Keine Erkältungsmittelkombinationen für Kinder - und auch nicht für Erwachsene
Therapiegewohnheiten unterscheiden sich international erheblich. So erhalten in Deutschland Kleinkinder mit Erkältungskrankheiten im Rahmen der Selbstmedikation des öfteren Säfte oder Tropfen mit Thymian- und anderen Pflanzenextrakten (z.B. BRONCHIPRET Saft) oder homöopathische Mittel (INFLUDO u.a.). In den USA ist es hingegen verbreitet, dass bereits Säuglinge und Kleinkinder rezeptfreie Husten- und Erkältungsmittel-Kombinationen erhalten, die Sympathomimetika, Antihistaminika, Expektoranzien, Antitussiva und/oder Analgetika bzw. fiebersenkende Mittel enthalten. Solche Schrotschusskombinationen werden hierzulande gar nicht für Kleinkinder angeboten, sondern üblicherweise für Jugendliche und Erwachsene (GRIPPOSTAD, WICK MEDINAIT u.a.). Wegen schwerwiegender Nebenwirkungen und Todesfälle haben jetzt einige Firmen in den USA 14 Zubereitungen für Kinder unter zwei Jahren freiwillig aus dem Handel gezogen. Offensichtlich wollten sie damit dem drohenden Verbot durch die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA zuvorkommen. Die Maßnahme reicht dem Beraterkomitee der FDA jedoch nicht aus. Mit 13 gegen 9 Stimmen empfiehlt es der FDA, solche Präparate auch für Kinder unter sechs Jahren zu verbieten. Die Nutzen-Schaden-Abwägungen des Beraterkomitees haben auch für den deutschen Markt Relevanz. Antitussiva - allein oder in Kombination mit abschwellenden Mitteln - lassen in Studien bei Kindern keinen Vorteil gegenüber Plazebo erkennen. Die Datenlage für Antihistaminika, allein oder in Kombination mit abschwellenden Mitteln für Erwachsene zur Behandlung von Erkältungssymptomen wird als ähnlich schlecht eingestuft (BERKELHAMER, J.E.: Am. Acad. Pediatr. in: Non Prescription Drug Advisory Committee Meeting, 18. und 19. Oktober 2007; http://www.fda.gov/ohrms/dockets/ac/07/briefing/2007-4323b1-02-FDA.pdf [Seite 325-8]). Schadwirkungen von Erkältungsmittelkombinationen sind hingegen dokumentiert. Bis 2006 wurden der FDA in Verbindung mit Erkältungsmitteln 114 Todesfälle bei Kindern angezeigt. Komplikationen gehen oft auf versehentliche Überdosierungen zurück. Diese werden durch Mischpräparate begünstigt. Den Anwendern der rezeptfreien Mittel geht der Überblick über Art und Dosis der Bestandteile verloren, wenn gleichzeitig Produkte mit gleichen oder ähnlichen Wirkstoffen verwendet werden (ABATE, R.: FDA, Division of Medical Errors and Technical Support: ebenda, Seite 253-65). Intoxikation durch Intransparenz gefährdet auch jugendliche und erwachsene Anwender in Deutschland. Werden am Tag beispielsweise die empfohlene Dosis von dreimal täglich zwei Tabletten des rezeptfreien DOREGRIPPIN (enthalten insgesamt 3 g Parazetamol u.a.) gegen Erkältungsbeschwerden und zusätzlich die empfohlene Höchstdosis von 4 g des ebenfalls rezeptfreien Parazetamols (BEN-U-RON 1000 mg u.a.) gegen Schmerzen oder Fieber eingenommen, liegt die Gesamtdosis mit 7 g Parazetamol bereits im für die Leber toxischen Bereich. Angesichts der unbefriedigenden Nutzendokumentation und der Risiken der Mischpräparate gegen Erkältungen sollte auf diese verzichtet werden. Dies gilt unseres Erachtens nicht nur für Kinder bis sechs Jahre, sondern auch für Jugendliche und Erwachsene. Sinnvoller und in den Risiken besser überschaubar erscheint uns die gezielte Behandlung der vorherrschenden Symptome, beispielsweise mit Parazetamol oder Azetylsalizylsäure (ASS nicht bei Kindern mit fieberhaftem Infekt) bei Schmerzen und Fieber beziehungsweise mit Salzlösungen oder dem kurzzeitigen Gebrauch abschwellender Nasentropfen bei verstopfter Nase, -Red.
© 2007 arznei-telegramm, publiziert am 9. November 2007
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