* Vorversion am 14. Juni 2005 als blitz-a-t veröffentlicht.
Im Produktionsprozess des Lithium-Präparates HYPNOREX RETARD haben sich "technische Probleme ergeben ..., die kurzfristig nicht behoben
werden können", teilt Sanofi Aventis Psychiatern und Nervenärzten am 9. Juni mit.1 Wegen Lieferunfähigkeit empfiehlt die Firma, auf
das ebenfalls Lithiumkarbonat-haltige QUILONUM RETARD von GlaxoSmithKline umzustellen. Dies sei "aus klinischer Sicht ohne Bedenken
möglich".1 Die Unterschiede in Dosierung und Retardierung beider Produkte seien jedoch zu beachten und engmaschige Serumspiegelkontrollen
zu empfehlen, im ersten Monat wöchentlich.1
Der Vorgang wirft Fragen auf: Vor elf Jahren ist HYPNOREX RETARD wegen unzureichender Retardierung aufgefallen,2 ohne dass sich daraus
Konsequenzen ergeben haben. Wie können sich jetzt bei dem fast 40 Jahre alten Produkt technische Probleme ergeben, die zur Lieferunfähigkeit
führen? Warum informiert die Firma die Fachkreise erst, nachdem längst Lieferschwierigkeiten eingetreten sind? Sind die dadurch erforderlichen
kurzfristigen Therapieumstellungen wirklich unbedenklich? Die therapeutische Breite von Lithium ist bekanntermaßen gering. Die Zwangsumstellung erscheint
daher problematisch. Unkontrollierte Veränderungen in der Therapie können mit Intoxikationen, bei Unterdosierung oder Therapieunterbrechung mit
Provokation manischer und depressiver Symptomatik einhergehen. Die Rate an Suizidversuchen und Suiziden steigt nach abruptem Absetzen von Lithium deutlich
an.3
Angesichts des ausufernden deutschen Arzneimittelmarktes erscheint die Situation grotesk: Lieferschwierigkeiten auch bei essenziellen Arzneimitteln werden immer
häufiger. In den 90er Jahren kamen sie nur vereinzelt vor. Jetzt registriert eine Klinikapotheke etwa 100 Lieferengpässe pro Jahr.4 Offensichtlich
ist dies Folge von Globalisierung und Firmenzusammenlegungen: Die Produktion wird europa- oder weltweit auf einen Standort gebündelt und die
Vorratshaltung von Fertigprodukten reduziert. Gleichzeitig nimmt das Interesse von Pharmamanagern an Produkten ab, die nur relativ gering zum Umsatz der
inzwischen riesigen Konzerne beitragen.** So stellt Sanofi Pasteur MSD die Produktion des Pertussis-Impfstoffes PAC MERIEUX wegen veränderter
produktionstechnischer Anforderungen ein (s. auch Seite 66), wahrscheinlich weil auf eine Thiomersal-freie Zubereitung
umgestellt werden müsste. Was sind schon 260.000 Packungen HYPNOREX im Fabrikabgabewert von 2,8 Millionen € bei einem Jahresumsatz von
Sanofi Aventis in Deutschland von fast 1.300 Millionen € allein über öffentliche Apotheken? "Die herstellungsbedingte
Lieferunfähigkeit" sei "in der Zwischenzeit behoben", teilt die Firma nach mehrfachen Anfragen mit und offenbart gleichzeitig das Desinteresse
an HYPNOREX: Durch die "zwischenzeitliche" Belieferung sei es möglich, die "Patienten kontrolliert auf QUILONUM RETARD umzustellen, da
eine kontinuierliche Versorgung mit HYPNOREX RETARD langfristig nicht garantiert werden kann".5 Die Produktion wird also eingestellt. Aber warum
sagt man dies nicht deutlich?
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Ärgerlich ist auch die endgültige Produktionseinstellung des Diuretikums Etacrynsäure (HYDROMEDIN), eines
essenziellen Mittels der Reserve als Alternative bei Unverträglichkeit gegen Sulfonamid-Strukturen.
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Ärzte und Apotheker erfahren von Liefereinstellungen oft nur zufällig: Firmen informieren "in den seltensten Fällen prophylaktisch", dass
eine Bestellung nicht ausgeführt werden kann.4 Wie bei HYPNOREX RETARD wird häufig erst allmählich deutlich, dass eine ausbleibende
Lieferung Zeichen einer Produktionseinstellung ist.
Versorgungsengpässe bei bewährten Arzneimitteln erscheinen nicht selten als Versuch, teurere Alternativpräparate durchzusetzen. Mit neueren, erst
seit kurzem zur Prävention depressiver Phasen bei bipolarer Störung angebotenen Antiepileptika wie Lamotrigin (ELMENDOS; a-t 2004; 35: 2-4) oder der schon länger Off-label verwendeten Valproinsäure, die Sanofi Aventis jetzt zeitgleich
mit der Produktionseinstellung von HYPNOREX auch zur Prophylaxe bipolarer Störungen in den Handel bringt (ERGENYL CHRONOSPHERE), lassen sich
höhere Umsätze erzielen als mit Lithium. Dieses ist jedoch nach wie vor Standardtherapeutikum.
Als konventionelles Amphotericin B (AMPHOTERICIN B) nicht lieferbar war, stand das hochpreisige liposomale Produkt AMBISOME als Ersatz zur
Verfügung.4 Sanofi Aventis empfahl, als Ersatz für nicht lieferbare ARTERENOL (Noradrenalin)-Flaschen zu 25 ml vorübergehend auf die
teuren und für die Verwendung im Perfusor unpraktikablen 1-ml-Ampullen auszuweichen.
Der mit Lieferversagen einhergehende Mehraufwand und die Mehrkosten gehen zu Lasten der Anwender oder Kostenträger. Ärztliche Bemühungen
um Compliance bleiben - wie bei HYPNOREX - auf der Strecke.
Noch vor kurzem wollten sich Großbanken von Kleinkunden trennen, da diese nicht profitabel seien. Längst haben die Banken ihre
Fehleinschätzung erkannt und buhlen wieder um die "kleinen Leute". So gesehen haben Großkonzerne wie Sanofi noch einen Lernprozess vor
sich. Wahrscheinlich muss aber der Erhalt essenzieller Arzneimittel mit geringem Umsatz durch supranationale politische Regelungen sichergestellt werden.
| 1 | Sanofi Aventis: Schreiben vom 9. Juni
2005 |
| 2 | HEIM, W. et al.: Pharmacopsychiat. 1994;
27: 27-31 |
| 3 | BALDESSARINI, R.J. et al.: Bipolar
Disorders 1999; 1: 17-24 |
| 4 | DEUTSCHMANN, W.:
Krankenhauspharmazie 2005; 26: 14-9 und 54-7 |
| 5 | Sanofi Aventis: Schreiben vom 17. Juni
2005 |
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