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Therapiekritik

ANTIEPILEPTIKA: NEU GEGEN ALT GEPRÜFT

In den vergangenen 15 Jahren kamen in Deutschland elf neue Antiepileptika in den Handel, von denen fünf - Gabapentin (NEURONTIN, Generika), Lamotrigin (LAMICTAL, Generika), Levetirazetam (KEPPRA), Oxcarbazepin (TRILEPTAL, Generika) und Topiramat (TOPAMAX) - inzwischen auch als Monotherapeutikum* verordnet werden können. Der Entscheidungsprozess für die Auswahl eines bestimmten Antiepileptikums ist komplex und berücksichtigt auch Verträglichkeitsaspekte.1,2 Im Hinblick auf den Anfallstyp wird in Leitlinien für partielle Anfälle vorrangig Carbamazepin (TEGRETAL, Generika) empfohlen, für primär generalisierte Anfälle vorrangig Valproat (ORFIRIL, Generika).3 Nach einer systematischen Übersicht lassen sich aus den bisherigen oft relativ kurzen Vergleichsstudien keine klaren Wirksamkeits- oder Verträglichkeitsvorteile neuerer Antiepileptika gegenüber älteren ableiten.4

* Vigabatrin (SABRIL) zur Monotherapie nur bei infantilen Spasmen.

Die überwiegend mit öffentlichen Geldern finanzierte offene, randomisierte Langzeitstudie SANAD**5-7 untersucht jetzt in zwei Studienarmen den therapeutischen Stellenwert neuerer Antiepileptika im Vergleich mit den beiden Standardmitteln. 1.721 Patienten, von denen 82% bislang unbehandelt sind und denen der Studienarzt normalerweise Carbamazepin verordnet hätte, werden in die größere Teilstudie aufgenommen, in der Carbamazepin gegen Gabapentin, Lamotrigin, Oxcarbazepin und Topiramat geprüft wird. 716 Patienten (88% unbehandelt), die standardmäßig Valproat erhalten hätten, werden in den kleineren Studienarm aufgenommen, der Valproat mit Lamotrigin und Topiramat vergleicht.

** SANAD = Standard and New Antiepileptic Drugs

Die Untersuchung orientiert sich mit weitgefassten Einschlusskriterien am klinischen Alltag. Studienteilnehmer müssen mindestens fünf Jahre alt sein und im Jahr vor Studienbeginn zwei oder mehr Anfälle erlitten haben. Erster primärer Endpunkt ist die Zeit bis zum Versagen der eingeleiteten Therapie wegen ungenügender Wirksamkeit oder Unverträglichkeit. Zweites primäres Zielkriterium ist die Zeit bis zum Erreichen einer einjährigen Remission. Geprüft wird - bei unzureichender Erläuterung der primären Hypothese - offenbar vorrangig auf Nichtunterlegenheit. Dosierung, Titration und Wahl des Handelspräparates werden pragmatisch den behandelnden Ärzten überlassen. Das Studienprotokoll sieht jedoch eine Empfehlung für die initiale Erhaltungsdosis vor sowie für die Geschwindigkeit, mit der diese erreicht wird.

89% der Patienten im größeren Studienarm leiden an partiellen Anfällen, bei knapp 10% ist das Epilepsiesyndrom nicht klassifiziert. Für Gabapentin und Topiramat kann hinsichtlich der Zeit bis zum Behandlungsabbruch eine Nichtunterlegenheit gegenüber Carbamazepin nicht nachgewiesen werden. Dagegen ist Lamotrigin dem älteren Standardmittel überlegen (Hazard Ratio*** [HR] 0,78; 95% Vertrauensintervall [CI] 0,63-0,97) und ist im paarweisen Vergleich auch besser als die anderen in diesem Arm geprüften Präparate. Carbamazepin und Oxcarbazepin liegen im Mittelfeld, Gabapentin und Topiramat schneiden am schlechtesten ab. Topiramat und Carbamazepin werden am häufigsten wegen Unverträglichkeit abgesetzt, Lamotrigin und Gabapentin am seltensten. Gabapentin führt wiederum am häufigsten wegen ungenügender Wirksamkeit zum Therapieabbruch, Carbamazepin am seltensten. Lamotrigin ist Carbamazepin im Hinblick auf Therapieabbruch wegen ungenügender Wirksamkeit jedoch nicht unterlegen.5

*** Hazard Ratio: Maß für die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses (hier für das Absetzen eines Mittels) in Überlebensanalysen. Werte kleiner 1 bedeuten, dass die Wahrscheinlichkeit des Absetzens geringer ist als beim Vergleichspräparat.

Im zweiten primären Endpunkt, der Dauer bis zum Erreichen einer einjährigen Remission, erweist sich Carbamazepin als das beste Mittel. Lamotrigin ist Carbamazepin jedoch nicht unterlegen. Wieder schneiden Gabapentin und Topiramat am schlechtesten ab.5

Die meistbeobachteten unerwünschten Effekte, Müdigkeit und Kopfschmerzen, sind nicht spezifisch für eines der geprüften Mittel. Psychiatrische Symptome wie Depression sind ebenfalls häufig, aber besonders auffällig unter Topiramat, dessen Störwirkungsprofil außerdem durch Gewichtsverlust und Parästhesien gekennzeichnet ist. Hautausschlag kommt besonders häufig unter Carbamazepin und Oxcarbazepin vor (bei jeweils 10% der Anwender, unter den anderen Antiepileptika bei 3% bis 4%). Bei Gabapentin fällt die hohe Rate an Schwindel, Ataxie und Gewichtszunahme auf.5

Von besonderem Interesse sind die Ergebnisse des kleineren Studienarms von SANAD,7 da bisherige Daten zu neueren Antiepileptika bei primär generalisierten Anfällen spärlich sind.2 63% der Patienten in diesem Arm leiden an idiopatischer generalisierter Epilepsie, 27% an einem unklassifizierten epileptischen Syndrom. Die vorrangige Position von Valproat wird bestätigt: Es ist wirksamer als Lamotrigin und wird besser vertragen als Topiramat. Die Behandlung mit den beiden neueren Antiepileptika wird früher abgebrochen als die mit Valproat (Topiramat HR 1,57; 95% CI 1,19-2,08; Lamotrigin 1,25; 95% CI 0,94-1,68). Auch hinsichtlich der Zeit bis zu einer zwölfmonatigen Remission ist Valproat Lamotrigin überlegen. Topiramat liegt im Mittelfeld. Junge Frauen sind in diesem Studienarm allerdings unterrepräsentiert.7 Sie wurden - möglicherweise unter anderem wegen des Missbildungsrisikos bei Schwangerschaft unter Valproat - von den aufnehmenden Ärzten nur zurückhaltend diesem Studienarm zugeteilt. Kompliziert wird die Therapieentscheidung für diese Patientinnen inzwischen auch durch ein neues Risikosignal hinsichtlich Teratogenität unter höher dosiertem Lamotrigin (>200 mg/Tag) aus dem britischen Epilepsie- und Schwangerschaftsregister.8

Topiramat fällt auch in diesem Studienarm durch psychiatrische Störeffekte auf. Gewichtszunahme ist unter Valproat am häufigsten, Hautausschlag unter Lamotrigin.7

Die zweiarmige britische Langzeitstudie SANAD prüft die Standardantiepileptika Carbamazepin (TEGRETAL, Generika) vorwiegend bei partiellen Anfällen und Valproat (ORFIRIL, Generika) überwiegend bei primär generalisierten Anfällen gegen neuere Antiepileptika.

Vor allem bei Patienten mit partiellen Anfällen eignet sich von den neueren Antiepileptika am ehesten Lamotrigin (LAMICTAL, Generika) als Alternative zu Carbamazepin.

Bei primär generalisierten Anfällen bleibt - abgesehen von jungen Frauen - Valproat Mittel der Wahl.

  (R = randomisierte Studie, M = Metaanalyse)
 1FRENCH, J.A.: Lancet 2007; 369: 970-1
 2FRENCH, J.A. et al.: Neurology 2004; 62: 1252-60
 3National Institute of Clinical Excellence (NICE): Newer drugs for epilepsy in adults, Technology Appraisal Guidance 76, März 2004; zu finden unter: http://guidance.nice.org.uk/CG22/niceguidance/pdf/English/download.dspx
 4WILBY, J. et al.: Health Technol. Assess. 2005; 9: Nr. 15 http://www.hta.ac.uk/fullmono/mon915.pdf
R5MARSON, A.G. et al: Lancet 2007; 369: 1000-15
R6MARSON, A.G. et al.: Health Technol. Assess. 2007: 11; Nr. 11 http://www.hta.ac.uk/fullmono/mon1137.pdf
R7MARSON, A.G. et al: Lancet 2007; 369: 1016-26
 8MORROW, J. et al.: J. Neurol. Neurosurg. Psychiatry 2006; 77: 193-8

© 2007 arznei-telegramm, publiziert am 7. Dezember 2007

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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