Im letzten Jahr warnten britische und amerikanische Arzneimittelbehörden vor dem Gebrauch selektiver Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI)
und anderer neuer Antidepressiva bei Kindern und Jugendlichen, da sie in kontrollierten Studien bei fehlendem Vorteil gegenüber Plazebo das Suizidrisiko
erhöhen (a-t 2003; 34: 114). Diese Gefährdung durch SSRI wird zwar seit langem diskutiert. Dennoch
kamen die Warnungen für viele überraschend, da SSRI bis dahin im Gegensatz zu trizyklischen Antidepressiva bei Kindern als wirksam galten und in
Leitlinien genannt wurden.1,2 Wie zwei aktuelle Arbeiten3,4 erkennen lassen, beruht dieses falsch positive Bild der SSRI auf systematischer
Unterdrückung und Verschleierung von Negativ- und Risikodaten zu diesen Mitteln:
Negativstudien werden nicht publiziert: Der FDA liegen 15 Studien mit Citalopram (CIPRAMIL u.a.), Fluoxetin (FLUCTIN u.a.), Mirtazapin (REMERGIL),
Nefazodon (außer Handel: NEFADAR), Paroxetin (SEROXAT u.a.), Sertralin (GLADEM, ZOLOFT) und Venlafaxin (TREVILOR) bei Kindern und Jugendlichen
mit depressiver Erkrankung vor, von denen die meisten - je nach Stringenz der Bewertung 10 oder 14* - negativ ausfallen5-7 und von denen 10
unveröffentlicht sind (a-t 2004; 35: 29-30).
Negativstudien werden als Positivstudien veröffentlicht: Drei dieser Studien mit Paroxetin bzw. Fluoxetin liegen veröffentlicht vor.8-10 Bei
allen drei gab es in Hinblick auf die prädefinierten primären Endpunkte keine signifikanten Vorteile gegenüber Plazebo. Erst durch Verschleierung
dieser Tatsache bzw. nachträgliche Umdefinierung der Endpunkte gelingt es, Überlegenheit des Prüfpräparates zu behaupten. Die FDA hat
Fluoxetin auf der Basis dieser Studien für Kinder und Jugendliche mit Depression zugelassen. Die Entscheidung ist für uns nicht nachvollziehbar. Die im
Internet zugänglichen Reviews der Behörde beschreiben die negativen Ergebnisse der Studien und den nachträglichen Endpunkt-
"Switch" sehr klar.6,7
Positivdaten werden übertrieben, Schadwirkungen heruntergespielt: Die zwei Negativstudien mit Sertralin werden als gepoolte Auswertung
veröffentlicht, in der sich ein statistisch signifikanter, klinisch aber fragwürdiger Vorteil für Sertralin von 2,7 Punkten auf einer 113-Punkteskala
(CDRS-R**) findet. Bei einem für diese Patienten typischen hohen Plazeboeffekt erfüllen bei Studienende 59% der Kinder unter Scheinmedikation die
Kriterien für Ansprechen im Vergleich zu 69% unter Sertralin (Number needed to treat [NNH] = 10).11 Die Rate der Remissionen wird nicht publiziert.
Nach unveröffentlichten Daten gibt es hier jedoch keinen signifikanten Unterschied zwischen den Gruppen.3 Andererseits brechen 17 (9%) von 189
der Verumgruppe die Studie wegen unerwünschter Wirkungen vorzeitig ab im Vergleich zu 5 (3%) von 187 unter Plazebo (Number needed to harm =
17).11,12 Wie man ausführlicher erst von der britischen Arzneimittelbehörde erfährt, liegen den Abbrüchen bei 15 der 17 Sertralin-
Anwender, aber nur bei zwei unter Plazebo psychiatrische Reaktionen zugrunde, darunter am häufigsten Aggressivität, Agitation und Suizidalität, die
unter Sertralin mehr als verdoppelt ist.12 Dennoch beschreiben die Autoren der gepoolten Analyse Sertralin als effektiv und gut verträglich.11
Generell gute Verträglichkeit attestieren auch die Autoren der veröffentlichten Paroxetinstudie dem SSRI, trotz schwerwiegender Störwirkungen bei
11 (12%) von 93 unter Paroxetin, darunter 10 zum Teil stationär behandlungsbedürftige psychiatrische Reaktionen einschließlich Suizidalität, im
Vergleich zu 2 (2%) von 87 unter Plazebo (NNH = 10).8
Suizidalität unter SSRI verschwindet durch Fehlkodierung: Unerwünschte Wirkungen werden in den der FDA eingereichten Studien zu neueren
Antidepressiva bei Kindern und Jugendlichen nach firmeneigenen Systemen kodiert. Über mehrere Jahre hat die FDA die Studien auf Hinweise für
mögliche arzneimittelbedingte Suizidalität hin untersucht, ohne fündig zu werden. Dies ändert sich erst, als einem Behördenmitarbeiter
auffällt, dass in den Paroxetinstudien Suizidalität als "emotionale Labilität" kodiert wurde. Die daraufhin beim Hersteller GlaxoSmithKline
angeforderte Revision der Daten spricht für ein erhöhtes Risiko suizidaler Gedanken und Handlungen sowie von Suizidversuchen unter Paroxetin.
Ähnliches gilt für Citalopram, Fluoxetin, Nefazodon, Sertralin und Venlafaxin, deren Hersteller ebenfalls die eigenen Daten überprüfen mussten.
Von diesen Firmenberichten gibt jedoch nach Auffassung der FDA keiner einen zuverlässigen Überblick über das Suizidalitätsrisiko unter den
Antidepressiva. Inzwischen wurde ein zweiter Bericht von den Herstellern angefordert, mit dessen Auswertung ein externes Expertengremium beauftragt
wurde.5 Die Ergebnisse stehen aus.
Firmen ziehen sämtliche Register, um finanzielle Einbußen durch Negativerkenntnisse zu ihren Produkten zu verhindern - zum Schaden der Patienten.
Das Ausmaß der Manipulationen ist erschreckend. Wann endlich haften Manager für solche Desinformationsstrategien?
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