WIE AUSSAGEKRÄFTIG SIND VORZEITIG ABGEBROCHENE STUDIEN? | |||||||||||||||||||||||||||||||||
Randomisierte klinische Studien, die vorzeitig abgebrochen werden, weil sie einen Vorteil der geprüften Intervention erkennen lassen, erfahren in
der Regel besondere Beachtung und beeinflussen nicht selten Therapiestandards. Jüngstes Beispiel sind die Vorgänge um Trastuzumab (HERCEPTIN) in
der adjuvanten Brustkrebstherapie (a-t 2005; 36: 96-8). Gegenüber den Ergebnissen solcher Studien sei Skepsis
angebracht, urteilen jetzt die Autoren einer systematischen Übersicht.1 Sie bewerten Studien, die wegen angeblicher Vorteile vorzeitig beendet
wurden, hinsichtlich ihrer Häufigkeit, dem Ausmaß und der Plausibilität des Behandlungseffekts sowie der Qualität der publizierten Informationen.
Zwischen 1975 und 2004 haben sie 143 abgebrochene Studien ausfindig gemacht, mehr als die Hälfte in den Gebieten Kardiologie, Krebs und HIV/ AIDS.
Jede zweite findet sich im New England Journal of Medicine (55) oder im Lancet (27). Im untersuchten Zeitraum hat sich der Anteil solcher Studien an allen in
Medline aufgeführten randomisierten Studien von 0,01% auf 0,1% verzehnfacht. Die Qualität der Veröffentlichungen hinsichtlich der für
den vorzeitigen Abbruch relevanten Informationen (z.B. geplante Fallzahl oder nach welcher Zwischenanalyse die Studie beendet wird) lässt zu wünschen
übrig: Nur in acht Studien (6%) werden alle für die Beurteilung wichtigen Kriterien berichtet. Zum Zeitpunkt des Studienstopps sind durchschnittlich 63%
der geplanten Teilnehmer aufgenommen, die mediane Nachbeobachtungszeit beträgt 13 Monate, und die Analyse basiert im Median auf 66
Ereignissen.1
Neben grundsätzlichen Vorbehalten gegenüber den Ergebnissen vorzeitig gestoppter Studien spielt auch die Auswahl des für den Abbruch entscheidenden Endpunkts eine wichtige Rolle. Bei Krebs beispielsweise sollen therapeutische Interventionen Leben verlängern und/oder die Lebensqualität verbessern. In adjuvanten Therapiesituationen wie den Untersuchungen mit Trastuzumab oder Aromatasehemmern bei Brustkrebs basiert der Entschluss zum vorzeitigen Studienstopp aber üblicherweise auf einem Vorteil hinsichtlich des krankheitsfreien Überlebens.7 Ein Einfluss auf die Gesamtsterblichkeit ist dagegen nicht hinreichend belegt und lässt sich unter Umständen nie mehr klären. Entscheidende Fragen zur Sicherheit bleiben ebenfalls offen, unter anderem deshalb, weil aufgrund der kurzen Nachbeobachtung die Rate unerwünschter Effekte für hinreichend verlässliche Aussagen zu niedrig ist. Entsprechende Vorbehalte gelten für den Endpunkt "progressionsfreies Überleben"bei fortgeschrittener Krebserkrankung.1,7 Bei kombinierten Endpunkten ist darauf zu achten, dass der Vorteil nicht ausschließlich auf dem für Patienten am wenigsten wichtigen Ereignis beruht (z.B. Rückgang der Angina-pectoris-Rate beim Kombinationsendpunkt Tod, Herzinfarkt oder Angina).1 Als Begründung für einen vorzeitigen Abbruch werden meist ethische Aspekte angeführt: Da der "Nutzen" der Intervention nunmehr erwiesen sei, könne man sie der Kontrollgruppe nicht mehr vorenthalten. Den Interessen der Patienten in randomisierten Studien steht aber der Schutz der Gesellschaft (und natürlich auch der Teilnehmer) vor "übereifrigen voreiligen Behauptungen" angeblicher Behandlungserfolge gegenüber.2 Was folgt daraus für Trastuzumab in der adjuvanten Brustkrebstherapie? "Das Beste, was über die Wirksamkeit und Sicherheit von HERCEPTIN in der Behandlung des frühen Brustkrebs gesagt werden kann, ist, dass die vorliegende Evidenz für eine verlässliche Beurteilung ungenügend ist", kommentiert Lancet und erinnert daran, dass dem Hersteller Roche die Daten bislang nicht einmal ausreichen, um sie den Zulassungsbehörden vorzulegen.8 Kontrollierte klinische Studien werden zunehmend häufiger wegen hoch signifikanter positiver Zwischenergebnisse vorzeitig abgebrochen. Es besteht die Gefahr, dass es sich bei dem festgestellten - oft auffällig großen - Behandlungseffekt um einen zufällig gemessenen Höchstwert handelt, der bei Fortsetzung der Studie kleiner wird. Ein statistischer "Grenzwert" sollte bei Erwägung eines vorzeitigen Studienabbruchs daher nur als ein Aspekt unter anderen betrachtet werden. Entscheidender ist das Vorhandensein hinreichender Daten für die Beurteilung patientenrelevanter Endpunkte wie Gesamtüberleben oder Sicherheit.
| |||||||||||||||||||||||||||||||||
© 2005 arznei-telegramm |
Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten
Diese Publikation ist urheberrechtlich geschützt. Vervielfältigung sowie Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen ist nur mit Genehmigung des arznei-telegramm® gestattet.