logo
logo
Die Information für medizinische Fachkreise
Neutral, unabhängig und anzeigenfrei
vorheriger Artikela-t 2012; 43: 90-1nächster Artikel
Neu auf dem Markt

ACLIDINIUM-INHALAT (BRETARIS GENUAIR, EKLIRA GENUAIR) BEI COPD

Mit Aclidinium (BRETARIS GENUAIR, EKLIRA GENUAIR) ist seit Oktober 2012 neben Ipratropium (ATROVENT, Generika) und Tiotropium (SPIRIVA) ein weiteres inhalatives Anticholinergikum zur symptomatischen bronchodilatatorischen Dauertherapie der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) im Handel. Ursprünglich wurde eine einmal tägliche Dosierung entwickelt, die in zwei Phase-III-Studien jedoch keine klinisch relevante Wirkung zeigte.1 Statt einmal täglich wie Tiotropium muss die Neuerung nun zweimal täglich inhaliert werden.2,3 Die nationale Versorgungsleitlinie COPD empfiehlt langwirkende Beta-2-Sympathomimetika und/oder Tiotropium ab mittlerem Schweregrad (Einsekundenkapazität [FEV1] weniger als 80% des erwarteten Werts) als Dauertherapie.4 Bei mindestens mittelschwerer COPD und kurz zurückliegender Exazerbation geben wir Tiotropium gegenüber langwirkenden Betamimetika den Vorzug, da es in der POET-COPD*-Studie bei diesen Patienten Exazerbationen besser vorbeugt als Salmeterol (SEREVENT u.a.; a-t 2011; 42: 35-6).

EIGENSCHAFTEN: Aclidinium ist ein dem Tiotropium chemisch ähnlicher kompetitiver selektiver Muskarin-Rezeptor-Antagonist. Wie Ipratropium und Tiotropium hemmt er die Azetylcholin-vermittelte Bronchokonstriktion. Die Bindungsdauer an M3-Rezeptoren, die für die Kontraktion der glatten Muskulatur der Luftwege verantwortlich sind,2 ist länger als für Ipratropium, jedoch kürzer als für Tiotropium.1 Dies könnte die unterschiedliche Wirkdauer erklären.

WIRKSAMKEIT: An der für die Zulassung maßgeblichen randomisierten doppelblinden ATTAIN*-Studie nehmen 819 Patienten (67% Männer) mit stabiler mittelgradiger (68%) oder schwerer COPD (FEV1 30% bis unter 80% vom Sollwert) teil. Im Mittel sind sie 62 Jahre alt und haben 40 Packungsjahre** geraucht. 90% sind vorbehandelt. Während der Studie dürfen sie inhalative Glukokortikoide, retardiertes Theophyllin (SOLOSIN, Generika), systemische Glukokortikoide (entsprechend 10 mg Prednison [DECORTIN, Generika] täglich) und Sauerstoff (< 15 Stunden täglich) bei zuvor stabiler Einstellung weiter anwenden sowie Salbutamol (SULTANOL, Generika) bei Bedarf. Nach einer zweiwöchigen Run-in-Phase inhalieren sie 24 Wochen lang entweder zweimal täglich 322 µg oder 161 µg Aclidinium oder Plazebo. Primärer Endpunkt ist die Änderung der morgens vor der Anwendung gemessenen FEV1 nach 24 Wochen gegenüber dem Ausgangswert.5 Unter der jetzt zugelassenen Dosierung von zweimal täglich 322 µg nimmt sie um 55 ml zu, unter Plazebo um 73 ml ab (Differenz 128 ml; 95% Konfidenzintervall 85-170). Der Unterschied wird als klinisch relevant eingestuft1,6 und entspricht im indirekten Vergleich etwa der Wirkung von Tiotropium.7 Von zwei weiteren zwölfwöchigen Phase-III-Studien mit insgesamt 1.100 Patienten ist nur eine8 publiziert. Diese kommt zu einem ähnlichen Ergebnis (Differenz 124 ml), die andere, nicht publizierte hingegen zu einem klinisch nicht relevanten Effekt (Differenz 72 ml).1

Der krankheitsspezifische Gesundheitszustand, gemessen mittels des validierten St. George's Respiratory Questionnaire, wird nur in der 24-wöchigen Studie signifikant häufiger klinisch relevant verbessert (57% versus 41%).1,6 Der Anteil der Patienten mit moderaten und schweren Exazerbationen sinkt nur numerisch (12% vs. 16%; p = 0,2063).1 Phase-III-Studien zum Vergleich mit anderen Bronchodilatatoren fehlen ebenso wie Langzeitdaten. In Sicherheitsstudien wurde maximal zwölf Monate lang behandelt.

STÖRWIRKUNGEN: Häufiger als unter Plazebo treten unter anderem Kopfschmerzen (6,6% vs. 5%), Rhinopharyngitis (5,5% vs. 3,9%), Sinusitis (1,7% vs. 0,8%) und Husten (3% vs. 2,2%) auf sowie Durchfall (2,7% vs. 1,4%),9 der für ein anticholinerges Mittel unerwartet ist. Typische anticholinerge Störwirkungen wie trockener Mund, verschwommenes Sehen und Harnverhalt kommen ebenfalls vor.1

Angesichts der Diskussion um ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko unter Ipratropium und Tiotropium, das für Tiotropium-Pulverinhalat in der großen UPLIFT***-Studie jedoch nicht bestätigt wurde (a-t 2008; 39: 111), sowie einem Risikosignal für erhöhte Sterblichkeit unter Tiotropium als Lösung zur Inhalation (SPIRIVA RESPIMAT; a-t 2010; 41: 118) stellt sich die Frage nach dem kardiovaskulären Risiko der Neuerung. Zwar gibt es in den gepoolten Daten der Phase-III-Studien Hinweise auf ein mögliches Schädigungspotenzial wie Bradyarrhythmie, Überleitungs- oder Sinusknotenstörungen bei 1,6% unter 322 µg Aclidinium vs. 0,8% unter Plazebo, Herzinsuffizienz bei 0,8% vs. 0,3% sowie je einen kardiovaskulär bedingten Todesfall unter den beiden untersuchten Aclidinium-Dosierungen gegenüber keinem unter Plazebo. Die insgesamt geringe Zahl der Ereignisse erschwert jedoch die Bewertung. Zudem waren Patienten mit relevanter Herzerkrankung von den Studien ausgeschlossen.6 Das kardiovaskuläre Risiko soll daher jetzt in einer Sicherheitsstudie nach Markteinführung genauer untersucht werden.1,6

Als Alternative bei Überempfindlichkeit gegen Tiotropium kommt Aclidinium nicht infrage. Hier ist es wegen der chemischen Ähnlichkeit kontraindiziert.2

KOSTEN: Mit monatlichen Kosten von 53 € für zweimal täglich 322 µg wird Aclidinium etwa 10% günstiger angeboten als Tiotropium-Pulverinhalat (SPIRIVA; 59 € für 18 µg/Tag).

∎  Mit Aclidinium (BRETARIS GENUAIR, EKLIRA GENUAIR) steht seit Oktober 2012 ein weiteres anticholinerges Pulverinhalat zur bronchodilatatorischen Dauerbehandlung der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) zur Verfügung. Anders als Tiotropium (SPIRIVA), das einmal täglich inhaliert wird, muss es allerdings zweimal täglich angewendet werden.

∎  Bei Patienten mit mittelschwerer bis schwerer COPD verbessert Aclidinium die Einsekundenkapazität im Vergleich zu Plazebo in zwei von drei Phase-III-Studien klinisch relevant. Vergleichsstudien mit anderen langwirkenden Bronchodilatatoren, insbesondere Tiotropium, fehlen jedoch, ebenso Langzeitdaten vor allem zur kardiovaskulären Sicherheit.

∎  Wir sehen für Aclidinium, ein Me-too-Präparat ohne nachgewiesene Vorteile gegenüber etablierten Bronchodilatatoren, keine Indikation und ziehen das besser erprobte Tiotropium als Pulverinhalat (SPIRIVA) vor.

  (R =randomisierte Studie, M = Metaanalyse)
1 EMA: Europ. Beurteilungsbericht (EPAR) BRETARIS GENUAIR, Stand Mai 2012;
http://www.emea.europa.eu/docs/en_GB/document_library/ EPAR_-_Public_assessment_report/human/002706/WC500132734.pdf
2 Almirall: Fachinformation EKLIRA GENUAIR, Stand Juli 2012
3 Boehringer Ingelheim: Fachinformation SPIRIVA, Stand Juni 2012
4 Nationale Versorgungsleitlinie COPD, Stand Jan. 2012;
http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/nvl-003l_S3_COPD_2012_01.pdf
R  5 JONES, P.W. et al.: Eur. Respir. J. 2012; 40: 830-6
6 FDA: Clinical Review TUDORZA PRESSAIR (aclidinium bromide), Mai 2012;
https://www.accessdata.fda.gov/drugsatfda_docs/nda/2012/202450Orig1s000MedR.pdf
M  7 KARNER, C. et al.: Tiotropium versus placebo for chronic obstructive pulmonary disease. Cochrane Database of Systematic Reviews, Stand Feb. 2012, Zugriff Nov. 2012
R  8 KERWIN, E.M. et al.: COPD 2012; 9: 90-101
9 Forest Pharmaceuticals: US-amerikanische Produktinformation TUDORZA PRESSAIR, Stand Juli 2012;
http://www.accessdata.fda.gov/drugsatfda_docs/label/2012/202450s000lbl.pdf

* ATTAIN = Aclidinium To Treat Airway obstruction In COPD patieNts
POET-COPD = Prevention of Exacerbations with Tiotropium in COPD
** Packungsjahre = Anzahl der pro Tag gerauchten Packungen multipliziert mit der Anzahl der Jahre, in denen geraucht wurde.
*** UPLIFT = Understanding Potential Long Term Impacts on Function with Tiotropium

© 2012 arznei-telegramm, publiziert am 9. November 2012

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

Diese Publikation ist urheberrechtlich geschützt. Vervielfältigung sowie Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen ist nur mit Genehmigung des arznei-telegramm® gestattet.

vorheriger Artikela-t 2012; 43: 90-1nächster Artikel