Mittel der Wahl zur Behandlung von Angina-pectoris-Beschwerden bei stabiler koronarer Herzkrankheit sind Betablocker, für die bei Zustand nach
Herzinfarkt ein lebensverlängernder Nutzen belegt ist. Für Patienten, die darunter nicht beschwerdefrei sind, werden zusätzlich Nitrate oder
Kalziumantagonisten, in erster Linie langwirkende Dihydropyridine, empfohlen.1 Gegenüber kurzwirksamen Dihydropyridinen wie Nifedipin (ADALAT
u.a.) bestehen seit den 90er Jahren Sicherheitsbedenken (a-t 1995; Nr. 10: 98-9). Langwirkende Kalziumantagonisten
vom Dihydropyridin-Typ scheinen nach den seither veröffentlichten Langzeitinterventionsstudien2,3 (INSIGHT* mit retardiertem Nifedipin und ALLHAT*
mit Amlodipin [NORVASC u.a.]; a-t 2000; 31: 73-4 und 2003; 34: 1-2)
zumindest in der Hochdrucktherapie von Patienten ohne Diabetes sicher zu sein, wenn auch Gleichwertigkeit mit konventionellen Antihypertensiva nicht hinreichend
belegt ist.
Die jetzt veröffentlichte herstellergestützte ACTION*-Studie prüft erstmals die Langzeiteffekte eines langwirkenden Dihydropyridins - Nifedipin GITS**
(eine hierzulande nicht angebotene Retardformulierung, USA: PROCARDIA XL) - bei Patienten mit symptomatischer stabiler koronarer Herzkrankheit.3
Knapp 7.700 durchschnittlich 63 Jahre alte Patienten mit seit mindestens einem Monat stabiler Angina pectoris und linksventrikulärer Auswurffraktion von
mindestens 40% nehmen durchschnittlich 4,9 Jahre lang zusätzlich zur bisherigen Therapie täglich 30 mg bis 60 mg Nifedipin GITS oder Plazebo ein. Etwa
die Hälfte hat einen Herzinfarkt in der Vorgeschichte, 46% eine Herzinsuffizienz im NYHA-Stadium II bis III. 80% nehmen einen Betablocker ein, 56% ein Nitrat
bei Bedarf, 38% ein Nitrat als Dauermedikation. Bei 52% ist der Blutdruck unzureichend eingestellt. Neben Betablockern nehmen nur 30% weitere Antihypertensiva
ein.4
Nifedipin steigert die Herzfrequenz signifikant um durchschnittlich einen Schlag pro Minute. Es senkt den Blutdruck ebenfalls signifikant um
durchschnittlich 6/3 mmHg.4,5 Die Rate der Patienten mit unzureichend eingestelltem Blutdruck nimmt unter Nifedipin von eingangs 52% auf 35% ab, in der
Plazebogruppe nur auf 47%.4 Die unzureichende antihypertensive Therapie insbesondere in der Plazebogruppe mag der klinischen Realität
entsprechen, erscheint uns aber in einer 1996 begonnenen Studie ethisch nicht vertretbar.
Trotz einer höheren Ereignisrate als bei Studienplanung geschätzt und trotz der besseren Blutdruckeinstellung lässt sich für Nifedipin mit 4,6%
versus 4,75% pro Jahr kein Einfluss auf den primären Endpunkt nachweisen, einer Kombination aus Tod, Herzinfarkt, refraktärer Angina pectoris,
neuer oder verschlechterter Herzinsuffizienz, Schlaganfall mit bleibender Behinderung oder peripherer Revaskularisierung (relatives Risiko [RR] 0,97; 95%
Vertrauensintervall [CI] 0,88-1,07). Die Sterblichkeit (1,64% vs. 1,53% pro Jahr; RR 1,07; 95% CI 0,91-1,25) und die Myokardinfarktrate (1,46% vs.
1,39% pro Jahr; RR 1,04; 95% CI 0,88-1,24) unterscheiden sich ebenfalls nicht. Unter den weiteren sekundären Endpunkten werden nur Koronarangiografien
(23,4% vs. 27,8%) und neu auftretende oder sich verschlechternde Herzinsuffizienz (2,2% vs. 3,2%) gemindert. Allerdings könnten sich in der deutlich
größeren Gruppe der Studienabbrecher wegen peripherer Ödeme unter Nifedipin (3,6% vs. 0,5%) Patienten mit unerkannter Herzinsuffizienz
verbergen.
In Subgruppenanalysen wird deutlich, dass die vorbestehende Blutdruckeinstellung den Nifedipin-Effekt signifikant beeinflusst. Patienten mit schlecht
eingestelltem Bluthochdruck scheinen danach von Nifedipin zu profitieren, während sich bei denen mit Normotonie oder gut eingestelltem Bluthochdruck ein
Trend zu Lasten von Nifedipin ergibt.4 Diese Patienten könnten also durch zusätzliches Nifedipin geschädigt werden.
Langwirkendes Nifedipin (Nifedipin GITS; USA: PROCARDIA XL),
zusätzlich zu Betablockern oder Nitraten bei symptomatischer stabiler koronarer Herzkrankheit eingenommen, wirkt sich trotz deutlicher Blutdrucksenkung auf
kardiovaskuläre Komplikationen und Sterblichkeit nicht besser aus als Plazebo.
Der Nifedipin-Effekt scheint nach Subgruppenanalysen von der Qualität der
vorbestehenden Blutdruckeinstellung abzuhängen. Patienten mit Blutdruck von 140/90 mmHg oder darüber profitieren offenbar von zusätzlichem
Nifedipin. Dagegen könnten Patienten mit normotonen Werten durch den Kalziumantagonisten geschädigt werden. Die Ergebnisse dieser
Subgruppenanalysen bedürfen der Überprüfung.
Derzeit lässt sich verzögert freisetzendes Nifedipin (hierzulande ADALAT
RETARD u.a.) als Mittel der Reserve bei symptomatischer stabiler koronarer Herzkrankheit nur dann empfehlen, wenn gleichzeitig ein Bluthochdruck unzureichend
eingestellt ist. Bei normotonen Angina-pectoris-Patienten ist Vorsicht gegenüber retardiertem Nifedipin anzuraten.
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