logo
logo
Die Information für medizinische Fachkreise
Neutral, unabhängig und anzeigenfrei
vorheriger Artikela-t 2009; 40: 19-20nächster Artikel
Korrespondenz

ALITRETINOIN (TOCTINO) BEI DERMATITIS?

Eine junge Frau erhält wegen einer extremen Dermatitis täglich 30 mg TOCTINO, leider mit erheblichen Nebenwirkungen (zum Beispiel an den Augen). Haben Sie hierzu Studienergebnisse?

Dr. med. W. SCHWINZER (Facharzt für Allgemeinmedizin)
D-37441 Bad Sachsa
Interessenkonflikt: keiner

Seit 1. November 2008 bietet die Firma Basilea das zuvor nur zur lokalen Anwendung bei HIV-assoziiertem Kaposi-Sarkom zugelassene Retinoid Alitretinoin (PANRETIN) zur Einnahme per os (TOCTINO) bei therapierefraktärem chronischen Handekzem an. Die Zulassung ist begrenzt auf Patienten, die auf die übliche Behandlung mit potenten topischen Kortikosteroiden (siehe Kasten) nicht ansprechen.

EIGENSCHAFTEN: Alitretinoin bindet sowohl an Retinsäurerezeptoren* als auch an Retinoid-X-Rezeptoren* und wirkt hierüber auf Zellvermehrung, Apoptose und entzündliche Vorgänge. Der genaue Wirkmechanismus bei chronischem Handekzem ist nicht bekannt.1

* Retinoide vermitteln ihre biologischen Wirkungen über Retinsäurerezeptoren (retinoid acid receptors, RAR) und Retinoid-X-Rezeptoren (RXR), die jeweils in drei Subtypen vorkommen und meist als RAR-RXR-Heterodimere vorliegen.
Tagesdosis1 x 30 mg per os; bei Störwirkungen Reduktion auf 1 x 10 mg, Einnahme zusammen mit einer Mahlzeit, Therapiedauer 12-24 Wochen
Bioverfügbarkeiterhöht bei gleichzeitiger Nahrungsaufnahme; absolute Bioverfügbarkeit nicht geprüft
VerstoffwechselungMetabolisierung über CYP 3A4
Ausscheidungrenal 70%, über den Stuhl 30%
Interaktionenerhöhte Spiegel bei gleichzeitiger Einnahme von CYP 3A4-Inhibitoren (Ketoconazol u.a.)
GegenanzeigenLeberinsuffizienz, schwere Niereninsuffizienz, nicht ausreichend eingestellte Fettstoffwechselstörung, Überempfindlichkeit gegenüber Retinoiden, Hypervitaminose A, gleichzeitige Anwendung von Tetrazyklinen (Pseudotumor cerebri), Allergien gegen Erdnüsse oder Soja

KLINISCHE WIRKSAMKEIT: Lediglich eine zulassungsrelevante dreiarmige Studie2 ist veröffentlicht. 1.032 Patienten mit schwerem, überwiegend (85%) hyperkeratotischem Handekzem, das sich unter externen Kortikosteroiden nicht ausreichend bessert, nehmen maximal 24 Wochen lang entweder täglich 10 mg oder 30 mg Alitretinoin oder Plazebo ein. Den primären Endpunkt, die vollständige oder nahezu vollständige Abheilung des Handekzems, erreichen unter 30 mg Alitretinoin 40%, unter 10 mg 24% und unter Plazebo 15%. Die Unterschiede gegenüber Plazebo sind statistisch signifikant. Bei der Hälfte der Patienten treten die Symptome innerhalb von sechs Monaten nach Absetzen mit mindestens 75%iger Ausprägung im Vergleich zum ursprünglichen Schweregrad wieder auf.

Nach zwei Folgestudien3 mit Patienten der Hauptstudie verschwinden die Symptome eines Rezidivs durch erneute Behandlung bei 80% unter täglich 30 mg Alitretinoin und bei 48% unter 10 mg gegenüber 8% bzw. 10% unter Plazebo weitgehend. Patienten, die initial nicht auf Alitretinoin ansprechen und offen erneut täglich 30 mg einnehmen, erreichen in 47% eine Besserung. Die Daten dieser Folgestudien sind bislang nur als Abstract veröffentlicht und die ungewöhnlich hohen Erfolgsraten daher nicht überprüfbar.

Vergleiche mit anderen Zweitlinientherapeutika wie Immunsuppressiva oder anderen Retinoiden liegen nicht vor.

STÖRWIRKUNGEN: Unter täglich 30 mg Alitretinoin brechen 10%, unter 10 mg 6% der Patienten die Behandlung aufgrund von Störwirkungen ab (Plazebo: 5%). Häufigster Grund sind Kopfschmerzen, die insgesamt bei 20% unter hoher und bei 11% unter niedriger Dosis auftreten. Andere häufige Störwirkungen unter täglich 30 mg sind Erythem (7%), Flush (4%), erhöhte Triglyzeride (8%) und supprimiertes TSH (7%).2 Die Behandlung geht mit Augentrockenheit einher, die zum Teil mit Tränenersatzmitteln behandelt werden muss. Psychische Störwirkungen wie Depressionen, Angst, Gemütsschwankungen bis hin zu Suizidgedanken und Suizidversuchen werden unter Retinoiden beobachtet (a-t 2005; 36: 92).1 Patienten mit Depressionen wurden aus der Zulassungsstudie ausgeschlossen.2

Pseudotumor cerebri ist beschrieben, einige der Betroffenen haben gleichzeitig ein Tetrazyklin eingenommen.1

SCHWANGERSCHAFT UND STILLZEIT: Alitretinoin ist wie andere Retinoide teratogen. Frauen im gebärfähigen Alter dürfen es nur im Rahmen eines "Schwangerschaftsverhütungsprogramms" einnehmen. Für zuverlässige Empfängnisverhütung ist einen Monat vor bis einen Monat nach Beendigung der Behandlung zu sorgen. Die Abgabemenge muss auf den Bedarf für 30 Tage beschränkt werden. Schwangerschaftstests sind vor Behandlungsbeginn sowie in monatlichen Abständen während der Therapie erforderlich. Das lipophile Retinoid geht vermutlich in die Muttermilch über, in der Stillzeit darf es daher nicht eingenommen werden.

CHRONISCHES HANDEKZEM

Handekzeme sind häufig chronifizierende, multifaktoriell bedingte Ekzeme, gefördert durch Atopie, Allergien, Kontakt mit Reizstoffen u.a. Sie können zu Berufsunfähigkeit führen (Friseure, Bäcker, Zahntechniker u.a.). Die Hauterscheinungen können als hyperkeratotische oder dyshydrotische Ekzeme in Erscheinung treten. Oftmals sind die Ekzeme mit Juckreiz assoziiert. Beim Auftreten von Rhagaden und Fissuren sind sie schmerzhaft und erschweren manuelle Tätigkeiten. Behandelt wird mit Kortikosteroid-Externa, kombiniert mit Basishautpflege und ggf. Fototherapie. Bei schweren Verläufen finden auch Immunsuppressiva wie Ciclosporin A (SANDIMMUN, Generika) und Methotrexat (LANTAREL, Generika) Verwendung. Von den Retinoiden ist Acitretin (NEOTIGASON) zur Behandlung des Hand- und Fußekzems (Hyperkeratosis und Pustulosis palmoplantaris) zugelassen. Wegen der langen Verweildauer von Acitretin im Körper muss bei Frauen im gebärfähigen Alter eine konsequente Schwangerschaftsverhütung noch für zwei Jahre nach Beendigung der Behandlung durchgeführt werden.

Die Datenlage zu den empirisch durchgeführten Behandlungen ist trotz der hohen Prävalenz der Erkrankung denkbar schlecht. Für ein geplantes Cochrane-Review4 wurden bei einer ausführlichen Recherche zwischen 1977 und 2006 lediglich 33 randomisierte klinische Studien mit insgesamt 1.943 Patienten gefunden, davon fünf zu topischen Kortikosteroiden, sieben zur UV-Lichttherapie, zwei zur Einnahme von Ciclosporin A und zwei zur Einnahme von Retinoiden per os. Die in der Regel kleinen Studien sind von methodisch unzureichender Qualität, sodass eine abschließende Bewertung und zusammenfassende Auswertung in Form einer Metaanalyse nach Aussage einer der Autoren nicht möglich ist.5

KOSTEN: Die Kapseln zu 10 mg und 30 mg werden zu identischen Preisen angeboten (683,46 € für 30 Kps.). Die monatlichen Behandlungskosten mit Alitretinoin (TOCTINO) betragen daher unabhängig von der Tagesdosierung 683 €.

Alitretinoin (TOCTINO) ist ein orales Retinoid zur Therapie des chronischen therapierefraktären Handekzems.

Täglich 30 mg bessern die Symptome nach einem halben Jahr bei 40%, täglich 10 mg bei 24% zumindest weitgehend. Jeder zweite initial erfolgreich Behandelte erleidet fünf bis sechs Monate nach Absetzen ein Rezidiv.

Die dosisabhängig auftretenden Störwirkungen sind häufig und führen bei 10% (30 mg) beziehungsweise 6% (10 mg) zum Abbruch der Therapie.

Alitretinoin ist teratogen und darf Frauen im gebärfähigen Alter nur unter strengen Auflagen verordnet werden.

Die spärlichen Daten lassen kein abschließendes Urteil über Wirksamkeit, Langzeitnutzen und Risiken zu. Wir stufen Alitretinoin als Mittel der letzten Wahl bei sonst nicht behandelbarem Handekzem mit hohem Leidensdruck ein.

  (R = randomisierte Studie)
 1Basilea: Fachinformation TOCTINO, Stand Okt. 2008
R2RUZICKA, T. et al.: Br. J. Dermatol. 2008; 158: 808-17
 3RUZICKA, T.: Abstract FC10.107, 17th EADV Congress, Paris
 4van COEVORDEN, A.M. et al.: Intervention for hand eczema (Protocol). The Cochrane Database of Systematic Rev. 2009, Issue 1; Stand April 2002
 5DIEPGEN, T.L.: Hautarzt 2008; 59: 683-9

© 2009 arznei-telegramm, publiziert am 13. Februar 2009

Autor: angegebene Leser bzw. Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

Diese Publikation ist urheberrechtlich geschützt. Vervielfältigung sowie Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen ist nur mit Genehmigung des arznei-telegramm® gestattet.

vorheriger Artikela-t 2009; 40: 19-20nächster Artikel