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Therapieempfehung

ABACAVIR (ZIAGEN): VERSCHREIBUNG NUR NACH HLA-TESTUNG

Das antiretroviral wirkende Nukleosidanalogon Abacavir (ZIAGEN) führt bei etwa 5% der Anwender in der chronischen HIV-Infektionsphase zu potenziell lebensbedrohlichen Überempfindlichkeitsreaktionen,1 bei Patienten mit akuter Infektion sogar bei 18%.*2 Die diffusen Symptome - Fieber, Hautausschläge, gastrointestinale Symptome wie Bauchschmerzen, Durchfälle und Übelkeit, allgemeines Krankheitsgefühl und respiratorische Symptome wie Luftnot und Husten - sind von anderen Ursachen oft schwer abgrenzbar. Das Syndrom tritt in der Regel innerhalb der ersten sechs Wochen der Behandlung auf, im Mittel nach zehn bis elf Tagen. Reexposition nach einer solchen Hypersensitivität führt oft zu einem rasch einsetzenden schwereren, mitunter tödlichen Rezidiv. Deutliche ethnische Unterschiede in der Inzidenz weisen auf eine genetische Prädisposition hin. In retrospektiven Analysen wird ein Zusammenhang zwischen dem Vorhandensein des Allels HLA-B 5701 und dem Auftreten einer Überempfindlichkeitsreaktion beschrieben. In einer Kohortenstudie findet sich dieses Allel bei 14 (78%) von 18 der Patienten mit Hypersensitivitätssyndrom gegenüber 4 (2%) von 167 Patienten, die das Mittel vertragen (Odds Ratio [OR] 117; 95% Konfidenzintervall [CI] 29-481).3

In einer kürzlich veröffentlichten Studie4 wird in einem prospektiven randomisierten kontrollierten Vergleich geprüft, ob durch Testung auf HLA-B 5701 vor Beginn einer Behandlung mit Abacavir die Häufigkeit der Unverträglichkeitsreaktionen gesenkt wird. 1.956 Patienten aus Europa und Australien werden entweder vor Beginn der Therapie getestet und bei Nachweis des HLA-B 5701-Allels von der Behandlung ausgeschlossen oder erhalten Abacavir ohne vorherige Testung. Auswertbare Daten liegen zu 1.650 (84%) der Studienteilnehmer vor.

Die Inzidenz klinisch diagnostizierter Hypersensitivitätsreaktionen wird durch das Screening auf HLA-B 5701 mehr als halbiert (3,4% versus 7,8%; OR 0,4; 95% CI 0,25-0,62). Mit einem Hauttest ("immunologisch") bestätigte Reaktionen treten in der gescreenten Gruppe bei keinem Patienten, in der Kontrollgruppe bei 2,7% auf (OR 0,03; 95% CI 0-0,18). Nach diesen Daten müssen 22 (bzw. 37) Patienten vor Beginn einer Therapie mit Abacavir auf HLA-B 5701 getestet werden, um eine klinische (bzw. "immunologisch bestätigte") Überempfindlichkeitsreaktion zu verhindern.

Somit konnte erstmals in einem randomisierten kontrollierten Design der Nutzen einer genetischen Testung zur Reduktion von Nebenwirkungen belegt werden. Als Reaktion darauf sollte nach der revidierten Fachinformation vor Beginn der Behandlung auf das Vorhandensein des HLA-B 5701-Allels untersucht werden.5 Die weiche Formulierung zielt offenbar darauf ab, eine Verschreibung auch in Regionen zu ermöglichen, in denen ein Gentest nicht zur Verfügung steht6 - was hierzulande jedoch nicht der Fall ist. Aus haftungsrechtlicher Sicht muss die Durchführung des Tests vor Behandlungsbeginn als verpflichtend angenommen werden. Aber Achtung: Ein negativer Test schließt nicht aus, dass Überempfindlichkeitsreaktionen auftreten können. Diese sind auch bei negativem Test immer noch häufig. Auch bei fehlendem Nachweis von HLA-B 5701 muss daher Abacavir bei Verdacht auf Überempfindlichkeit dauerhaft abgesetzt werden.5

Die Häufigkeit von Hypersensitivitätsreaktionen auf das antiretrovirale Mittel Abacavir (ZIAGEN) kann mehr als halbiert werden, wenn HIV-Patienten, bei denen das Gen-Allel HLA-B 5701 nachgewiesen wird, von der Behandlung ausgeschlossen werden.

Erstmalig wird daher ein Gentest vorgeschrieben, der vor Beginn der Behandlung mit einem Arzneimittel durchgeführt werden soll. Patienten mit HLA-B 5701-Allel dürfen kein Abacavir erhalten.

Achtung: Schwere Überempfindlichkeitsreaktionen können auch bei HLA-B 5701-negativen Patienten auftreten. Die Behandlung mit Abacavir ist dann sofort und dauerhaft zu beenden.

  (R = randomisierte Studie)
 1HUGHES, C.A. et al.: Ann. Pharmacother. 2008; 42: 387-96
 2STEKLER, J. et al.: AIDS 2006; 20: 1269-74
 3MALLAL, S. et al.: Lancet 2002; 359: 727-32
R4MALLAL, S. et al.: N. Engl. J. Med. 2008; 358: 568-79
 5GlaxoSmithKline: Rote Hand Brief vom März 2008
 6GlaxoSmithKline: Telefonische Mitteilung vom 24. April 2008
* Aufgrund der Häufigkeit der Reaktion im akuten Infektionsstadium wird von der Anwendung in dieser Phase grundsätzlich abgeraten.

© 2008 arznei-telegramm, publiziert am 9. Mai 2008

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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