* Vorversion am 22. März 2007 als blitz-a-t veröffentlicht.
In Japan sollen Kinder ab 10 Jahren und Jugendliche mit Influenza nur noch in Ausnahmefällen den Neuraminidasehemmer Oseltamivir (TAMIFLU) erhalten. Gleichzeitig weist das Gesundheitsministerium den japanischen Vertreiber an, in
Krankenhäusern Sicherheitsinformationen über das Mittel zu verteilen. Hintergrund sind erneute Berichte über Jugendliche, die in zeitlichem
Zusammenhang mit der Anwendung von Oseltamivir aus Gebäuden sprangen (vgl. a-t 2005; 36: 113-
4).1 Im Februar kamen dabei zwei 14-Jährige zu Tode, die am gleichen bzw. am Vortag mit der Einnahme des Neuraminidasehemmers begonnen
hatten.2,3 Zwei 12-Jährige überlebten einen Sprung aus dem zweiten Stock. Bei beiden konnten Ärzte eine Manifestation der Influenza im
Gehirn ausschließen.1
Bis Oktober 2006 bestätigt das japanische Gesundheitsministerium 16 Berichte über Kinder und Jugendliche bis einschließlich 16 Jahren, die unter
Oseltamivir verhaltensauffällig werden und zu Tode kommen.3 Verhaltensstörungen einschließlich Fensterstürzen sind aber auch bei
Erwachsenen dokumentiert.4 Trotz des zunehmenden öffentlichen Drucks taten sich die japanischen Behörden bislang schwer,
Maßnahmen zu ergreifen, die über den in der Fachinformation gelisteten Hinweis auf mögliche neuropsychiatrische Effekte wie bizarres Verhalten
hinausgehen. Begründet wurde dies stets mit dem fehlenden Nachweis eines Kausalzusammenhangs zwischen dem abnormen Verhalten und der Einnahme
von Oseltamivir.2,5 Auch das Ergebnis einer Überwachung von rund 2.800 japanischen Kindern durch eine vom Gesundheitsministerium eingesetzte
Kommission soll keinen Hinweis auf einen Zusammenhang ergeben haben.2 Allerdings hat deren Vorsitzender inzwischen eingeräumt, in den
vergangenen Jahren umgerechnet rund 58.000 Euro (9 Mio. Yen) vom japanischen TAMIFLU-Importeur erhalten zu haben.6 Kritik kommt auch vom
unabhängigen japanischen Institut für Pharmakovigilanz, das nach erneuter Analyse der Daten einen deutlichen zeitlichen Zusammenhang
sieht.2
Gestützt wird diese Beurteilung durch eine Auswertung aller innerhalb eines Jahres dokumentierten überwiegend aus Japan stammenden Berichte zu
neuropsychiatrischen Ereignissen durch die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA. Diese Analyse hatte Ende vergangenen Jahres dazu geführt,
dass in der US-amerikanischen TAMIFLU-Produktinformation inzwischen auf Selbstgefährdung und Verwirrtheit hingewiesen wird sowie auf die Notwendigkeit,
Patienten mit Influenza während der Behandlung engmaschig auf bizarres Verhalten zu überwachen. Das zuständige Beraterkomitee betont den
engen zeitlichen Zusammenhang: Die Symptome beginnen in der Mehrzahl der Fälle nach ein oder zwei Dosierungen Oseltamivir. Zudem stufen viele der
berichtenden Ärzte die beobachteten Effekte als Arzneimittel-induziert ein mit rascher und vollständiger Rückbildung nach Absetzen. Da die
beschriebenen Verhaltensstörungen und Suizide andererseits nicht typisch sind für Enzephalitis oder Delir im Rahmen einer Influenza, schließen das
Komitee und die FDA einen ursächlichen Zusammenhang mit Oseltamivir nicht mehr aus (vgl. a-t 2006; 37:
122).7
Der TAMIFLU-Hersteller Roche erklärt in einer Pressemitteilung8 anlässlich der Ereignisse in Japan verharmlosend, "Delirium und
neuropsychiatrische Störungen" seien "im Zusammenhang mit einer Grippe nicht ungewöhnlich". Die zusätzlich zur Entlastung des
Neuraminidasehemmers angeführten Studien, in denen neurologische und psychiatrische Ereignisse bei Patienten unter Oseltamivir nicht häufiger
vorkommen sollen als bei solchen ohne das Mittel, sind nicht veröffentlicht und lassen sich daher nicht beurteilen. Auf unsere Frage nach Schritten zur
Information und Gefahrenabwehr hierzulande erklärt die Firma, es seien keine Maßnahmen geplant,9 obwohl japanischen Tageszeitungen bereits
einen Tag zuvor zu entnehmen war, dass ein Hinweis auf neuropsychiatrische Störwirkungen und die Notwendigkeit einer engmaschigen Überwachung
nach Angaben von Mitarbeitern der Europäischen Arzneimittelbehörde EMEA in Vorbereitung ist.10 Einen Tag danach bestätigt die
Behörde dies in einer Pressemitteilung.11
Die Behandlung der Influenza mit dem Neuraminidasehemmer Oseltamivir (TAMIFLU) birgt
unkalkulierbare Risiken einschließlich selbstgefährdender Verhaltensstörungen.
Angesichts des marginalen Nutzens bei gesunden Kindern und Erwachsenen und
des fehlenden Nachweises einer Wirksamkeit bei Patienten mit chronischen kardialen und/oder respiratorischen Erkrankungen12 (a-t 2006; 37: 51 und 2005; 36: 62-3) raten wir von Oseltamivir bei
Virusgrippe ab.
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