei Jahren auf dem Markt. Das lediglich als Reservemittel
bei schwererer Erkrankung zugelassene Tacrolimus besitzt fototoxisches und kanzerogenes Potenzial, ohne dass ein Wirkvorteil gegenüber mittelstarken
lokalen Kortikosteroiden belegt ist. Wir raten von der Verwendung ab (vgl. a-t 2002; 33: 50-1). Pimecrolimus ist bei
leichtem bis mittelschwerem Krankheitsbild zugelassen und wirkt offenbar schlechter als das starke Kortikoid Betamethasonvalerat 0,1%. Trotz gegenteiliger
Behauptungen in der Werbung ist ein Steroid-sparender Effekt bislang nicht hinreichend belegt. Studien an Tieren lassen auf ein erhöhtes Hautkrebsrisiko in
Verbindung mit UV-Bestrahlung schließen. In Übereinstimmung mit der US-amerikanischen Zulassung18 stufen wir das Makrolaktamderivat als
Reservemittel ein. Vom Langzeitgebrauch raten wir ab (vgl. a-t 2002; 33: 112, 117).
Systemische Kortikosteroide wie Prednisolon (DECORTIN H u.a.) bessern
Hautsymptome im Vergleich zu Plazebo kurzfristig zwar deutlich,7 bergen aber die Gefahr ebenso dramatischer Verschlechterungen nach Absetzen. Sie
können daher vor allem initial als Ergänzung einer örtlichen Behandlung bei akuter schwerer Exazerbation angezeigt sein.3 Die Dosis ist
möglichst rasch stufenweise zu reduzieren und eine längere Anwendung wegen der Gefahr schwerer Schadeffekte zu vermeiden. Klinische Studien zum
Nutzen bei atopischer Dermatitis finden wir per Datenbankrecherche (PubMed) nicht.
Ciclosporin A (SANDIMMUN OPTORAL u.a.) ist zur Behandlung
Erwachsener mit schwerer therapieresistenter atopischer Dermatitis zugelassen. (3-) 5 mg/kg Körpergewicht verringern in mehreren Studien mit maximal 50
Teilnehmern Ausmaß und/oder Schweregrad der Läsionen besser als Plazebo. Nach Absetzen kommt es rasch zu Rückfällen.7
Vergleichsstudien mit lokalen oder systemischen Kortikoiden gibt es offenbar nicht. Bei den Störwirkungen steht Nierenschädigung im Vordergrund.
Kreatinin und Blutdruck können bereits nach wenigen Wochen ansteigen und müssen engmaschig kontrolliert werden. Zahlreiche Wechselwirkungen
sind zu beachten. Topisches Ciclosporin ist in Erprobung.
Bei klinischem Verdacht auf bakterielle Superinfektion (meist Staphylokokken,
seltener Streptokokken) sind systemische Antibiotika angezeigt. Mittel der Wahl ist Penicillin V (ISOCILLIN u.a.). Bei Penizillinallergie kommt ein Makrolid in
Betracht, bei Therapieversagen ein Cephalosporin der ersten Generation wie Cefaclor (PANORAL u.a.) oder das penizillinasefeste Flucloxacillin (STAPHYLEX u.a.)
bzw. bei Penizillinallergie Clindamycin (SOBELIN u.a.). Kutane Herpes-simplex-Infektionen sollen bei ausgeprägter atopischer Dermatitis wegen der Gefahr einer
lebensbedrohlichen Dissemination mit peroralem Aciclovir (ZOVIRAX u.a.) behandelt werden.8 Aussagefähige Studien dazu finden wir jedoch
nicht.
Verschiedene fototherapeutische Verfahren (UVA, UVB, Hochdosis-UVA,
Schmalspektrum-UVB) finden bei atopischer Dermatitis Verwendung, gelegentlich auch die Fotochemotherapie (PUVA: 8-Methoxypsoralen per os [MELADININE]
oder als Badezusatz plus UVA).7 Ihr Stellenwert lässt sich anhand der veröffentlichten Daten nicht beurteilen. Bei 37 Patienten mit schwerer AD
wirkt eine zehntägige hoch dosierte UVA-Bestrahlung besser als das starke Kortikoid-Externum Fluocortolon (ULTRALAN) einmal täglich.19
PUVA-Bad reduziert in einer Studie mit 10 schwer erkrankten Patienten Hautsymptome in vergleichbarem Ausmaß wie Schmalspektrum-UVB.20
Wegen kanzerogener Effekte ist unseres Erachtens bei allen fototherapeutischen Verfahren Zurückhaltung geboten.
Als Basistherapie der atopischen Dermatitis gelten wirkstofffreie Hautpflegemittel.
Nutzenbelege durch randomisierte klinische Studien fehlen jedoch.
Topische Kortikoide sind Mittel der Wahl bei akutem Krankheitsgeschehen. Die
Wirkstärke ist abhängig vom Alter des Patienten, den betroffenen Hautarealen und der Ausprägung der Symptomatik zu wählen. Als Grundsatz
gilt: möglichst kurz, möglichst schwach.
Bei sehr schwerem Krankheitsverlauf kommen kurzfristig orale Kortikoide wie
Prednisolon (DECORTIN H u.a.) in Betracht.
Als Mittel der Reserve beurteilen wir den topischen Immunmodulator Pimecrolimus
(ELIDEL), fototherapeutische Verfahren und bei sehr schwerem, therapieresistentem Verlauf Ciclosporin A (SANDIMMUN OPTORAL u.a.).
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