Mit dem so genannten Fusionshemmer Enfuvirtid (FUZEON) kommt erstmals seit Einführung der Proteasehemmer 1995/96 ein neues Wirkprinzip
zur Therapie der HIV-Erkrankung in den Handel. Enfuvirtid wird als Reservemittel zur Kombination mit anderen antiretroviralen Mitteln angeboten, wenn die
Behandlung mit mindestens je einem Vertreter der anderen drei antiretroviralen Substanzklassen - nukleosidale und nicht-nukleosidale Reverse-Transkriptasehemmer
und Proteasehemmer (a-t 1996; Nr. 6: 58-9 und 1999; Nr. 7: 72-3) -
versagt hat oder Unverträglichkeiten bestehen.1
EIGENSCHAFTEN: Enfuvirtid ist ein aus 36 Aminosäuren bestehendes Polypeptid. Der Fusionshemmer soll die Vermehrung des HI-
Virus Typ 1 unterbinden, indem er die Verschmelzung der Virushülle mit der Zellmembran der CD4+ (vor allem T-Helfer-)Zelle hemmt. Das Eindringen des Virus in
die Zelle wird dadurch behindert.2
Enfuvirtid muss zweimal täglich subkutan injiziert werden. Die höchste Plasmakonzentration wird nach fünf bis sieben Stunden erreicht. Die
Eliminationshalbwertszeit beträgt vier Stunden. Der genaue Metabolismus sowie die Pharmakokinetik bei Leber- oder Niereninsuffizienz sind nicht
untersucht.1
WIRKSAMKEIT: Zwei annähernd gleich angelegte Phase-III-Studien sind mit den Daten der ersten 24 von geplant 48 Behandlungswochen
veröffentlicht:3,4 Jeweils etwa 500 HIV-1-positive Personen über 16 Jahre mit Viruslast von mindestens 5.000 RNA-Kopien pro ml Blutplasma
werden aufgenommen, wenn sie zuvor zumindest einige Monate lang mit Kombinationen aus allen drei konventionellen antiretroviralen Arzneimittelklassen behandelt
worden sind oder Resistenzen gegen diese entwickelt haben. In Abhängigkeit von der individuellen Resistenzlage wird die Therapie mit konventionellen
antiretroviralen Arzneimitteln optimiert. Je zwei Drittel der Teilnehmer erhalten nach randomisierter Zuteilung zusätzlich offen zweimal täglich 90 mg
Enfuvirtid subkutan.
Primärer Endpunkt ist die Veränderung der Viruslast gegenüber dem Ausgangswert, der in beiden Studienkollektiven bei etwa 100.000 Kopien/ml
liegt. Die HIV-1-RNA-Konzentration nimmt unter Kombination mit Enfuvirtid signifikant stärker ab als unter bloßem optimiertem Regime (im Durchschnitt
Verringerung auf 4% bis 2% der Ausgangskonzentration vs. Verringerung auf 22% bis 17%).3,4 Die Rate der Patienten, bei denen die Viruslast unter die
Nachweisgrenze (50 Kopien/ml) sinkt, ist in beiden Studien gering, unter Enfuvirtid mit zusammen 15,9% nach 24 Wochen jedoch siginifikant höher als in den
Kontrollgruppen (6,3%). Bei insgesamt 46% der Enfuvirtid-Anwender kommt es zu virologischem Versagen*, in den Kontrollgruppen bei 77%.1
Nachweise für einen Einfluss auf klinische Endpunkte fehlen. Dem europäischen Beurteilungsbericht zufolge ergibt sich in den beiden Studien im
Vergleich zu optimierter konventioneller antiretroviraler Therapie nach 24 und 48 Wochen kein signifikanter Vorteil von Enfuvirtid im Hinblick auf AIDS-definierende
Erkrankungen.1 Auch ein positiver Effekt auf die Sterblichkeit ist nicht belegt.1,3,4 Die genauen Todesraten lassen sich anhand der
veröffentlichten Daten nicht beurteilen.
UNERWÜNSCHTE WIRKUNGEN: Fast alle Anwender entwickeln lokale Reaktionen an Einstichstellen, zumeist Rötungen, Verhärtungen,
Knoten- und Blasenbildungen sowie Schmerzen, die bei etwa 10% schwerwiegend sind und bei 4% zu Therapieabbruch führen.1
Auffällig sind die deutlich häufigeren Pneumonien unter Enfuvirtid verglichen mit Regimen ohne Fusionshemmer (4,9% vs. 0,6%).1
Zytomegalievirusinfektionen, Sinusitis, Hautinfektionen1 und Influenza5 kommen ebenfalls häufiger vor. Zu den häufigen
Störwirkungen gehören ferner periphere Neuropathie (9%), Angst, Depression und Schlaflosigkeit (6% bis 11%), Muskelschmerzen (5%), Pankreatitis (2%),
Anämie (2%), Eosinophilie (10%) sowie erhöhte Leber- und Pankreas-Enzymwerte (5% bis 8%).5
Enfuvirtid kann schwere systemische Überempfindlichkeitsreaktionen hervorrufen mit Hautausschlag, Fieber, Übelkeit und Erbrechen, Schüttelfrost,
Rigor, Blutdruckabfall und Transaminasenanstieg in wechselnden Kombinationen sowie Immunkomplexreaktionen, Atembeschwerden, Glomerulonephritis und
GUILLAIN-BARRÉ-Syndrom. Patienten mit Zeichen einer systemischen Überempfindlichkeit müssen das Mittel sofort absetzen.1,5
Mit Resistenzentwicklung gegen Enfuvirtid ist zu rechnen. Bei 90% der Patienten mit virologischem Versagen unter der Therapie finden sich Viren mit herabgesetzter
Empfindlichkeit gegen Enfuvirtid. Kreuzresistenz mit anderen antiretroviralen Arzneimittelklassen soll nicht zu erwarten sein.1
KOSTEN: Enfuvirtid (FUZEON; zweimal 90 mg/Tag) kostet pro Monat 2.210 €. Der Fusionshemmer als zusätzliche Einzelkomponente ist damit in
etwa so teuer wie sämtliche Bestandteile eines antiretroviralen Basisregimes, z.B. aus drei Nukleosidanaloga (tgl. 600 mg Zidovudin + 300 mg Lamivudin
[COMBIVIR], 741 €/Monat, und 245 mg Tenofovir Disoproxil [VIREAD], 577 €/Monat) plus der Proteasehemmer-Kombination KALETRA (tgl. 800 mg
Lopinavir + 200 mg Ritonavir, 802 €/Monat) - zusammen 2.120 €.
Der Fusionshemmer Enfuvirtid (FUZEON) soll als Reservemittel ein antiretrovirales
Kombinationsregime bei HIV-1-Infektion ergänzen, wenn zuvor die Behandlung mit mindestens je einem nukleosidalen und nicht-nukleosidalen Reverse-
Transkriptasehemmer sowie Proteasehemmer versagt hat oder nicht vertragen wird.
Enfuvirtid reduziert bei 24-wöchiger Anwendung die HI-Viruslast stärker als
optimierte konventionelle antiretrovirale Kombinationen allein.
Ein positiver Einfluss von Enfuvirtid auf den klinischen Verlauf der HIV-Krankheit und
die Sterblichkeit ist nicht belegt.
Enfuvirtid muss subkutan gegeben werden, geht bei fast allen Patienten mit
Lokalreaktionen einher, erhöht die Anfälligkeit für Infektionskrankheiten und kann schwere Überempfindlichkeitsreaktionen
auslösen.
Der Fusionshemmer verdoppelt die Kosten einer antiretroviralen Therapie.
Wir raten beim derzeitigen Kenntnisstand vom Gebrauch außerhalb kontrollierter
klinischer Studien ab.
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