A/H1N1-IMPFSTOFF: ALLES IM GRIFF? (III)
Verträglichkeitsmythos und Empfehlungschaos
* Vorversion am 16. Oktober 2009 als blitz-a-t veröffentlicht.
Die Diskussion über die Sicherheit der Massenimpfung mit dem Schweinegrippeimpfstoff PANDEMRIX (GlaxoSmithKline [GSK]), dem die Wirkverstärkermischung AS03 beigegeben wird, hält an: Inzwischen wollen die Gesundheitsbehörden Schweinegrippeimpfstoffe ohne Adjuvans einkaufen - zumindest für schwangere Frauen. Ob aber der avisierte konventionell produzierte Wirkverstärker-freie Impfstoff von Sanofi-Pasteur (PANENZA) tatsächlich im Laufe des Novembers in Deutschland ausgeliefert werden kann, bleibt offen. Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte fordert einen adjuvansfreien Impfstoff auch für Kinder von sechs Monaten bis sechs Jahren.1
Bundeswehr und Politiker sollen mit dem Wirkverstärker-freien Schweinegrippe-Ganzvirus-Impfstoff CELVAPAN (Baxter) geimpft werden. Eine gute Wahl ist auch diese Vakzine nicht: Ganzvirus-Impfstoffe wurden wegen einer hohen Rate unerwünschter Wirkungen schon vor Jahrzehnten durch die besser verträglichen Spaltimpfstoffe ersetzt. CELVAPAN wird, für Grippeimpfstoff unüblich, auf Säugetierzelllinien gezüchtet und ist noch weniger erprobt als PANDEMRIX: Die Zulassung basiert im Wesentlichen auf zwei Studien mit insgesamt 845 Teilnehmern, darunter kein Vergleich mit nichtadjuvantiertem Spaltvirusimpfstoff. Die vorliegenden relativ blanden Verträglichkeitsdaten zu CELVAPAN2 lassen sich daher nicht hinreichend einordnen. Auch für Schwangere ist dieser Impfstoff keine Alternative, da es auch zu CELVAPAN "keine Erfahrung bei Schwangeren" gibt.3
Um es noch einmal deutlich zu sagen: Die beste Nutzen-Schaden-Bilanz hätte beim gegenwärtigen Kenntnisstand ein konventionell auf Hühnereiern angezüchteter Spaltimpfstoff mit 15 µg Schweinegrippe-Antigen. Mehrere Kollegen haben uns daher gefragt, ob es - wie von einem Virologen dargestellt4 - möglich sei, die Wirkverstärker von PANDEMRIX einfach wegzulassen und nur mit dem Antigen in vierfacher Dosis zu impfen, um die übliche Antigenmenge nichtadjuvantierter Vakzinen zu erhalten. Von derartigen Experimenten raten wir dringend ab. Eine solche Impflösung ist weder erprobt noch zugelassen, Nutzen und Verträglichkeit sind unbekannt, und nicht zuletzt dürfte im Falle eines Impfschadens die Produkthaftung auf den Impfarzt zurückfallen.
In den USA werden ausschließlich die in ihrem Risikoprofil gut überschaubaren konventionell produzierten Spaltimpfstoffe verwendet. Bei uns haben sich die Behörden aber bereits 2007 für den Fall einer Influenzapandemie vertraglich zum Kauf des adjuvantierten GSK-Impfstoffes verpflichtet (a-t 2009; 40: 85-7). Dass eine zukünftige Pandemie sich wesentlich von der damals befürchteten Vogelgrippepandemie, für die ein adjuvantierter Impfstoff adäquat sein mag, unterscheiden und damit auch andere Erfordernisse an einen Impfstoff stellen könnte, wurde nicht einkalkuliert. Die vertragliche Verpflichtung von 2007, die in vieler Hinsicht einseitig den Hersteller begünstigt, führt heute dazu, dass wir mehr Geld für einen weniger erprobten und schlechter verträglichen Impfstoff ausgeben. Diese absurde Situation spiegelt sich auch in den öffentlichen Impfempfehlungen wider.3
In einem ersten Schritt sollen nach Empfehlungen der STIKO Beschäftigte im Gesundheitsdienst, chronisch kranke Kinder (ab 6 Monate) und chronisch kranke Erwachsene sowie schwangere Frauen und Wöchnerinnen immunisiert werden. Für viele, die vorrangig geimpft werden sollen, fehlen aber, wie die STIKO einräumt, Erfahrungen mit PANDEMRIX, so für Kinder bis 3 Jahren, Kinder und Jugendliche zwischen 10 und 17 Jahren und schwangere Frauen.3 Da bei Schwangeren jedoch breite Erfahrungen mit konventionellem Grippeimpfstoff vorliegen und die Impfung in der Schwangerschaft eine "komplexe Problematik" beinhaltet, empfiehlt die STIKO in Deutschland konsequenterweise, diese Risikogruppe "bis zum Vorliegen weiterer Daten" mit einem nichtadjuvantierten Spaltimpfstoff zu impfen.3 Wie diese Empfehlung derzeit umgesetzt werden kann, teilt die Kommission dabei nicht mit. Und damit nicht genug: In einem Anhang zu den STIKO-Empfehlungen melden sich das Robert Koch-Institut (RKI) und das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) zu Wort und geben ihrerseits eine Impfempfehlung für Schwangere ab. Danach kann "im Rahmen einer sorgfältigen individuellen Nutzen-Risiko-Analyse die Anwendung von einer Erwachsenendosis PANDEMRIX auch bei Schwangeren sinnvoll sein".5 Auf welchen Impfstoffdaten eine solche Nutzen-Schaden-Analyse basieren sollte, dazu schweigen wiederum das PEI und das RKI.
Soweit wir sehen, wurden alle bislang veröffentlichten Studien zu PANDEMRIX ausschließlich mit gesunden Probanden durchgeführt. Damit fehlen auch für eine weitere Personengruppe, für die die Impfung vorrangig empfohlen wird, chronisch kranke Patienten, jegliche Daten zu Immunogenität und Sicherheit von PANDEMRIX. Personen mit chronischen Erkrankungen haben offenbar ein höheres Risiko als Gesunde, im Rahmen einer Infektion mit dem Schweinegrippevirus Komplikationen zu erleiden oder zu sterben. Wie groß ihr persönliches Risiko aber tatsächlich ist, lässt sich derzeit nicht beziffern.
Behörden und deren Experten betonen allerorten die Verträglichkeit und Sicherheit von PANDEMRIX. Laut STIKO sprechen alle bisher verfügbaren Daten und Analogschlüsse "gegen eine besondere Nebenwirkungsträchtigkeit der neuen Impfstoffe".3 Belegt wird diese forsche Behauptung allerdings nicht. Ein Blick in den Beurteilungsbericht der europäischen Arzneimittelbehörde EMEA zu PANDEMRIX ergibt ein anderes Bild: In allen Zulassungsstudien, in denen AS03-verstärkter Impfstoff mit einer nichtadjuvantierten Vakzine verglichen wird und an denen insgesamt rund 7.000 Probanden teilnehmen, wird der adjuvantierte Impfstoff deutlich schlechter vertragen (vgl. Tabelle).6,7 Dies betrifft besonders Lokalreaktionen und hier vor allem Schmerzen, aber auch Allgemeinsymptome wie Kopfschmerzen, Müdigkeit und Myalgien. Auch kommen schwere Reaktionen unter dem adjuvantierten Impfstoff durchgängig häufiger vor.6 Wegen der schlechten Verträglichkeit von PANDEMRIX ist nach unserer Bewertung auch mit einer besonderen Risikosituation in Bezug auf seltene bedrohliche Schadwirkungen zu rechnen.
Es bleibt zu hoffen, dass die mit Beginn der Massenimmunisierung in Europa einsetzende Postmarketingüberwachung zur Klärung der Sicherheit von PANDEMRIX beiträgt. Wenige Tage nach Beginn der Impfaktion in Deutschland wird über einen lebensbedrohlichen anaphylaktischen Schock bei einem 30-Jährigen berichtet.8 In Schweden ist die Impfung bereits Mitte Oktober angelaufen. Nach Auslieferung von 1,4 Mio. Impfdosen, bei fehlenden Angaben zur Zahl der tatsächlich Geimpften, erfasst die schwedische Arzneimittelbehörde 20 Berichte über schwerwiegende Reaktionen, die sie als Impfstoff-bedingt beurteilt. Die Mehrzahl (15) davon sind allergische Reaktionen einschließlich Anaphylaxie und Angioödem.9 Personen mit bekannter Hühnereiweißallergie10 oder Verdacht darauf sollten - wenn überhaupt - nur geimpft werden, wenn die Voraussetzungen für eine Notfallbehandlung gegeben sind. Fünf Geimpfte im Alter von 54 Jahren und älter - alle hatten chronische Erkrankungen wie Diabetes, Herz-Kreislauf- oder Nierenerkrankungen - sind innerhalb von zwölf Stunden bis vier Tage nach der Impfung gestorben.9 Die bislang zugänglichen Daten reichen zur Beurteilung der Todesfälle sowie zur Abschätzung der Sicherheit des Impfstoffes insgesamt nicht aus.
Tabelle: Unerwünschte Wirkungen (UAW) des GSK-Pandemieimpfstoffs mit Wirkverstärker AS03 im Vergleich zu nichtadjuvantierter Vakzine (nach einer der Zulassungsstudien, Ergebnisdarstellung für 3,8 µg Vogelgrippeantigen* mit Wirkverstärker AS03 [n = 51] versus 15 µg Vogelgrippeantigen ohne Wirkverstärker [n = 50] innerhalb von 7 Tagen nach ein oder zwei Impfungen)7
In Deutschland steht kein bewährter nichtadjuvantierter Spaltimpfstoff gegen Schweinegrippe zur Verfügung, sondern mit PANDEMRIX ein teurer, ausgesprochen schlecht verträglicher Impfstoff sowie mit CELVAPAN ein unzureichend erprobter Ganzvirusimpfstoff, der - für Grippeimpfstoffe unüblich - auf einer Tierzelllinie gezüchtet wird.
Die Fehlentscheidungen der Behörden, diese Vakzinen zu bestellen, führen jetzt zu der absurden Situation, dass sich offizielle Impfempfehlungen für die wichtige Risikogruppe schwangerer Frauen widersprechen. Dabei lässt sich die konsequente Empfehlung der STIKO, nichtadjuvantierten Spaltimpfstoff zu verwenden, derzeit nicht umsetzen, die Empfehlung von PEI und RKI, im Einzelfall PANDEMRIX zu verimpfen, bleibt hingegen ohne Datenbasis für die Sicherheit.
Auch für chronisch Kranke finden wir zu PANDEMRIX keine Daten, die eine Beurteilung von Nutzen und Schaden ermöglichen.
Derzeit ist weder vorhersehbar, wie sich die Schweinegrippe entwickeln wird, noch lässt sich einschätzen - auch wenn die Behörden gute Verträglichkeit behaupten -, wie häufig der Impfstoff schwerwiegende Störwirkungen hervorruft. Unseres Erachtens ist es in der derzeitigen Situation nicht mögich, eine fundierte Empfehlung auszusprechen.
Entscheidungen für oder gegen eine Impfung mit PANDEMRIX müssen individuell getroffen und regelmäßig dem aktuellen Kenntnisstand angepasst werden.
(R = randomisierte Studie) | ||
1 | PAPE, E.-W.: Westfalen-Blatt vom 12. Okt. 2009 | |
2 | EMEA: Europ. Beurteilungsbericht (EPAR) CELVAPAN, Stand 1. Okt. 2009; http://www.emea.europa.eu/humandocs/PDFs/EPAR/celvapan/Celvapan-H-982-PU-02-AR.pdf | |
3 | Mitteilung der STIKO: Impfung gegen die Neue Influenza A (H1N1): Epidemiol. Bull. 2009: Nr. 41: 403-24; http://www.rki.de/cln_100/nn_1493928/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/ 2009/41__09,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/41_09.pdf | |
4 | KEKULÉ, A.S.: Tagesspiegel vom 14. Okt. 2009 | |
5 | Vorläufige Empfehlungen des Paul-Ehrlich-Instituts und des Robert Koch-Instituts zu PANDEMRIX: Epidemiol. Bull. 2009; Nr. 41: 425-6; http://www.rki.de/cln_100/nn_1493928/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/ 2009/41__09,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/41_09.pdf | |
6 | EMEA: Europ. Beurteilungsbericht (EPAR) PANDEMRIX, Stand 24. Sept. 2009; http://www.emea.europa.eu/humandocs/PDFs/EPAR/pandemrix/Pandemrix-H-832-PU-17-AR.pdf | |
R | 7 | LEROUX-ROELS, I. et al.: Lancet 2007; 370: 580-9 |
8 | Ärzte Zeitung online 3. Nov. 2009 | |
9 | Läkemedelsverket: Summary of adverse drug reaction reports in Sweden with PANDEMRIX, 29. Okt. 2009 zu finden unter http://www.lakemedelsverket.se/english/ | |
10 | Paul-Ehrlich-Institut: "Erfahrungen mit der Impfung in Schweden", 30. Okt. 2009; http://www.pei.de/cln_180/nn_1509734/DE/infos/fachkreise/ impf-fach/schweineinfluenza/impfung-schweden-091030.html |
© 2009 arznei-telegramm, publiziert am 6. November 2009
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