Mehrfach haben wir auf die unklare Datenlage zur optimalen Dauer der Behandlung mit Clopidogrel (ISCOVER, PLAVIX) als Zusatz zu
Azetylsalizylsäure (ASPIRIN u.a.; ASS) bei Medikamenten-freisetzenden Stents hingewiesen, die dringend der Klärung durch systematische
Untersuchungen bedarf, zuletzt in a-t 2006; 37: 101-2 und 107-9. Bisherige Register- und Beobachtungsdaten weisen darauf hin, dass die Gefahr
später Stentthrombosen (mehr als 30 Tage nach Implantation) dann besteht, wenn Clopidogrel vorzeitig abgesetzt wird, also früher als nach drei
(Sirolimus-Stent [CYPHER]) oder sechs Monaten (Paclitaxel-Stent [TAXUS]).1-3 Dies beschreiben auch mehrere Kasuistiken,4-6 wobei
Clopidogrel hier zum Teil auch mit ASS zusammen abgesetzt wurde.7,8 Seit der Publikation von zwei neuen Beobachtungsstudien über
Stentthrombosen mehr als sechs Monate nach Einlage9,10 und Berichten beim Weltkongress für Kardiologie in Barcelona11 über vermehrte
Todesfälle und Infarkte unter beschichteten Stents wird zunehmend gefordert, diese Patienten mindestens ein Jahr lang mit Clopidogrel zu behandeln.
In der BASKET-LATE*-Extensionsstudie9 werden 746 Patienten, die zuvor an einem sechsmonatigen randomisierten Vergleich von beschichteten und
unbeschichteten Stents teilgenommen hatten und während dieser Zeit komplikationsfrei geblieben waren, ein weiteres Jahr lang nachbeobachtet. Alle
Patienten haben Clopidogrel nach sechs Monaten abgesetzt, nehmen aber weiterhin ASS ein. Zwischen dem 6. und dem 18. Studienmonat treten kardiale
Todesfälle unter beschichteten Stents tendenziell (1,2% vs. 0%; p = 0,09) und kardiale Todesfälle oder Infarkte signifikant häufiger auf als bei
Patienten, die einen unbeschichteten Stent erhalten haben (4,1% vs. 1,3%; p=0,01). Die Komplikationen werden großteils als Ausdruck von Stentthrombosen
gedeutet. Angiografisch gesicherte Stentthrombosen (1,4% vs. 0,8%) sind numerisch häufiger. Die Ereignisse treten kontinuierlich und nicht gehäuft nach
Absetzen von Clopidogrel auf, im Median nach 116 (15-362) Tagen. Die Autoren halten einen Zusammenhang der späten Stentthrombosen unter
beschichteten Stents mit dem Absetzen von Clopidogrel für möglich, aber unzureichend belegt. Schon das Design der Studie lässt eine solche
Schlussfolgerung auch nicht zu.
* BASKET-LATE = BAsel Stent Kosten Effektivitäts Trial - LAte Thrombotic Events
In einer weiteren Beobachtungsstudie werden Patienten, die sechs bzw. zwölf Monate nach PCI mit Stent komplikationsfrei sind, bis zu 24 Monate
nachbeobachtet.10 Sie werden in zwei Kohorten eingeteilt, je nachdem, ob sie nach sechs bzw. zwölf Monaten noch Clopidogrel einnehmen oder
nicht, und die Raten an Infarkten und/oder Todesfällen verglichen. Bei den Analysen wird für verschiedene Faktoren adjustiert, die auf die Clopidogrel-
Medikation Einfluss haben könnten.
Bei 579 Patienten, die sechs Monate nach Einlage eines beschichteten Stents kein Clopidogrel mehr einnehmen, ist die Mortalität (5,3% vs. 2,0%; Hazard-Ratio
[HR] 2,43; p = 0,03) in den folgenden 18 Monaten signifikant höher und Infarkte oder Todesfälle signifikant häufiger als bei den 637 Patienten, die
Clopidogrel nicht abgesetzt haben (7,2% vs. 3,1%; HR 1,93; p = 0,04). Für weniger als 50% der Patienten liegen allerdings Daten bis zum Monat 24 vor. In der
Gruppe ohne Clopidogrel haben zudem signifikant mehr Patienten auch ASS abgesetzt als in der Gruppe mit Clopidogrel (26% vs. 6%). Werden nur die Patienten
ausgewertet, die standardgemäß ASS einnehmen, ist die Mortalität bei Patienten mit noch bestehender zusätzlicher Clopidogrel-Medikation nicht
signifikant geringer als bei solchen ohne Clopidogrel. Lediglich die Rate an Infarkten plus Todesfällen soll geringer sein (p = 0,02; HR nicht
angegeben).10
Bei 252 Patienten, die zwölf Monate nach Einlage eines beschichteten Stents weiterhin Clopidogrel einnehmen, sind Infarktrate (0% vs. 1,0%), Mortalität
(0% vs. 3,5%) und Todesfälle oder Infarkte (0% vs. 4,5%) bei der Nachbeobachtung signifikant geringer als bei den 276 Patienten ohne Clopidogrel. Daten bis
zu 24 Monaten liegen für etwa 90% der Patienten vor. Auch hier haben aber signifikant mehr Patienten, die Clopidogrel abgesetzt haben, auch die Einnahme
von ASS beendet als Patienten mit Clopidogrel (15% vs. 7%). Konkrete Daten zur Frage, ob eine nach zwölf Monaten bestehende Clopidogrel-Medikation auch
in der Subgruppe der Patienten mit ASS mit einer geringeren Rate kardiovaskulärer Ereignisse einhergeht, werden nicht berichtet.10
Bei den insgesamt 2.393 Patienten mit unbeschichteten Stents unterscheiden sich Mortalität und Infarktrate in den Gruppen mit oder ohne Clopidogrel-
Medikation nach sechs oder zwölf Monaten in der Nachbeobachtungsphase bis zum Monat 24 nicht signifikant voneinander.10
Die Ergebnisse der Studie sind nicht leicht zu interpretieren: Die Kohorten mit und ohne Clopidogrel nach sechs bzw. zwölf Monaten waren nicht randomisiert.
Bei der Nachbeobachtung der Kohorte ohne Clopidogrel nach sechs Monaten werden auch Ereignisse miterfasst, die auf eine zu frühe Beendigung der
Clopidogrel-Therapie zurückzuführen sind (vor Ende des dritten bzw. sechsten Monats - die Art der verwendeten Stents wird weder berichtet noch
berücksichtigt). Für eine epidemiologische Studie scheint die Assoziation (Hazard Ratio) zwischen Infarkten bzw. Todesfällen und dem Absetzen von
Clopidogrel nur mäßig ausgeprägt. Sie ist zudem wenig robust, wie die Ergebnisse für die Gruppe der Patienten zeigen, die (gemäß
Standard) weiter ASS einnehmen.
Die Autoren selbst sehen in den Ergebnissen keinen Beweis für die protektive Wirkung einer verlängerten Clopidogrel-Therapie und fordern zur
Klärung große randomisierte Studien. Blutungskomplikationen unter einer dualen Plättchenhemmung (schwere ca. 1% pro Jahr), die zur Beurteilung
der Nutzen-Schaden-Relation nötig wären, werden nicht erfasst.
Die Genese der in etwa 50% mit Infarkten und kardialen Todesfällen einhergehenden späten Stentthrombosen bei beschichteten Stents ist komplex (z.B.
verzögerte Endothelialisierung, gestörte Intimaneubildung, allergische Entzündungsprozesse).12 Im Praxisalltag sind sie mindestens zwei- bis
dreifach häufiger als unter Studienbedingungen, was damit erklärt wird, dass die Stents häufig außerhalb geprüfter Indikationen eingesetzt
werden.13 Sichere Verfahren, diese Komplikationen zu verhindern, gibt es bisher nicht. Ob längerfristige Therapie mit Clopidogrel (zusätzlich zu
ASS) wirksam ist, muss auch nach den neuen Studiendaten als unklar gelten. Fehlende Häufung von Stentthrombosen direkt nach Absetzen von
Clopidogrel9,10 und ihr Auftreten 2 bis 20 Monate nach planmäßiger Beendigung der Einnahme während stabiler Krankheitsphasen14-
17 sind ein Indiz dafür, dass auch andere Faktoren als die Aktivierung von Thrombozyten eine wesentliche Rolle spielen. Einhellig werden mittlerweile
adäquate Studien gefordert. Der Vergleich einer dualen Aggregationshemmung über sechs oder zwölf Monate bei Sirolimus-Stents soll in Planung
sein.18 Ein Expertengremium hat der FDA im Dezember geraten, für beschichtete Stents Warnhinweise auszusprechen und Clopidogrel für eine
Dauer von zwölf Monaten zu empfehlen.19,20 Die Entscheidung der FDA steht aus.
Bis zur Klärung sollten Medikamente-freisetzende Stents nur zurückhaltend und in geprüften Indikationen eingesetzt werden. Dann muss eine
zuverlässige und kontinuierliche Einnahme von Clopidogrel über drei bzw. sechs Monate gemäß Empfehlungen der Hersteller und US-
amerikanischer Fachgesellschaften sichergestellt und ASS auf Dauer eingenommen werden. Vorzeitiges Absetzen darf nur in vital bedrohlichen Situationen erfolgen,
elektive Operationen sind gegebenenfalls zu verschieben. In Situationen mit erhöhtem Risiko für späte Stentthrombosen, beispielsweise komplexen,
langstreckigen und Bifurkationsstenosen,2 und geringem Blutungsrisiko kann nach umfassender Aufklärung eine duale Aggregationshemmung für
bis zu zwölf Monate vertretbar sein.
Die optimale Dauer der Einnahme von Clopidogrel (ISCOVER, PLAVIX)
zusätzlich zu Azetylsalizylsäure (ASS; ASPIRIN u.a.) bei Patienten mit Medikamenten-freisetzenden Stents bleibt weiter unklar und kann nur durch
randomisierte Studien ermittelt werden.
Beobachtungsstudien deuten an, dass bei beschichteten Stents nach Absetzen von
Clopidogrel trotz vorheriger Einnahme über die empfohlene Dauer späte Stentthrombosen auftreten, können einen ursächlichen
Zusammenhang aber nicht belegen.
Blutungsraten bei verlängerter Einnahme wurden in bisherigen
Nachbeobachtungen nicht erfasst. Nutzen-Schaden-Bewertungen einer verlängerten dualen Plättchenhemmung sind somit nicht möglich.
Vordringlich erscheint derzeit, beschichtete Stents äußerst
zurückhaltend einzusetzen.
Eine verlängerte duale Aggregationshemmung erscheint nur bei hohem Risiko
für Stentthrombosen und geringem Blutungsrisiko begründbar.
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