logo
logo
Die Information für medizinische Fachkreise
Neutral, unabhängig und anzeigenfrei
vorheriger Artikela-t 2012; 43: 45nächster Artikel
Korrespondenz

RABATTVERTRÄGE: FOLGEN FÜR DIE PATIENTEN

Ein Aspekt kommt in Ihrem Artikel zu den Rabattverträgen (a-t 2012; 43: 36-7) etwas kurz: Der AOK-Rabattartikel SIMVABETA 40, 100 Tabletten, kostet 33,33 €, jedoch sind allein hier 28 Generika günstiger, ein preiswertes Generikum wie von Axcount oder AbZ kostet nur 25,00 €. Für Pravastatin gilt Ähnliches. Durch Verordnung preiswerter Generika hätte man 8,00 € bzw. 10,00 € pro Packung gespart, ganz ohne Rabattvertrag. Obendrein wird ein großer Teil des von den Kassen errechneten Einsparvolumens durch die Patienten getragen, denn oft sind wie in diesem Beispiel die Rabattpartner zuzahlungspflichtig, die günstigen Generika dagegen zuzahlungsfrei.

Dr. A. VÖLSCH (Apotheker)
D-27616 Beverstedt
Interessenkonflikt:keiner

In Ihrem Artikel haben Sie die Compliance der Patienten außer Acht gelassen: Durch die Rabattverträge, in deren Folge die Patienten immer wieder anders aussehende Tabletten verschiedener Hersteller bekommen, werden diese erheblich verunsichert. Insbesondere, wenn sie nicht nur ein Medikament einnehmen müssen, kommt es durch Verwechslungen zu schweren Irrtümern in Form falscher Dosierungen oder Einnahme völlig falscher Tabletten mit ähnlich klingendem Namen oder ähnlich aussehenden Verpackungen – selbst bei jüngeren Patienten. Nicht wenige, vor allem ältere Patienten, nehmen in der Folge verschiedene Medikamente überhaupt nicht mehr ein, sodass es zu ernsten Folgen wie Blutdruckentgleisungen, diabetischem Koma etc. kommt, welche zum Teil Krankenhausaufenthalte notwendig machen.

Wenn Sie schreiben, dass nur 1,3 Mrd. € von 32 Mrd. € (ca. 4%) durch die Rabattverträge eingespart werden können, reduziert sich diese Summe durch die beschriebenen Folgekosten sicherlich noch deutlich…

Dr. B. LÜDEMANN (Facharzt für Innere Medizin)
D-47799 Krefeld
Interessenkonflikt:keiner

In der Tat lassen sich mit preiswerten Simvastatin-Generika ganz ohne Rabattvertrag und die damit verbundene Intransparenz gegenüber den Präparaten des AOK-Rabattpartners Betapharm 25% einsparen (SIMVABETA 33,33 €, SIMVASTATIN ABZ 25,04 €, Preise für 100 Tabletten zu 40 mg). Das ist sogar etwas mehr als der mit den Verträgen im Durchschnitt erzielte Preisnachlass, der laut AOK bei 23% des Apothekenverkaufspreises liegen soll.1 „Günstiger” wird es für die Kasse allerdings dadurch, dass die Versicherten in einigen Regionen wie zum Beispiel in Niedersachsen für das Rabattprodukt 5 € Zuzahlung leisten müssen, obwohl etliche zuzahlungsfreie Alternativen existieren. Während die AOK Niedersachsen also einerseits damit wirbt, auch 2012 keine Zusatzbeiträge zu erheben,2 werden andererseits chronisch Kranke finanziell stärker belastet. Bei SIMVABETA ließe sich die Zuzahlung im Übrigen – nach Listenpreisen ohne Mehrkosten – umgehen, indem SIMVABETA 20 100 Tabletten (16,01 €/Packung) verordnet werden, für die keine Zuzahlung zu leisten ist. Die Patienten müssen dann jedoch zwei Tabletten einnehmen. Bei Pravastatin gibt es diese Möglichkeit nicht, da für sämtliche Präparate des Rabattpartners Hexal eine Zuzahlung anfällt. Hier bliebe nur der Ausschluss einer Substitution durch Ankreuzen des aut-idem-Kästchens.

Wie willkürlich das von den Kassen behauptete Einsparvolumen ist, macht ein weiteres Beispiel deutlich, auf das uns ein Kollege aufmerksam macht: Für den Protonenpumpenhemmer Pantoprazol ist seit 1. April 2012 die Firma Actavis neuer Rabattpartner der AOK. Der Listenpreis für PANTOPRAZOL ACTAVIS (98 Tabletten zu 40 mg) liegt bei 44,64 €. Das Produkt des alten Rabattpartners Heumann hat bis zum 31. März 2012 offiziell 39,39 € gekostet (ab 1. April 2012 33,26 €). Wenn die AOK für das Actavis-Präparat genauso viel bezahlen würde wie zuvor für das von Heumann, beispielsweise 25 € pro Packung, erhöhten sich die errechneten Einsparungen automatisch um 5 € pro Packung und der Preisnachlass stiege von 37% auf 44%, ohne dass die Ausgaben der Kasse auch nur um 1 Cent sinken.

Um eine Irreführung handelt es sich offenbar bei der mehrfach wiederholten Behauptung, „in einzelnen Fällen … bis zu 90%”1 Rabatt zu erhalten. Als Beispiel führt die AOK nämlich den Wirkstoff Clopidogrel an, für den sie 18 € bezahlen muss – „93% weniger im Vergleich mit dem Original”1 (ISCOVER: 262,03 €, PLAVIX: 273,34 €, jeweils 100 Tabletten zu 75 mg). Rabattpartner sind aber gar nicht die Originalhersteller Sanofi beziehungsweise Bristol-Myers Squibb, sondern TAD Pharma, die ihr Präparat offiziell für 55,57 € anbietet. Korrekt berechnet beträgt der Preisnachlass demnach „nur” 68%.

Unzureichend untersucht ist, wie sich die Rabattverträge auf die Therapietreue (Compliance, Adhärenz) und die Therapiesicherheit auswirken. Mehrere Kollegen berichten, dass Patienten durch die häufigen Umstellungen verunsichert werden und in der Folge ihre Medikamente falsch oder gar nicht mehr einnehmen. Zu diesem Ergebnis kommen auch zwei Patientenbefragungen.3,4 Die AOK behauptet hingegen, durch die Einführung der Rabattverträge habe sich die Zahl der Medikamentenwechsel verringert – „mit positiven Wirkungen auf die Therapietreue der Patienten.”5 Dies „belege”5 eine Studie des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO). Tatsächlich aber wird in der Analyse6 untersucht, wie häufig 58 Wirkstoffe bzw. Wirkstoffkombinationen der dritten AOK-Rabattrunde, die am 1. Juni 2009 in Kraft trat, im Jahr 2010 – also mehr als ein halbes Jahr nach Inkrafttreten, als die Umstellungsphase längst abgeschlossen sein dürfte – ausgetauscht wurden und wie oft dies im Jahr 2006 der Fall war, als es Rabattverträge in der heutigen Form noch nicht gab. Aus dem Ergebnis – 2010 erhielten demnach 79% der Patienten dauerhaft ein Produkt gegenüber 70% im Jahr 2006, während nur 2,5% (2006: 6,5%) drei und mehr verschiedene Präparate bekamen –, schließt das WIdO auf eine verbesserte Therapietreue und -sicherheit.6 Abgesehen davon, dass die Untersuchung nicht vollständig veröffentlicht und damit nicht nachvollziehbar ist, beantwortet sie die eigentlich relevanten Fragen ohnehin nicht, wie häufig es im Rahmen der Rabattverträge tatsächlich zu Medikamentenwechseln, Therapieabbrüchen, Krankenhauseinweisungen etc. kommt.

Diese Fragen werden auch durch eine Analyse, deren ausdrückliches Ziel ist, „die negativen Folgen von Rabattverträgen auf die Gesundheitsfürsorge von Patienten mit Depression” darzustellen, nicht beantwortet, an der der Bundesverband der Arzneimittelhersteller (BAH) beteiligt ist.7 In der retrospektiven Untersuchung werden bei Anwendern von Antidepressiva, die entweder auf ein Rabattarzneimittel umgestellt wurden oder ihr gewohntes Präparat beibehielten, Therapiedauer, Abbruchraten und Häufigkeit von Hospitalisierungen verglichen. Die Studie ist jedoch qualitativ und methodisch absolut unzureichend, da beispielsweise überhaupt nicht berücksichtigt wird, wie lange zuvor ein Antidepressivum eingenommen wurde. Zudem fallen erhebliche Widersprüche zwischen der eigentlichen Publikation7 und einer Präsentation der Daten8 durch den BAH auf. Methodisch gute Studien von unabhängiger Seite sind hier dringend erforderlich, –Red.

1 AOK: Erfolgsmodell AOK Arzneimittelrabattverträge, Antworten auf häufig gestellte Fragen, Stand Apr. 2012; http://www.aok-gesundheitspartner.de/imperia/md/gpp/bund/arzneimittel/rabatt/faq_aok_rabattvertraege_april2012.pdf
2 AOK-Niedersachsen: Homepage, http://www.aok-business.de/niedersachsen/
3 LEUTGEB, R. et al.: Dtsch. med. Wochenschr. 2009; 134: 181-6
4 GRÖBER-GRÄTZ, D., GULICH, M.: Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh.wesen 2010; 104: 99-105
5 AOK: Mehr Therapiesicherheit für Patienten, Pressemitteilung vom 28. Juni 2011 http://www.aok-bv.de/presse/pressemitteilungen/2011/index_06122.html
6 WIdO: AOK-Arzneimittelrabattverträge: Mehr Therapiesicherheit für Patienten, Pressemitteilung vom 28. Juni 2011; http://www.aok-bv.de/imperia/md/aokbv/politik/wettbewerb/rv_wido_wechselanalyse_pm_280611.pdf
7 KOSTEV, K. et al.: Int. J. Clin. Pharmacol. Ther. 2011; 49: 397-402
8 Bundesverband der Arzneimittelhersteller: BAH-Studie 2010 – Einfluss von Rabattverträgen auf die Arzneimittelversorgung, Juni 2010 zu finden unter www.bah-bonn.de -> Presse -> Pressemitteilungen 2010

© 2012 arznei-telegramm, publiziert am 7. Mai 2012

Autor: angegebene Leser bzw. Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

Diese Publikation ist urheberrechtlich geschützt. Vervielfältigung sowie Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen ist nur mit Genehmigung des arznei-telegramm® gestattet.