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Korrespondenz

CHOLERA-IMPFSTOFF DUKORAL
Schluckimpfung gegen Reisedurchfall?

Für den neuen Cholera-Impfstoff DUKORAL wird ein Schutz gegen Cholera und ETEC-Infektionen versprochen. Wie valide sind die vorgebrachten Aussagen?

Dr. med. V. NASER (Facharzt für Innere Medizin, Umweltmedizin)
D-74076 Heilbronn
Interessenkonflikt: keiner

Bis zu 50% der Reisenden nach Afrika, Lateinamerika und Asien erkranken an Durchfall.1 Die Beschwerden klingen unbehandelt meist nach wenigen Tagen ab. Häufigste Infektionsquellen sind verunreinigtes Wasser und kontaminierte Lebensmittel. Die wichtigste Vorbeugung beschreibt die Tropenregel "Cook it, boil it, peel it or forget it": Nur gekochte Speisen essen, Früchte selbst schälen, auf rohes Gemüse sowie ungekochtes Wasser und daraus hergestellte Eiswürfel verzichten (vgl. a-t 1998; Nr. 7: 63). Von einer prophylaktischen Einnahme von Antibiotika, beispielsweise Ciprofloxacin (CIPROBAY u.a.), wird wegen zunehmender Resistenzentwicklung und potenzieller Störwirkungen abgeraten.2

Etwa die Hälfte der Reisediarrhöen wird durch enterotoxische E.-coli-Stämme (ETEC) hervorgerufen.1 Das Risiko, an Cholera zu erkranken, ist dagegen für Touristen selbst in Epidemiegebieten sehr niedrig.2 Personen mit Blutgruppe 0 oder mit verminderter Magensäureproduktion sind eher betroffen.1

Eine Impfung gegen Cholera wird nur besonders gefährdeten Personen wie Mitarbeitern in Flüchtlingscamps angeraten. Sie ersetzt keinesfalls hygienische Vorbeugemaßnahmen und soll laut WHO mit einer oralen Vakzine erfolgen. Der hierzulande seit 2002 nicht mehr verfügbare Parenteralimpfstoff wird wegen unzureichender Wirksamkeit ausdrücklich nicht empfohlen.2 Obwohl offiziell kein Land mehr die Cholera-Impfung als Voraussetzung für eine Einreise fordert, wird sie offenbar in einigen Ländern "inoffziell" verlangt, beispielsweise wenn die Ankunft aus einem Land erfolgt, in dem Cholera vorkommt oder wenn nicht über den internationalen Flughafen eingereist wird (z.B. Kolumbien, Tansania [speziell Sansibar], Venezuela).3

Der hierzulande seit Oktober 2004 erhältliche orale inaktivierte Cholera-Impfstoff DUKORAL ist in Schweden seit 1991 auf dem Markt.

EIGENSCHAFTEN: DUKORAL enthält neben inaktivierten Cholerabakterien der Serogruppe O1 die rekombinant hergestellte, nicht toxische B-Untereinheit des Choleratoxins. Gegen Infektionen mit Choleravibrionen der Serogruppe O139, die seit 1992 in Südostasien auftreten, wirkt die Vakzine nicht.1

Der Impfstoff wird zusammen mit einer Bikarbonat-Pufferlösung eingenommen, die das säurelabile Choleratoxin vor der Magensäure schützen soll. Erwachsene und Kinder ab sechs Jahren erhalten zwei Dosierungen im Abstand von ein bis sechs Wochen, Kinder von zwei bis sechs Jahren drei Dosierungen. Die Immunisierung soll eine Woche vor potenzieller Exposition abgeschlossen sein. Auffrischungen werden nach zwei Jahren bzw. bei Zwei- bis Sechsjährigen nach sechs Monaten fällig.4

KLINISCHE WIRKSAMKEIT: In drei "Schlüsselstudien"5-7 mit mehr als 113.000 Teilnehmern, von denen die mit knapp 22.000 Personen zweitgrößte Untersuchung5 negativ verläuft, wird die Wirksamkeit von DUKORAL gegen Cholera bei Personen aus Endemie- (Bangladesch)6,8 und Epidemiegebieten (Peru)5,7 geprüft. In den beiden Positivstudien beträgt die Schutzrate innerhalb von fünf bzw. sechs Monaten nach Immunisierung 85%7,8 und nimmt danach deutlich ab (62%/57% im ersten/zweiten Jahr).6 Bei Kindern unter sechs Jahren ist der Nutzen auf sechs Monate begrenzt.1,4 Aussagefähige Studien zum Schutz vor Cholera mit europäischen Urlaubern gibt es nicht.1 Dass sich die Ergebnisse der oben angeführten Untersuchungen auf diese übertragen lassen,1 halten wir für zweifelhaft.

Überlegungen, wonach der Cholera-Impfstoff auch gegen Infektionen mit ETEC schützen könnte, basieren auf der strukturellen, funktionellen und immunologischen Ähnlichkeit des hitzelabilen Enterotoxins von E. coli mit dem Choleratoxin.1 Die Ergebnisse einer Studie9 mit 615 finnischen Pauschaltouristen, die Urlaub in Marokko machen, werden vom europäischen Arzneispezialitätenausschuss jedoch als "statistisch grenzwertig" und "klinisch nicht überzeugend" interpretiert1 (Durchfallraten insgesamt 24% vs. 31% [p = 0,03], mit Nachweis von ETEC 4,6% vs. 9,4% [p = 0,013], gewähltes Signifikanzniveau p < 0,01).9 Die Behörde hat die Zulassung dieser Indikation daher abgelehnt.1 Die im Deutschen Ärzteblatt im Rahmen einer zertifizierten Fortbildung gegebene Empfehlung, DUKORAL in Einzelfällen Off-label zu verordnen,10 lässt sich angesichts der Datenlage nicht begründen.

STÖRWIRKUNGEN: Unerwünschte Effekte wurden in den klinischen Studien nur unzureichend erfasst, sodass sich das Sicherheitsprofil von DUKORAL nach Ansicht der EMEA nur begrenzt beurteilen lässt.1 Demnach ist gelegentlich (0,1% bis 1%) mit Durchfall, Bauchkrämpfen und Kopfschmerzen zu rechnen, selten bis sehr selten mit Übelkeit und Erbrechen sowie systemischen Symptomen wie Atemwegsbeschwerden, Fieber, Schwindel, Gelenkschmerzen, vermindertem Geschmacksinn, Hautausschlag u.a.4 Angesichts von mehr als 1 Million eingenommenen Dosierungen durch schätzungsweise 500.000 skandinavische Reisende innerhalb von zehn Jahren und 72 gemeldeter Störwirkungen in diesem Zeitraum stuft die Behörde den Impfstoff jedoch als "sicher" ein.1

KOSTEN: Zwei Dosierungen des Schluckimpfstoffs kosten 49,90 € (Österreich: 70,40 €).

 Das Risiko für Touristen, an Cholera zu erkranken, ist sehr gering, eine Impfung daher allenfalls für gefährdete Personen wie Mitarbeiter in Flüchtlingslagern angezeigt. Hygienische Vorbeugemaßnahmen haben Vorrang.

 Für den oralen Choleraimpfstoff DUKORAL ist ein Nutzen nur für Personen aus Gegenden belegt, in denen Cholera endemisch ist bzw. epidemisch auftritt. Dass sich die Ergebnisse auf europäische Reisende übertragen lassen, halten wir für zweifelhaft.

 Ein Schutz vor den häufigeren Infektionen mit enterotoxischen E.-coli- Stämmen (ETEC) ist nicht hinreichend gesichert. DUKORAL ist für diese Indikation daher nicht zugelassen.

 

 

(R = randomisierte Studie)

 

1

EMEA: Europ. Bewertungsbericht DUKORAL vom 6. Febr. 2005 http://www.emea.eu.int/humandocs/Humans/EPAR/dukoral/dukoral.htm

 

2

WHO: International travel and health 2005
http://whqlibdoc.who.int/publications/2005/9241580364.pdf

 

3

http://www.auswaertiges-amt.de/www/de/laenderinfos/index_html

 

4

Chiron: Fachinformation DUKORAL, Stand April 2004

R

5

TAYLOR, D.N. et al.: J. Infect. Dis. 2000; 181: 1667-73

R

6

CLEMENS, J.D. et al.: Lancet 1990; 335: 270-3

R

7

SANCHEZ, J.L. et al.: Lancet 1994; 344: 1273-6

R

8

CLEMENS, J.D. et al.: Lancet 1986; 2: 124-7

R

9

PELTOLA, H. et al.: Lancet 1991; 338: 1285-9

 

10

BURCHARD, G.-D., FLEISCHER, B.: Dt. Ärztebl. 2005; 102: C1452-8

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