"In einem internen Schreiben wurden die Mitarbeiter von GlaxoSmithKline (GSK) angewiesen, Ergebnisse klinischer Studien von 1998, in denen
das SSRI-Antidepressivum Paroxetin (SEROXAT u.a.) bei Jugendlichen wirkungslos blieb, nicht publik zu machen".1 GSK (damals noch
SmithKlineBeecham) befürchtete in dem vertraulichen Papier, eine Veröffentlichung der Studien sei "kommerziell unakzeptabel". "Das
Profil von Paroxetin" werde "unterminiert".1 Die Firmenstrategie bescherte dem Produkt einige Jahre ungehinderte Vermarktung. Fünf
Jahre später warnen die britischen und US-amerikanischen Behörden vor einer Zunahme der Suizidalität und stufen SSRI wie Paroxetin als
unzureichend wirksam für Kinder und Jugendliche ein (vgl. a-t 2003; 34: 114). Diese Bewertung basiert im
Wesentlichen auf unveröffentlichten Daten, die Pharmahersteller Behörden im Rahmen von Zulassungen zugänglich machen müssen. Sie sind
aber nicht verpflichtet, diese zu veröffentlichen. Nur eine plazebokontrollierte Studie mit Paroxetin bei Jugendlichen mit Depressionen ist publiziert.2 Sie
fällt positiv für Paroxetin aus. Je zwei große Negativstudien mit Paroxetin und Venlafaxin (TREVILOR) sind jedoch nicht veröffentlicht.2
SSRI sind hierzulande nicht für die Behandlung von Depressionen bei Kindern und Jugendlichen zugelassen, werden jedoch seit Jahren in Leitlinien
genannt3 und als wirksam und besser verträglich als trizyklische Antidepressiva eingestuft.4
Für viele kam auch die Botschaft überraschend, dass Hormone nach den Wechseljahren mehr schaden als nutzen (a-t 2002; 33: 81-3; s. auch Seite 35). Eine 1997 veröffentlichte Metaanalyse von
23 randomisierten Studien ließ damals schon eine deutliche Tendenz für ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko im Vergleich zu Plazebo
erkennen.5 Die finnischen Autoren erstritten sich anschließend vor Gericht "für Forschungszwecke" Zugang zu sechs
unveröffentlichten randomisierten Studien, die der Behörde vorlagen und von den Firmen als vertraulich deklariert wurden.6 Ein gravierender
Publikations-Bias wird sichtbar: Werden nur die unveröffentlichten Daten ausgewertet, wird das kardiovaskuläre Risiko von Hormonen nach der
Menopause besonders deutlich.7
Unvollständige oder unterlassene Veröffentlichung negativ ausgefallener Untersuchungen ist Datenmanipulation und hat Konsequenzen: Werden nur die
öffentlich zugänglichen Daten ausgewertet, fällt die Nutzenbewertung für das Testprodukt positiver aus. Eine solche Verzerrung (Publikations-
Bias) trägt auch dazu bei, dass herstellerfinanzierte Studien besonders häufig zugunsten des Produktes des Sponsors aus fallen (a-t 2003; 34: 62-3).8 Firmen und deren Meinungsbildner bauen Marketingstrategien auf solchen selektiv
veröffentlichten und verzerrten Daten auf.
Derartige Manipulationen sowie Knebelverträge, die Herstellern besondere Rechte an Studiendaten einräumen (a-t 2001; 32: 49), oder Verschwiegenheitsklauseln für Negativergebnisse2 sind gang und gäbe.
"Die Ärzte dürfen in ihren Therapie- ... Entscheidungen nicht in unlauterer Weise beeinflusst werden", verspricht der soeben mit einigem
Presserummel bekanntgemachte Kodex "Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie e.V.".9 Dieser Kodex muss sich auch
daran messen lassen, ob gegen gezielte Datenunterdrückung vorgegangen wird. Wie vorangegangene Kodex-Versprechungen wird sich jedoch wohl auch
das neue Papier als Makulatur erweisen. Schließlich dient es vor allem dazu, vorgesehene gesetzliche Maßnahmen wie die Einrichtung eines
Korruptionsbeauftragten zu unterlaufen und behördliche Kontrollen auf die unverbindliche Ebene der Selbstkontrolle zu verschieben. So gesehen ist der Kodex
ein Erfolg - für die Industrie.
Zulassungsbehörden, die nicht nur eine Chance zur Korrektur des Informationsstandes hätten, sondern diese im Sinne des vorbeugenden
Verbraucherschutzes geradezu als Verpflichtung ansehen müssten, behindern die evidenzbasierte Beurteilung von Nutzen und Risiken. Abgesehen von
wenigen Ländern mit Informationsfreiheits-Gesetz wie den USA (a-t 1997; Nr. 9: 93-4) legen Behörden
über Studien und andere zulassungsrelevante Daten den Schleier der Vertraulichkeit. Solche Geheimniskrämerei lässt die Fachkreise über den
tatsächlichen Kenntnisstand zu Nutzen und Risiken von Therapeutika im Dunkeln und kann Patienten durch fehlbewertete Behandlungen schädigen.
Ethikkommissionen sollten Studien nur dann genehmigen dürfen, wenn die Veröffentlichung der Ergebnisse garantiert wird. Schließlich ist
Nichtveröffentlichung auch Betrug an den einbezogenen Patienten, die mit jeder Studie Risiken eingehen und keine informierte Zustimmung geben
können, wenn ihnen und den Fachkreisen die Ergebnisse der Untersuchung vorenthalten werden. Design und Ergebnisse aller Studien müssen
öffentlich gemacht werden. Solche Forderungen sind nicht neu. In Europa sind wir jedoch weit von deren Realisierung entfernt: Auf die Frage nach Details zu
den Studien, mit denen jetzt die Sicherheit von Sechsfachimpfstoffen geprüft werden soll, antwortet uns die europäische Arzneimittelbehörde EMEA
lapidar, dass "jedwede Informationen" hierzu "zurzeit vertraulich behandelt werden".10
Wäre es unter diesen Rahmenbedingungen nicht an der Zeit, Patienten aus Fürsorge von einer Studienteilnahme abzuraten, solange der Gesetzgeber
keine Informationsfreiheit und damit Zugang zu allen in den Studien gewonnenen Erkenntnissen garantiert?
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