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Neu auf dem Markt

ANTIEPILEPTIKUM PREGABALIN (LYRICA)

Seit September bietet Pfizer eine Molekülvariante des nicht mehr patentgeschützten Antiepileptikums Gabapentin (NEURONTIN u.a.) an: Pregabalin (LYRICA), das zur Zusatztherapie bei fokalen Anfällen und zur Schmerzbehandlung bei peripherer Neuropathie zugelassen ist.1 Die Werbung ("Dem Schmerz das Feuer nehmen"2) zielt vorrangig auf diesen Markt. Obwohl der Nutzen nur bei diabetischer und postherpetischer Neuropathie geprüft ist, wurde Pregabalin uneingeschränkt bei peripheren neuropathischen Schmerzen zugelassen.3 In den USA hat Pfizer nur für die tatsächlich geprüften Indikationen eine Zulassungszusage.4 Die Arzneimittelbehörde FDA hat darüber hinaus die beantragte Indikation generalisierte Angststörung abgelehnt.5 Bereits in der klinischen Prüfung hatte die FDA zwei Studien zur Neuropathie gestoppt, nachdem in Tierstudien unter Pregabalin Hämangiosarkome aufgetreten waren.3

EIGENSCHAFTEN: Wie Gabapentin ist auch Pregabalin ein Analog des hemmenden Botenstoffes Gammaaminobuttersäure (GABA). Pregabalin soll die zentralnervöse Erregbarkeit durch Bindung an bestimmte Untereinheiten spannungsabhängiger Kalziumkanäle mindern.3 Der genaue Wirkmechanismus ist unklar. Die maximale Plasmakonzentration wird nach etwa einer Stunde, ein Fließgleichgewicht nach 24 bis 48 Stunden erreicht. Pregabalin wird ohne nennenswerte Metabolisierung mit einer mittleren Halbwertszeit von 6,3 Stunden überwiegend renal ausgeschieden. Bei eingeschränkter Nierenfunktion muss die Dosis reduziert werden.1

KLINISCHE WIRKSAMKEIT: An den zwölf zulassungsrelevanten Studien zur Wirksamkeit bei neuropathischen Schmerzen nehmen ausschließlich Patienten mit mindestens ein Jahr bestehender diabetischer oder länger als drei Monate anhaltender postherpetischer Neuropathie teil. Insgesamt werden 3.200 durchschnittlich 56- bis 73-jährige Patienten randomisiert einer 5- bis 13-wöchigen Therapie mit täglich 75 mg bis 600 mg Pregabalin oder Plazebo zugeteilt.3 Nach Angaben der veröffentlichten Studien sind Patienten, die früher nicht auf Gabapentin angesprochen haben, ausgeschlossen.6,7 Insgesamt mindert Pregabalin bei 35% der Teilnehmer Schmerzen um mehr als 50%, unter Plazebo sprechen 18% an (Number needed to treat [NNT] 6). 75 mg sind nicht effektiv, für 150 mg sind die Ergebnisse nicht konsistent mit schlechterem Ansprechen bei diabetischer Neuropathie.3 Ein Vorteil von 600 mg gegenüber 300 mg ist nicht klar belegt.

Ein Vorteil gegenüber anderen bei neuropathischen Schmerzen verwendeten Mitteln wie trizyklische Antidepressiva, Carbamazepin (TEGRETAL u.a.) oder Gabapentin ist nicht belegt. Aussagekräftige direkte Vergleiche fehlen.

Die Wirksamkeit bei therapierefraktären fokalen Anfällen wird in drei multizentrischen plazebokontrollierten Studien überprüft.3,8-10 1.300 überwiegend 16- bis 65-jährige Patienten nehmen bis zu zwölf Wochen lang täglich 50 mg bis 600 mg Pregabalin als Zusatz zur bestehenden Medikation (meist Carbamazepin, Lamotrigin [LAMICTAL] oder deren Kombination) ein. Der Nutzen ist dosisabhängig. Bei Einnahme von 600 mg liegt die Responderrate (mehr als 50%ige Reduktion der Anfallsrate) nach Abzug des Plazeboeffekts bei 35%, unter 300 mg (nur 90 Patienten) bei 25% und in der 150-mg-Gruppe bei weniger als 20%.3 Die Wirksamkeit von 300 mg scheint ungefähr der von Gabapentin zu entsprechen. Wie bei neuropathischen Schmerzen fehlen auch bei Epilepsie Langzeitdaten aus randomisierten kontrollierten Studien.

STÖRWIRKUNGEN: Im Vordergrund stehen wie bei Gabapentin Schwindel und Somnolenz. Bei mittlerer Tagesdosis von 300 mg Pregabalin leiden 30% unter Schwindel und 21% unter Somnolenz, die bei bis zu 50% unter fortgesetzter Therapie unvermindert anhalten. Sehstörungen, Euphorie, Verwirrtheit, Aufmerksamkeitsstörungen, Ataxie und unfallbedingte Verletzungen sind mit 3% bis 8% weitere häufige ZNS-Effekte. Periphere Ödeme (8%), die bei mehr als der Hälfte persistieren, Mundtrockenheit (7%), Obstipation (4%) und Gewichtszunahme (5%) sowie verringerte Libido und erektile Dysfunktion kommen ebenfalls häufig vor.3

Kreatinkinaseanstieg über vom Studienprotokoll festgelegte, nicht angegebene Obergrenzen hinaus tritt bei 1,7% auf, potenziell lebensbedrohliche Myopathie/Rhabdomyolyse bei 2 (0,04%) von 5.232 Patienten. Bei mehreren Patienten ist unerklärter Gesichtsfeldausfall beschrieben.3 Häufige und irreversible Gesichtsfelddefekte unter dem strukturverwandten Vigabatrin (SABRIL; a-t 2000; 31: 16), die überwiegend erst nach zweijähriger Behandlung entdeckt werden, mahnen bei fehlenden Langzeitdaten und einer im Tierversuch beobachteten retinalen Atrophie unter Pregabalin zur Vorsicht. Bei älteren Diabetikern werden vermehrt vorzeitig einfallende ventrikuläre Extrasystolen festgestellt,3 ein Risikofaktor für plötzlichen Herztod bei koronarer Herzkrankheit. Zwei Patienten mit diabetischer Neuropathie und ein Epilepsiepatient erleiden einen plötzlichen Herztod.3 Wie bei Gabapentin nimmt die Leukozytenzahl ab und die Infektionshäufigkeit zu.6,7 Über häufige Myoklonien (bei 4 von 19 Patienten, 21%) berichtet ein deutsches Epilepsiezentrum.11

Im Tierversuch mit Mäusen ruft Pregabalin Hämangiosarkome hervor, bei einem Mäusestamm bereits im für die Therapie relevanten Dosierungsbereich.

Die ursprünglich angestrebte Zulassung für Jugendliche ab zwölf Jahren nahm Pfizer zurück, da klinische Daten fehlen und unter therapeutischen Dosierungen bei jungen Ratten ZNS-Toxizität und verzögerte Gewichtsentwicklung auftreten.3 In der Fachinformation vermissen wir die klare Aussage: "Bei Kindern und Jugendlichen kontraindiziert."

KOSTEN: Mit 97 € monatlich für eine mittlere Tagesdosis von 2 mal täglich 150 mg muss für Pregabalin sechsmal mehr als für Amitriptylin (2 mal täglich 50 mg, SAROTEN: 15 €, AMINEURIN: 14 €) und 5% bis 20% weniger als für eine bei Neuropathie übliche, für Epilepsie eher niedrige Dosis von 3 mal täglich 600 mg Gabapentin (GABAPENTIN HEXAL: 103 €, NEURONTIN: 123 €) aufgewendet werden.

 Das seit September erhältliche Pregabalin (LYRICA) vermindert in Tagesdosierungen bis 600 mg bei jedem sechsten Patienten durch diabetische oder postherpetische Neuropathie bedingten Schmerz um mindestens 50%. 75 mg täglich bleiben ohne Nutzen. Die Ergebnisse für 150 mg pro Tag sind nicht konsistent, mit deutlich schlechterem Abschneiden bei diabetischer Polyneuropathie. Ein Vorteil von täglich 600 mg gegenüber 300 mg lässt sich nicht erkennen.

 In der mittleren Dosis von 300 mg senkt Pregabalin bei ungefähr jedem Vierten mit refraktären fokalen Anfällen die Anfallsrate, ähnlich wie Gabapentin (NEURONTIN u.a.).

 Mit Nebenwirkungen wie Schwindel und Somnolenz ist unter 300 mg/Tag bei jedem Dritten bis Fünften zu rechnen. ZNS-Effekte nehmen oberhalb von 150 mg/Tag deutlich zu.

 Randomisierte kontrollierte Langzeitstudien zur Wirksamkeit und Sicherheit fehlen. Die Klärung der Langzeitsicherheit ist besonders im Hinblick auf die im Tierversuch beobachteten Hämangiosarkome und die in klinischen Studien aufgetretenen Gesichtsfeldausfälle dringend erforderlich. Wir sehen beim derzeitigen Kenntnisstand keine Indikation für Pregabalin.

© 2004 arznei-telegramm

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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