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Therapiekritik

ZUM NUTZEN VON DEXAMETHASON (FORTECORTIN, GENERIKA) BEI COVID-19

* Vorversion am 26. Juni 2020 als blitz-a-t veröffentlicht.

Nach vorläufigen Ergebnissen der großen randomisierten RECOVERY-Studie verringert der Zusatz des Glukokortikoids Dexamethason (FORTECORTIN, Generika) die Sterblichkeit gegenüber alleiniger üblicher Therapie bei Patienten mit COVID-19, die im Krankenhaus mit Sauerstoff behandelt oder invasiv beatmet werden. Bislang sind die Ergebnisse nur als Pressemitteilung1 und auf einem Preprint-Server erschienen,2 also ohne Peer-Review. In der mehrarmigen, mit öffentlichen Mitteln geförderten, pragmatisch durchgeführten britischen Studie werden im offenen Design mehrere Therapien untersucht.** Voraussetzung für die Aufnahme ist neben der Hospitalisierung eine vermutete*** oder bestätigte SARS-CoV-2-Infektion. Patienten, für die Kortikosteroide nach Einschätzung der behandelnden Ärzte definitiv angezeigt oder kontraindiziert sind, werden ausgeschlossen (17%, 1.965 von insgesamt 11.320 Patienten, die zum Teil in andere Studienarme randomisiert wurden). 2.104 Patienten werden für bis zu zehn (im Median sechs) Tage lang einmal täglich mit 6 mg Dexamethason**** per os oder intravenös behandelt und mit 4.321 Erkrankten verglichen, die nur die übliche Standardtherapie erhalten.2

**In mittlerweile abgebrochenen Studienarmen wurden auch Hydroxychloroquin (QUENSYL, Generika; e a-t 6/2020c) und die HIV-Kombination Lopinavir plus Ritonavir (KALETRA u.a.; siehe Kasten) untersucht. Zudem werden das Antibiotikum Azithromycin (ZITHROMAX, Generika) sowie im faktoriellen Design (a-t 2008; 39: 119) Rekonvaleszenten-Plasma geprüft, das, als Plasma von genesenen Patienten, neutralisierende Antikörper enthalten könnte. Bei progredienter COVID-19-Erkrankung wird auch das Rheumamittel Tocilizumab (ROACTEMRA) untersucht, wobei das Studienprotokoll hinsichtlich der Therapien angepasst werden kann und regional nur zu Therapien randomisiert wird, die auch verfügbar sind.4
***Typische Symptome mit entsprechenden Veränderungen im Röntgen-Thorax, wenn andere Ursachen ausgeschlossen oder unwahrscheinlich sind.4
****Andere Kortikoide bzw. Dosierungen werden für Kinder, in Schwangerschaft und Stillzeit verwendet,4 wobei außer für Schwangere (n = 6) unklar ist, wie viele dieser Patienten in die Auswertung eingehen.

In der Gesamtgruppe sind die Patienten im Mittel 66 Jahre alt, 36% sind weiblich, 24% haben Diabetes mellitus, 27% eine Herz- und 21% eine chronische Lungenerkrankung. Bei 82% ist die SARS-CoV-2-Infektion mittels Labortest bestätigt, jeweils 9% haben ein negatives bzw. ausstehendes Ergebnis. 16% der Patienten sind bei Aufnahme in die Studie invasiv beatmet (einschließlich extrakorporaler Membranoxygenierung [ECMO])*****, 60% unter Sauerstofftherapie ohne invasive Beatmung. Erste Symptome traten im Median acht bis neun Tage vor Randomisierung auf.2

*****Das Blut wird außerhalb des Körpers mit Sauerstoff angereichert und Kohlendioxid entfernt. Hierfür wird Blut kontinuierlich aus dem Körper durch einen Membranoxygenator und zurück zum Patienten geleitet.

Primärer Endpunkt, für den 95% der Patienten vollständig nachbeobachtet sind, ist die Sterblichkeit innerhalb von 28 Tagen. Die Gesamtmortalität ist in dieser Zeit mit 21,6% unter Dexamethason 3% niedriger als unter alleiniger üblicher Therapie (24,6%; Rate Ratio [RR] 0,83; 95% Konfidenzintervall [CI] 0,74-0,92).2

Gemäß prädefinierten Subgruppenanalysen wird das Ergebnis von mehreren bei Aufnahme in die Studie vorliegenden Faktoren relevant beeinflusst:

Respiratorische Unterstützung: Bei Patienten, die bereits bei Randomisierung invasiv beatmet werden, wird die Sterblichkeit mit 29% gegenüber 41% (RR 0,65: 95% CI 0,51-0,82) tendenziell stärker gesenkt als bei Patienten unter Sauerstofftherapie ohne invasive Beatmung (21,5% vs. 25,0%; RR 0,80; 95% CI 0,70-0,92). Bei Erkrankten ohne respiratorische Unterstützung nimmt hingegen die Mortalität numerisch sogar zu (17% vs. 13%; RR 1,22; 95% CI 0,93-1,61; p für Trend bezüglich respiratorischer Unterstützung < 0,001).2

Zeit seit Symptombeginn: Es profitieren nur Patienten, die mehr als 7 Tage nach Symptombeginn randomisiert werden, während bei Randomisierung davor ein Einfluss auf die Mortalität ausbleibt (mehr als 7 Tage: 17% vs. 23%; RR 0,68; 95% CI 0,58-0,80; innerhalb von 7 Tagen: 27,5% vs. 26,5%; RR 1,01; 95% CI 0,87-1,17; p für Trend bezüglich Zeit seit Symptombeginn < 0,001).2

Alter: Für Patienten unter 70 Jahre wird ein stärkerer Effekt auf die Mortalität als für Ältere errechnet:

Dabei sind diese Faktoren voneinander abhängig: So haben invasiv beatmete Patienten, die in der Studie am stärksten profitieren, schon länger Symptome als Patienten unter bzw. ohne Sauerstofftherapie (im Median 13 Tage vs. 9 bzw. 6 Tage).2 Dies spricht dafür, dass das Glukokortikoid auf eine erst später im Verlauf der Erkrankung einsetzende organschädigende Entzündungsreaktion wirkt. Die invasiv Beatmeten sind zudem etwa 8 bzw. 10 Jahre jünger als Patienten unter oder ohne Sauerstofftherapie (im Mittel 59 Jahre vs. 67 bzw. 69 Jahre). Dabei liegt die Mortalität bei Erkrankten ab 80 Jahre bzw. ab 70 bis unter 80 Jahre mit 40% bzw. 31% deutlich höher als bei Patienten unter 70 Jahre (15%).2 Weshalb sich für ältere Patienten tendenziell kein bzw. ein geringerer Nutzen errechnet, erscheint uns derzeit unklar.

Die Nachbeobachtung ist mit 28 Tagen kurz, 14% der Patienten sind zu diesem Zeitpunkt bzw. bei Studienende noch nicht aus dem Krankenhaus entlassen. Eine Auswertung zu einer möglichen Interaktion mit dem gleichzeitig im faktoriellen Design (a-t 2008; 39: 119) geprüften Rekonvaleszenten-Plasma fehlt. Als unerwünschte Ereignisse werden nur schwerwiegende Reaktionen erfasst,4 zu denen jedoch keine Ergebnisse berichtet sind.2

Die kürzlich aktualisierte S1-Leitlinie zur intensivmedizinischen Therapie von Patienten mit COVID-19 spricht bislang – außer für Remdesivir (e a-t 5/2020a), das den Autoren zufolge bei schwerer COVID-19-Erkrankung erwogen werden kann – für keine spezifische medikamentöse Therapie eine Empfehlung zur Anwendung außerhalb klinischer Studien aus. Glukokortikoide sollten demnach bei akutem Atemnotsyndrom (Acute Respiratory Distress Syndrome, ARDS) nicht regelhaft verwendet werden. Sie könnten die Viruselimination verzögern und eine fungale Superinfektion begünstigen. Ausnahme sei die niedrigdosierte Hydrokortison-Therapie bei septischem Schock ohne Ansprechen auf Flüssigkeits- und Vasopressorentherapie über einen Zeitraum von mehr als einer Stunde.3,5 Die RECOVERY-Studie wurde allerdings in der Leitlinie noch nicht berücksichtigt.3 In den USA und Großbritannien wird Dexamethason inzwischen für hospitalisierte Erwachsene mit vermuteter6 oder bestätigter COVID-19-Erkrankung unter Sauerstofftherapie, Beatmung oder ECMO empfohlen oder soll in Betracht gezogen werden.6,7 Für Schwangere und Stillende sind in Großbritannien wie in der RECOVERY-Studie Prednisolon (DECORTIN H, Generika) oder Hydrokortison (HYDROCORTISON ROTEXMEDICA u.a.) statt Dexamethason vorgesehen. Für Kinder ist ein Nutzen bislang nicht belegt.6

LOPINAVIR PLUS RITONAVIR (KALETRA U.A.) OHNE NUTZEN BEI COVID-19

Die Prüfung von Lopinavir plus Ritonavir (KALETRA, Generikum) bei COVID-19 wurde inzwischen sowohl in der RECOVERY-Studie als auch in der von der WHO initiierten SOLIDARITY-Studie abgebrochen.8,9 In RECOVERY wurden 1.596 Patienten zu der HIV-Kombination randomisiert und mit 3.376 unter üblicher Standardtherapie verglichen, wobei wegen Problemen mit der Verabreichung8 – die Tabletten dürfen nicht zerkleinert werden4 – nur relativ wenige invasiv Beatmete untersucht wurden.8 Ein Nutzen lässt sich Pressemitteilungen zufolge nicht nachweisen.8,9 In RECOVERY liegt die Mortalität innerhalb von 28 Tagen demnach unter der Kombination bei 22,1% versus 21,3% unter üblicher Standardtherapie (relatives Risiko 1,04; 95% CI 0,91-1,18).8

Mit Dexamethason (FORTECORTIN, Generika) hat erstmals ein Arzneimittel in einer großen randomisierten Studie (RECOVERY) einen mortalitätssenkenden Effekt bei COVID-19 gezeigt.

Aus unserer Sicht stellt das kostengünstige Glukokortikoid daher bei hospitalisierten Erwachsenen unter Sauerstofftherapie oder invasiver Beatmung eine erfolgversprechende Therapie dar, die wir derzeit in dieser Patientengruppe für vertretbar halten. Allerdings steht die Publikation in einer Peer-Review-Zeitschrift aus, und Fragen zur optimalen Dosierung und Therapiedauer, zum Nutzen in Subgruppen und zu unerwünschten Ereignissen bleiben offen und müssen weiter untersucht werden.

Erkrankte, die nicht beatmet sind und keinen Sauerstoff benötigen, sollten nicht mit Dexamethason behandelt werden, da die Sterblichkeit in RECOVERY bei diesen numerisch zunimmt.

(R = randomisierte Studie)
1Oxford University: Pressemitteilung vom 16. Juni 2020; http://www.a-turl.de/?k=pant
R2HORBY, P et al.: medRxiv, online publ. am 22. Juni 2020; https://doi.org/10.1101/2020.06.22.20137273
3KLUGE, S. et al.: Empfehlungen zur intensivmedizinischen Therapie von Patienten mit COVID-19 (S1-Leitlinie), Stand 19. Juni 2020; http://www.a-turl.de/?k=aaks
4HORBY, P. et al.: Prüfplan RECOVERY-Studie, Version 6.0, Stand 15. April 2020; zu finden unter http://www.a-turl.de/?k=ross
5BRUNKHORST, F.M. et al.: Med. Klin. Intensivmed. Notfmed. 2020; 115 (Suppl. 2): S37–S109
6WHITTY, C.: COVID-19 Therapeutic Alert, Stand 24. Juni 2020; http://www.a-turl.de/?k=eust
7National Institutes of Health: COVID-19 Treatment Guidelines, Stand 25. Juni 2020; http://www.a-turl.de/?k=gens
8Oxford University: Pressemitteilung vom 29. Juni 2020; http://www.a-turl.de/?k=achw
9WHO: Update vom 6. Juli 2020; http://www.a-turl.de/?k=ainf

© 2020 arznei-telegramm, publiziert am 17. Juli 2020

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