COVID-19-VAKZINE VON ASTRAZENECA - VORLÄUFIG SICHER?
Nach einer vorläufigen Beurteilung des Risikosignals von Thrombosen nach Impfung mit der COVID-19-Vakzine von AstraZeneca (AZD1222; a-t 2021; 52: 9-13) bestätigt die europäische Arzneimittelbehörde EMA dem Impfstoff eine positive Nutzen-Schaden-Bilanz. Ein Zusammenhang zwischen Impfung und Thromboembolie allgemein besteht nach Einschätzung des europäischen Pharmakovigilanzausschusses (PRAC) nicht. Bei insgesamt etwa 20 Millionen Geimpften im europäischen Wirtschaftsraum (EWR) und in Großbritannien (allein dort etwa 11 Millionen) gibt es 469 Berichte hierzu, davon 191 aus dem EWR, weniger als allgemein in der Bevölkerung erwartet. Auch gibt es – anders als zuvor vermutet (vgl. blitz-a-t vom 11. März 2021) – demnach keinen Hinweis auf ein Problem mit bestimmten Chargen.1
Sehr selten können jedoch Thrombosen mit Thrombozytopenie und ggf. Blutungen auftreten einschließlich mesenterialen sowie Hirnvenen- und Sinusthrombosen, überwiegend innerhalb von 14 Tagen nach Impfung. Bis zum 16. März überblickt die Behörde 7 Berichte über disseminierte intravasale Gerinnung sowie 18 über zerebrale Sinusthrombosen,1 darunter 7 aus Deutschland.2 Dem Bundesministerium für Gesundheit zufolge liegen hierzulande bis zum 18. März 2021 13 Verdachtsberichte über Hirnvenenthrombosen vor.3 Ob ein kausaler Zusammenhang besteht, wird weiter untersucht. Die Mehrzahl der Berichte, die der EMA bekannt sind, betreffen Frauen im Alter unter 55 Jahre. 9 der 25 Betroffenen sind an den Erkrankungen gestorben. 5 Berichte über disseminierte intravasale Gerinnung betreffen unter 50 Jahre alte Personen. Basierend auf vor der Pandemie erhobenen Daten wäre innerhalb von 14 Tagen nach einer Impfung weniger als 1 zu erwarten gewesen. Zu Sinusthrombosen stehen in dieser Altergruppe 12 Berichte 1,35 erwarteten gegenüber.1
Aus Sicht der EMA überwiegt die nachgewiesene Wirksamkeit des Impfstoffs mit Verhinderung von Hospitalisierung und Tod bei Erkrankung an COVID-19 das extrem geringe Risiko von disseminierter intravasaler Gerinnung und Sinusthrombosen. Geimpfte sollen jedoch gewarnt werden, bei Kurzatmigkeit, Brust- oder Bauchschmerzen, Arm- oder Beinschwellung, schweren oder sich verstärkenden Kopfschmerzen oder verschwommenem Sehen nach Impfung sowie bei anhaltenden Blutungen, Blutergüssen oder punktförmigen Einblutungen unter der Haut sofort ärztliche Hilfe aufzusuchen – insbesondere, wenn die Beschwerden mehr als drei Tage nach Impfung auftreten – und auf die erhaltene Impfung hinzuweisen.1,4
Einer Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) vom 16. März 2021 zufolge sollen in 4 der 7 bis dahin aus Deutschland bekannten Berichte Erkrankungen vorgelegen haben, die teilweise auch das Blutgerinnungssystem betrafen. Zerebrale Sinus- und Venenthrombosen treten hierzulande demnach jedes Jahr bei 1 bis 2 von 100.000 Personen auf und betreffen mehrheitlich Frauen.4 Da Kopfschmerzen nach der Impfung häufig auftreten, gleichzeitig aber auch ein Leitsymptom von Hirnvenen- und Sinusthrombosen sind, soll – so auch das Paul-Ehrlich-Institut – eine weiterführende neurologische Diagnostik mit Bildgebung Personen vorbehalten bleiben, die in den ersten zwei bis drei Wochen nach der Immunisierung mehrere Tage lang neuartige oder ungewöhnlich starke Kopfschmerzen bemerken, welche auf die üblichen, rezeptfreien Analgetika nicht oder nur unzureichend ansprechen.4,5 Selbst wenn die Impfung wesentliche Ursache für die Thrombosen bzw. Gerinnungsstörung sei, handle es sich dennoch um eine extrem seltene unerwünschte Wirkung, die durch die Vorteile der Impfung bei Weitem aufgewogen werde.5
Eine ähnlich positive Nutzen-Schaden-Bewertung nimmt auch die Deutsche Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung (GTH) vor. Sie berichtet in einer Stellungnahme vom 19. März 2021, dass bei vier Patienten mit einer Sinus- /Hirnvenenthrombose nach Impfung mit AZD1222 ein Pathomechanismus ähnlich einer autoimmunen heparininduzierten Thrombozytopenie nachgewiesen wurde. Entsprechend sollte bei Thrombozytopenie oder Thrombose im Zusammenhang mit der Impfung eine Testung auf autoimmune heparininduzierte Thrombozytopenie erfolgen, die – wenn gesichert – sehr wahrscheinlich mit intravenösen Immunglobulinen unterbrochen werden könne.6
Angesichts der Vorläufigkeit der Bewertungen bleiben viele Fragen offen: Insbesondere vermissen wir Details, die eine Bewertung etwaiger Risikofaktoren der Betroffenen ermöglichen. Unseres Erachtens reicht es nicht aus, weitere von disseminierter intravasaler Gerinnung oder Sinusthrombose Betroffene frühzeitig zu erkennen. Die französische Gesundheitsbehörde HAS hat soeben empfohlen, den COVID-19-Impfstoff von AstraZeneca nur für Personen ab 55 Jahre anzuwenden.7 Auch wir halten es bis zur weiteren Klärung der Zusammenhänge für angebracht, dass – im Sinne des vorbeugenden Verbraucherschutzes – zumindest Frauen unter 55 Jahre einen anderen COVID-19-Impfstoff angeboten bekommen, –Red.
1 | EMA: Pressemitteilung vom 18. März 2021; http://www.a-turl.de/?k=ulsp |
2 | EMA: Pressekonferenz vom 18. März 2021; http://www.a-turl.de/?k=aasd |
3 | BMG: Fragen und Antworten, 19. März 2021; http://www.a-turl.de/?k=afte |
4 | DGN: Stellungnahme vom 16. März 2021; http://www.a-turl.de/?k=inno |
5 | PEI: Information für Ärztinnen und Ärzte, 19. März 2021; http://www.a-turl.de/?k=lger |
6 | GTH: Stellungnahme vom 19. März 2021; http://www.a-turl.de/?k=astl |
7 | HAS: Pressemitteilung vom 19. März 2021; http://www.a-turl.de/?k=erng |
© 2021 arznei-telegramm, publiziert am 19. März 2021
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