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COVID-19-IMPFSTOFF VON ASTRAZENECA

Am 29. Januar 2021 hat die europäische Arzneimittelbehörde EMA eine dritte Vakzine gegen COVID-19 bedingt zugelassen, den von der Universität Oxford und AstraZeneca entwickelten Vektorimpfstoff AZD1222.1 Wie bei den beiden bislang verfügbaren messenger (m)-RNA-Vakzinen von BioNTech/Pfizer (BNT162b2 [COMIRNATY], a-t 2020; 51: 92, 101-2) und Moderna (mRNA-1273, a-t 2021; 52: 1-4) handelt es sich bei AZD1222 um einen Nukleinsäure-basierten Impfstoff. Die Erbinformation für das Impfantigen liegt hier jedoch in Form von DNA vor und ist in ein für den Menschen harmloses Erkältungsvirus (so genanntes Trägervirus) eingebaut.2 In Großbritannien darf die Vektorvakzine bereits seit Ende 2020 im Rahmen einer Notfallgenehmigung angewendet werden.3

AZD1222 hat vor der Zulassung mehrfach für – eher negative – mediale Aufmerksamkeit gesorgt: Im September 2020 wurde AstraZeneca in Zusammenhang mit einer zweimaligen vorübergehenden Unterbrechung der Erprobung wegen des Verdachts auf ein schweres unerwünschtes Ereignis mangelnde Transparenz vorgeworfen (a-t 2020; 51: 71-2). Im November 2020 verkündete die Firma Zwischenergebnisse zweier klinischer Studien (COV002 und COV003), wonach „ein Dosisregime“, bei dem zunächst nur eine halbe Dosis verabreicht wird, gefolgt von einer Boosterung mit der vollen Dosis, 90% Wirksamkeit gezeigt habe, während „ein anderes Dosisregime“ mit zwei vollen Dosierungen eine Effektivität von 62% aufweise. Bei gepoolter Analyse ergebe sich daraus eine 70%ige Minderung von COVID-19-Erkrankungen.4 Kurz darauf stellte sich heraus, dass die beiden „Regime“ nicht vorab festgelegt und per Randomisierung zugeteilt worden waren, sondern dass in einer der beiden Studien ein Teil der Probanden zu Beginn versehentlich eine zu geringe Dosis erhalten hatte5 – was erst aufgrund einer unerwartet niedrigen Rate an Impfreaktionen auffiel.6 Wenige Tage vor der Zulassung in der EU kam dann das Gerücht auf, dass die Vakzine bei Älteren lediglich eine Wirksamkeit von 8% habe und daher möglicherweise nur für unter 65-Jährige zugelassen werden könnte.7

Tatsächlich hat die EMA den AstraZeneca-Impfstoff ab einem Alter von 18 Jahren ohne obere Altersbeschränkung zugelassen, räumt aber ein, dass die Daten für eine Beurteilung der Effektivität bei über 55-Jährigen derzeit nicht ausreichen. Dass die Vakzine auch bei ihnen angewendet werden darf, begründet die Behörde mit Daten zu Immunogenität und Sicherheit in dieser Altersgruppe sowie „Erfahrungen mit anderen Impfstoffen“.1 Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt AZD1222 jedoch nur für Personen zwischen 18 und 64 Jahren.8

EIGENSCHAFTEN: AZD1222 basiert auf einem modifizierten, nicht vermehrungsfähigen Adenovirus (ChAdOx1), das bei Schimpansen Atemwegsinfekte auslösen kann und in dessen Genom der Bauplan für das Spike-Protein von SARS-CoV-2 eingefügt wurde. Adenoviren sind DNA-Viren und gelten generell als nicht integrierende Vektoren,9,10 das heißt, sie integrieren ihr Erbgut nicht in das menschliche Genom. Laut RKI verbleibt das Genom des Vektorimpfstoffs ebenso wie das anderer Adenoviren im Kern infizierter Zellen extrachromosomsal.9 Dort wird anhand der DNA mRNA gebildet, nach der dann im Zytoplasma das Virusprotein synthetisiert und anschließend dem Immunsystem präsentiert wird. Dies induziert eine zelluläre Immunreaktion und die Bildung neutralisierender Antikörper.2,11 In der EU sind bereits Vektorimpfstoffe gegen Ebola zugelassen (z.B. ZABDENO von Janssen-Cilag, das auf Adenovirus-Serotyp 26 basiert12).

Dosierung2 Impfdosen mit 5 x 1010 viralen Partikeln im Abstand von 4 bis 12 Wochen,11 die STIKO empfiehlt ein Intervall von 9 bis 12 Wochen8
Lagerungbei 2 °C bis 8 °C 6 Monate haltbar, Mehrdosisbehälter nach Anbruch möglichst rasch verbrauchen und maximal 2 Tage bei 2 °C bis 8 °C oder maximal 6 Stunden bei bis zu 30 °C aufbewahren11

WIRKSAMKEIT: Für die Beurteilung des klinischen Nutzens von AZD1222 zieht die EMA eine gepoolte Analyse der beiden oben erwähnten laufenden randomisierten Studien mit insgesamt mehr als 20.000 Teilnehmern heran, eine Phase-II/III-Studie aus Großbritannien (COV002) und eine Phase-III-Studie aus Brasilien (COV003).11 In beide werden zunächst Personen bis 55 Jahre eingeschlossen, ältere dürfen nach und nach ebenfalls teilnehmen. Dabei erhalten in COV002 anfangs mindestens 1.500 Personen der Verumgruppe aufgrund eines Produktionsfehlers einen Impfstoff, der nur halb so hoch dosiert ist wie vorgesehen (Low-dose-Gruppe). Ursprünglich ist in beiden Studien zudem eine einmalige Immunisierung geplant. Nach Auswertung von Daten aus einer Phase-I/II-Studie zur Immunogenität wird eine Boosterdosis nach vier Wochen in die Protokolle aufgenommen, die bei vielen – vor allem jüngeren6 – Teilnehmern aber erst beträchtlich später erfolgt.2,6 Als Kontrolle dient ein Meningokokken-Konjugatimpfstoff (MENVEO u.a.) bzw. in COV003 für die zweite Immunisierung Kochsalzlösung. Alle Studienteilnehmer sollen zudem nach jeder Impfung 24 Stunden lang prophylaktisch Parazetamol (BEN-U-RON, Generika) einnehmen ([500-] 1.000 mg alle [4-] 6 Stunden). Die Studie wird einfachblind (Probanden) durchgeführt, die Endpunktbewertung erfolgt verblindet.6

Die Beurteilung der Wirksamkeit durch die EMA basiert auf einem gegenüber der publizierten Zwischenanalyse6 und der Bewertung der britischen Arzneimittelbehörde MHRA2 aktualisierten Datenstand und berücksichtigt ausschließlich Teilnehmer, die beide Impfungen mit AZD1222 in der jetzt – auch in Großbritannien – zugelassenen Standarddosierung und zudem innerhalb eines Intervalls von vier bis zwölf Wochen erhalten haben (n = 10.468).11* 13% sind mindestens 65 Jahre und 2,8% mindestens 75 Jahre alt – das sind sowohl relativ als auch absolut weniger als in den Studien zu den beiden mRNA-Impfstoffen. 39% haben mindestens eine stabile Begleiterkrankung, darunter Übergewicht (BMI ≥ 30 kg/m2), Diabetes, Lungen- und kardiovaskuläre Erkrankungen (hauptsächlich Asthma bzw. Bluthochdruck).2,11 Ähnlich wie in den Studien zu den mRNA-Impfstoffen sind Personen mit bekannter COVID-19-Erkrankung in der Vorgeschichte, Schwangere, Kinder und Patienten mit Immunsuppression ausgeschlossen, außerdem aber auch z.B. Patienten mit Krebs oder früherer Anaphylaxie/Angioödem jeglicher Ursache.6

*Alle folgenden Angaben beziehen sich auf die Standarddosis, sofern nicht anders deklariert.

Primärer Endpunkt sind COVID-19-Erkrankungen** ab Tag 15 nach der zweiten Dosis bei Personen ohne vorherigen Nachweis einer SARS-CoV-2-Infektion. Innerhalb einer medianen Nachbeobachtungszeit von 78 Tagen nach der zweiten Impfung (im Abstand von 4 bis 12 Wochen) senkt AZD1222 die Erkrankungsrate um 59,5% (95% Konfidenzintervall [CI] 45,8-69,7; 64/5.258 versus 154/5.210).11 Bezogen auf alle Dosisintervalle (3 bis 23 Wochen) wird eine Wirksamkeit von 62,6% (95% CI 50,9-71,5) errechnet,11 was dem in der ersten Zwischenanalyse6 ermittelten Effekt entspricht wie auch dem in der aktuell – ohne Peer-Review vorab als Preprint – veröffentlichten Endauswertung der Studien.13*** Der Schutz setzt etwa drei Wochen nach der ersten Dosis ein.2,11

**COVID-19-Erkrankungen sind definiert als positiver PCR-Test plus mindestens eines der folgenden Symptome: Fieber, Husten, Kurzatmigkeit, Geschmacks- oder Geruchsverlust.6
***In die Endauswertung gehen zusätzlich die Daten von zwei kleineren Phase-I/II-Studien aus Großbritannien (COV001) und Südafrika (COV005) ein. Die Effektivität beträgt hier 63,1% (95% CI 51,8-71,1; 74/7.201 vs. 197/7.178).13

Bei Patienten mit Begleiterkrankungen ist die Schutzrate nach zweimaliger Immunisierung im Abstand von 4 bis 12 Wochen mit 58,3% (95% CI 33,6-73,9; 25 vs. 60 Erkrankungen) ähnlich. Für ältere Teilnehmer ist hingegen ein schützender Effekt derzeit nicht nachgewiesen: Laut EMA treten unter AZD1222 bei 56- bis 65-Jährigen 8 COVID-19-Erkrankungen auf gegenüber 9 in der Kontrollgruppe und bei über 65-Jährigen 2 versus 6 (keine statistische Auswertung).11****

****Die STIKO geht in ihrer auf einem früheren Datenstand basierenden Analyse8 bei Personen ab 65 Jahren von jeweils einer Erkrankung unter AZD1222 (beide Dosierungen) und in der Kontrollgruppe aus und errechnet daraus eine Effektivität von 6,3%. Sie beruft sich dabei auf die Bewertung der britischen MHRA, in der allerdings nur mitgeteilt wird, dass in dieser Altersgruppe insgesamt zwei COVID-19-Erkrankungen aufgetreten sind.2 Auf Nachfrage erklärt die Kommission, sie habe diese Tatsache „so interpretiert, dass sich die Fälle gleichmäßig auf beide Gruppen verteilen.“14

COVID-19-bedingte Krankenhausaufnahmen (WHO-Schweregrad ≥ 4, sekundärer Endpunkt) ab Tag 15 nach der zweiten Impfung werden unter der AstraZeneca-Vakzine bei keinem Teilnehmer berichtet im Vergleich zu 8 Patienten in der Kontrollgruppe, darunter 1 schwere Erkrankung (WHO-Schweregrad ≥ 6). Werden alle Teilnehmer analysiert, die mindestens eine Dosis erhalten haben, sind es ab Tag 22 nach der (ersten) Impfung 0 vs. 14 Hospitalisierungen (einschließlich eines Todesfalls).11 Die Definition einer schweren Erkrankung ist in den Studien zu AZD1222 deutlich strenger als bei den mRNA-Impfstoffen und erfordert als Mindestkriterium nichtinvasive Beatmung oder High-flow-Sauerstoff, während bei BNT162b2 und mRNA-1273 eine Sauerstoffsättigung unter 94% ausreicht.

WHO clinical progression scale: Skala von 0 bis 10; 0 = kein Virusnachweis, 1-3 = ambulant/milde Erkrankung, 4-5 = hospitalisiert/moderate Erkrankung (= ohne oder mit Sauerstofftherapie über Nasenbrille u.a.), 6-9 = hospitalisiert/schwere Erkrankung (= mindestens nichtinvasive Beatmung oder High-flow-Sauerstoff), 10 = Tod15

Anders als die EMA hat die britische MHRA die Low-dose-Gruppe einbezogen, da sie keine überzeugenden Belege für eine unterschiedliche Wirksamkeit der beiden Dosierungen sieht.2 Für das bessere Abschneiden dieser nicht randomisiert gebildeten Untergruppe – die Schutzrate betrug hier in der Zwischenanalyse 90%4,6 und in der Endauswertung immerhin noch 80%13 – kommen mehrere Gründe in Betracht wie jüngeres Alter (maximal 55 Jahre) und vor allem ein vergleichsweise großer Abstand zwischen erster und zweiter Dosis (im Median zwölf Wochen gegenüber zehn Wochen unter Standarddosis in Großbritannien und fünf Wochen in Brasilien).2,6 Die MHRA und inzwischen auch AstraZeneca sehen das Dosierungsintervall als wesentlich für die beobachtete Differenz an.2,16 Die niedrigere Erstdosis wird derzeit nicht weiter geprüft.16

Nachträgliche explorative Analysen der MHRA2 und in der vorläufigen Endauswertung13 deuten darauf hin, dass der Effekt auf symptomatische SARS-CoV-2-Infektionen mit der Länge des Dosisintervalls numerisch zunimmt und laut Endauswertung unter der Standarddosis bei einem Abstand von weniger als sechs Wochen bei 55% liegt gegenüber 82% bei einem Intervall von mindestens zwölf Wochen (Basis sind 111 bzw. 53 Ereignisse).13 Auch Daten zur Immunogenität weisen in diese Richtung: So sind die mittleren Antikörpertiter von 18- bis 55-Jährigen bei einer Boosterung frühestens nach zwölf Wochen mehr als doppelt so hoch wie bei Auffrischung nach weniger als sechs Wochen (Geometric Mean Ratio 2,19; 95% CI 2,12-2,26).13 Personen über 55 Jahre werden erst nach Protokollaufnahme der zweiten Dosis in die Studien eingeschlossen und erhalten diese daher zumeist im Abstand von weniger als sechs Wochen. Dies könnte nach Einschätzung der MHRA dazu beigetragen haben, dass die Titer bindender und neutralisierender Antikörper bei über 65-Jährigen sowohl nach der ersten als auch nach der zweiten Dosis deutlich niedriger ausfallen als bei jüngeren Erwachsenen.2 Da (über alle Altersgruppen gemittelt) ein klinischer Schutz nach der ersten Dosis – nach ebenfalls explorativen Post-hoc-Analysen2,13 – bis zu zwölf Wochen anhält,2,11,13 erscheint uns zumindest für 18- bis 55-Jährige die Empfehlung der STIKO, die zweite Dosis im Abstand von neun bis zwölf Wochen zu verabreichen,8 durch die Datenlage gestützt.

In COV002 werden wöchentlich in Eigenregie entnommene Nasen-Rachen-Abstriche per PCR auf SARS-CoV-2 getestet. Asymptomatische Infektionen (einschließlich Infektionen, bei denen unbekannt ist, ob Symptome bestehen) werden dabei unter Standarddosis und in der Kontrollgruppe gleich häufig entdeckt.6,13 Eine gepoolte Analyse aller Studien, in der die Rate der geimpften und ungeimpften Teilnehmer mit positivem PCR-Test (ohne und mit Symptomen) als Korrelat für Ansteckungsfähigkeit verglichen und für Geimpfte eine Verringerung um knapp 50% ermittelt wird,13 ist unseres Erachtens methodisch nicht korrekt. Die Daten deuten aber durchaus an, dass AZD1222 die Übertragbarkeit von SARS-CoV-2 zu einem gewissen Grad mindern könnte.

Die Autoren addieren in ihrer Analyse die Zahl symptomatischer Infektionen aus allen Studien und die asymptomatischer Infektionen aus lediglich einer Studie und errechnen daraus eine Rate positiver PCR-Tests, bezogen auf alle Studienteilnehmer. Da eine positive PCR mit asymptomatischem Verlauf bei Geimpften und Ungeimpften gleich häufig vorkommt, dies aber nur in einer der vier Studien erfasst wird, dürfte das Ergebnis überschätzt sein.

Nach einer weiteren aktuell als Preprint publizierten Auswertung der in Großbritannien durchgeführten Studie COV002 bietet AZD1222 einen vergleichbaren und nur numerisch geringeren Schutz vor symptomatischen Infektionen durch die dort verbreitete Virusmutation B.1.1.7 als durch herkömmliche Varianten (Standarddosis: 77% vs. 83%). Die Titer neutralisierender Antikörper sind jedoch um den Faktor 9 niedriger.17 Gegen COVID-19-Erkrankungen durch die in Südafrika vorherrschende Variante B.1.351 lässt sich nach einer dritten Vorabveröffentlichung einer laufenden Phase-I/II-Studie (COV005) kein Effekt nachweisen (Effektivität 10,4%; 95% CI -76,8-54,8; 39 Ereignisse). Allerdings sind bei den knapp 1.500 analysierten, im Durchschnitt 31 Jahre alten Studienteilnehmern nur milde oder moderate Verläufe aufgetreten, sodass ein möglicher Schutz von AZD1222 vor schweren Erkrankungen nicht untersucht werden konnte.18

Moderater Verlauf bedeutet z.B. mindestens an 3 Tagen Fieber ≥ 37,8 °C plus 2 Symptome wie Halsschmerzen, Husten, verstopfte Nase u.a.

SICHERHEIT: In die Analysen zur Sicherheit gehen neben COV002 und COV003 auch Daten der beiden kleineren Phase-I/II-Studien COV001 aus Großbritannien und COV005 aus Südafrika ein. Von den insgesamt knapp 24.000 Teilnehmern haben jeweils etwa 10.000 AZD1222 in Standarddosis bzw. als Kontrolle überwiegend Meningokokkenimpfstoff erhalten, in COV003 als zweite Dosis und in COV005 generell Kochsalz.2 Die Nachbeobachtungszeit beträgt im Median zwei Monate nach der zweiten Impfung.2,11 Bei einem Teil (n = 5.145, zwei Drittel aus Großbritannien) werden mit Hilfe eines Tagebuchs nach jeder Dosis sechs bis sieben Tage lang typische lokale und systemische Impfreaktionen ermittelt. Wie die beiden mRNA-Impfstoffe erweist sich auch der Vektorimpfstoff – trotz der in fast allen Studien (außer COV005) empfohlenen prophylaktischen Einnahme von (hochdosiertem) Parazetamol – als sehr reaktogen: Lokalreaktionen treten nach der 1. Dosis bei 71% auf und nach der 2. Dosis bei 47% (Kontrolle: 46% bzw. 30%) und werden von 8% bzw. 4% als schwer eingestuft (Kontrolle: 5% bzw. 3%). Am häufigsten wird über Druckempfindlichkeit (64%) und Schmerz (54%) an der Injektionsstelle berichtet.2

Systemische Impfreaktionen kommen nach der ersten Dosis bei 70% vor und nach der zweiten bei 45% (Kontrolle: 54% bzw. 36%) und werden von 7% bzw. 2% als schwer empfunden (Kontrolle: jeweils 2%). Besonders häufig fallen unter AZD1222 Müdigkeit und Kopfschmerz (je 53%), Krankheitsgefühl und Myalgie (je 44%) sowie Schüttelfrost (32%), Arthralgie (26%) und Übelkeit (22%) auf.2

Insgesamt bilden sich die Impfreaktionen überwiegend innerhalb weniger Tage zurück, treten nach der zweiten Impfung weniger häufig auf und verlaufen dann auch milder. Ähnlich wie bei den mRNA-Impfstoffen ist die Reaktogenität bei Personen ab 65 Jahren weniger stark ausgeprägt und weniger häufig.2,11

Aktuell wird in den Medien über eine hohe Rate grippeähnlicher Beschwerden nach Immunisierung von Mitarbeitern des Gesundheitswesens in Schweden berichtet, die zu massenhaften Krankschreibungen und akutem Personalnotstand geführt haben, sodass die Impfung dort in einigen Regionen ausgesetzt wurde.19 Auch hierzulande werden inzwischen vermehrt Personalausfälle wegen Impfreaktionen bekannt.35 Dass die Reaktogenität in der Praxis offenbar häufiger schwer ausgeprägt ist als in der klinischen Erprobung beobachtet, könnte auf die in den meisten Studien praktizierte, in der Fachinformation11 jedoch nicht erwähnte prophylaktische Einnahme von Parazetamol zurückzuführen sein. Das Paul-Ehrlich-Institut prüft die berichteten Reaktionen derzeit.35

In der gesamten hinsichtlich Sicherheit ausgewerteten Population werden zudem Juckreiz und Hautausschlag, Lymphadenopathie und Schwindel als gelegentliche Störwirkungen beobachtet.2,11 Schwerwiegende Überempfindlichkeitsreaktionen kommen in den Studien nicht vor, Überempfindlichkeit gilt derzeit nicht als unerwünschter Effekt von AZD1222.2,11 Fazialisparesen treten in beiden Gruppen gleich häufig auf (jeweils 3).2

Unter dem AstraZeneca-Impfstoff wird bei zwei Teilnehmern eine transverse Myelitis 10 Tage nach der ersten Dosis bzw. 14 Tage nach der zweiten Dosis berichtet. Bei ersterem wird später eine vorbestehende, zuvor nicht erkannte Multiple Sklerose diagnostiziert.2,6 Die MHRA kann einen Kausalzusammenhang der beiden Ereignisse mit AZD1222, die in der europäischen Fachinformation11 nicht einmal erwähnt werden, derzeit weder sicher ausschließen noch bestätigen.2 Unter dem Meningokokkenimpfstoff gibt es ebenfalls einen Bericht über transverse Myelitis 68 Tage nach Immunisierung.6

EINORDNUNG: Die Datenlage zum AstraZeneca-Impfstoff ist unübersichtlich – nicht nur wegen des Poolens von Ergebnissen aus verschiedenen Studien, sondern vor allem, da diese auf sehr unterschiedlichen Dosierungsintervallen (und Dosierungen) basieren, die nicht randomisiert zugeteilt wurden. Für Personen ab 56 Jahren ist ein Schutz bislang gar nicht nachgewiesen und die Frage des Dosierungsintervalls offen. Es erscheint uns daher folgerichtig, die Anwendung von AZD1222 auf 18- bis 55-Jährige zu begrenzen – wie es in Italien und Spanien der Fall ist20 –, bis Daten aus einer laufenden randomisierten Phase-III-Studie21 mit geplanten 30.000 Teilnehmern überwiegend aus den USA vorliegen. Die USA, aber auch die Schweiz, machen eine Zulassung von deren Ergebnissen abhängig, die in den kommenden Wochen erwartet werden.22,23 Leider werden dort lediglich zwei Standarddosierungen im Abstand von vier Wochen geprüft,24 sodass auch diese Studie die Frage nach dem effektivsten Dosisintervall nicht klären kann.

Ein weiteres Problem des AstraZeneca-Impfstoffs ist die im – indirekten – Vergleich zu den beiden mRNA-Vakzinen deutlich schlechtere Wirksamkeit von 60% gegenüber jeweils etwa 95%. Dies betrifft allerdings lediglich milde COVID-19-Erkrankungen. Schwerere Verläufe, bei denen die Patienten hospitalisiert und zum Teil beatmet werden, verhindert der Vektorimpfstoff nach den bisherigen, diesbezüglich allerdings sehr begrenzten Daten offenbar vollständig. Da letztlich aber die Verhinderung von Krankenhausaufnahmen, Intensivbehandlungen und Todesfällen entscheidend ist und sich die drei zugelassenen Impfstoffe beim derzeitigen Kenntnisstand in dieser Hinsicht ähneln, sollte unseres Erachtens angesichts des aktuellen Mangels an Impfstoffen auch diese Vakzine angewendet werden.

Von den weiteren Impfstoffkandidaten dürfte in nächster Zeit am ehesten mit dem Vektorimpfstoff von Janssen zu rechnen sein, der auf dem Adenovirus-Typ 26 basiert und voraussichtlich Ende Februar in den USA eine Notfallzulassung erhalten wird.25 In Europa hat der Anbieter soeben einen Antrag auf Zulassung gestellt, eine Entscheidung könnte Mitte März fallen.26 Laut einer Pressemitteilung soll diese Vakzine in einer Zwischenanalyse einer randomisierten Studie mit knapp 44.000 Teilnehmern aus den USA, Lateinamerika und Südafrika ab Tag 28 nach einmaliger Immunisierung eine Wirksamkeit von 66% gegen moderate und schwere COVID-19-Erkrankungen gezeigt haben und von 85% gegen schwere Erkrankungen.27 Darüber hinaus hat die EMA im Februar mit der Prüfung der Unterlagen (Rolling Review, siehe a-t 2020; 51: 89-92) zu einem Protein-basierten Impfstoff von Novavax begonnen, der – auch nach einer Pressemitteilung – in einer Interimsanalyse einer in Großbritannien durchgeführten Studie mit rund 15.000 Teilnehmern (62 Ereignisse) nach zwei Impfungen 89% aller symptomatischen SARS-CoV-2-Infektionen verhindert haben soll.28 Ein weiterer Rolling Review läuft ebenfalls seit Februar zu der mRNA-Vakzine von CureVac, deren Phase-III-Studie jedoch erst Mitte Dezember 2020 gestartet ist.29 Der Anbieter des russischen Vektorimpfstoffs SPUTNIK V, der für die Erst- und Zweitimmunisierung zwei verschiedene Adenoviren (Serotyp 26 bzw. 5) verwendet und gemäß einer publizierten Zwischenanalyse eine Effektivität von 91,6% (95% CI 85,6-95,2; 19.866 analysierte Teilnehmer, 78 Ereignisse) erreicht,30 hat in der EU bislang weder einen Antrag auf Zulassung noch auf einen Rolling Review gestellt31 und dürfte daher in absehbarer Zeit nicht verfügbar sein.

Offen bleibt, welche Auswirkungen Virusmutationen auf die Wirksamkeit der verschiedenen Impfstoffe haben werden. Laut den oben erwähnten Pressemitteilungen soll in Südafrika, wo inzwischen die Variante B.1.351 vorherrscht, die Vakzine von Janssen immerhin einen Schutz von 57% vor mäßigen und schweren COVID-19-Erkrankungen aufweisen27 und der Impfstoff von Novavax eine Effektivität von 60% gegen symptomatische Infektionen aller Schweregrade.28 Zu den mRNA-Impfstoffen liegen unseres Wissens bislang zu der südafrikanischen Variante keine klinischen Daten vor. Es ist aber zu befürchten, dass – auch durch den Selektionsdruck, wenn ein zunehmender Teil der Bevölkerung immunisiert ist – weitere Varianten entstehen. Die Unternehmen arbeiten bereits an veränderten Impfstoffen mit einer verbesserten Wirksamkeit gegen die bekannten Virusmutationen. Da bei Vektorimpfstoffen bei wiederholter Anwendung aber mit Ausbildung einer Immunität gegen das Trägervirus zu rechnen ist, sollten dringend Regime geprüft werden, in denen nach Grundimmunisierung mit einem Vektorimpfstoff die Boosterung zum Beispiel mit einer mRNA-Vakzine erfolgt. Die Universität Oxford hat zudem angekündigt, verschiedene Prime-Boost-Kombinationen von AZD1222 und BNT162b2 im Hinblick auf Immunogenität und unerwünschte Effekte zu untersuchen.32

KOSTEN: Die in den Lieferverträgen der SARS-CoV-2-Impfstoffe vereinbarten Preise sind nicht offiziell bekannt, da dies als „Betriebsgeheimnis“ gilt.33 Für eine Dosis des AstraZeneca-Impfstoffs AZD1222 wird in einer im Dezember 2020 kurzzeitig von einer belgischen Politikerin auf Twitter verbreiteten Tabelle jedoch ein Preis von 1,78 € angegeben.34 Die beiden mRNA-Impfstoffe BNT162b2 (COMIRNATY; 12 €/Dosis)34 und mRNA-1273 von Moderna (15 €/Dosis)34 kosten bis zu achtmal so viel.

Seit Ende Januar ist der COVID-19-Impfstoff von AstraZeneca (AZD1222) in der EU für Erwachsene ab 18 Jahre ohne obere Altersbegrenzung bedingt zugelassen. Es handelt sich dabei um einen Vektorimpfstoff, der auf einem nicht vermehrungsfähigen Schimpansen-Adenovirus basiert, in dessen Genom der Bauplan für das Spike-Protein von SARS-CoV-2 eingefügt wurde.

AZD1222 mindert in einer gepoolten Auswertung von zwei laufenden randomisierten Studien bei den etwa 10.500 analysierten Teilnehmern nach zweimaliger Immunisierung im Abstand von vier bis zwölf Wochen die Zahl symptomatischer SARS-CoV-2-Infektionen um 60%. Ein längeres Dosisintervall scheint dabei nach explorativen Post-hoc-Analysen effektiver zu sein.

Hospitalisierungen und schwere Verläufe werden – bei allerdings sehr begrenzten Daten – offenbar vollständig verhindert (0 versus 14).

Es deutet sich an, dass AZD1222 die Übertragbarkeit von SARS-CoV-2 zu einem gewissen Grad mindern könnte.

Für eine Beurteilung der Effektivität bei über 55-Jährigen reichen die Daten auch nach Einschätzung der EMA derzeit nicht aus. Hierzulande wird AZD1222 von der STIKO allerdings bis zu einem Alter von 64 Jahren empfohlen.

Wie bei den mRNA-Impfstoffen ist mit Lokalreaktionen, insbesondere Druckempfindlichkeit und Schmerz an der Injektionsstelle, bei bis zu 70% zu rechnen. Systemische Reaktionen wie Müdigkeit, Kopfschmerz, Krankheitsgefühl und Myalgie treten ebenfalls bei bis zu 70% auf und werden von bis zu 8% als schwer eingestuft – obwohl die Mehrzahl der Teilnehmer laut Protokoll prophylaktisch hochdosiert Parazetamol (BEN-U-RON, Generika) einnehmen sollte.

In den Studien erkranken unter AZD1222 zwei Patienten an transverser Myelitis, bei einem wird später eine vorbestehende, zuvor nicht erkannte Multiple Sklerose diagnostiziert. Unter dem als Kontrolle verabreichten Meningokokken-Konjugatimpfstoff (MENVEO u.a.) tritt ebenfalls eine transverse Myelitis auf.

Angesichts der beim derzeitigen Kenntnisstand guten Wirksamkeit von AZD1222 gegen schwerere Verläufe von COVID-19 erachten wir den Vektorimpfstoff als geeignet für den individuellen Impfschutz vor allem von 18- bis 55-Jährigen und bewerten ihn als relevanten Beitrag zur Eindämmung der Pandemie. Die mRNA-Impfstoffe sollten aktuell der Hochrisikogruppe der alten Menschen vorbehalten bleiben. Personen im Alter von 56 bis 64 Jahren, für die die Vakzine hierzulande ebenfalls empfohlen wird und für die derzeit kein alternativer Impfstoff angeboten wird, müssen nach Aufklärung über die fehlenden Daten zum klinischen Nutzen abwägen, ob sie sich dennoch mit AZD1222 immunisieren lassen oder – für einen ungewissen Zeitraum – ungeimpft bleiben möchten, bis mehr Daten vorliegen oder das Angebot an Impfstoffen eine freie Auswahl ermöglicht.

Neben den offenen Fragen bei allen drei derzeit zugelassenen COVID-19-Impfstoffen beispielsweise zur Dauer des Schutzes und zu potenziellen bislang unbekannten schwerwiegenden Risiken müssen auch Sicherheit und Effektivität von sequenziellen Kombinationen verschiedener Impfstofftypen geklärt werden.

(R = randomisierte Studie)
1EMA: Pressemitteilung vom 29. Jan. 2021; http://www.a-turl.de/?k=eipe
2MHRA: Public Assessment Report COVID-19 Vaccine AstraZeneca, 5. Jan. 2021; http://www.a-turl.de/?k=icki
3Department of Health and Social Care (UK): Pressemitteilung vom 30. Dez. 2020; http://www.a-turl.de/?k=eife
4AstraZeneca: Pressemitteilung vom 23. Nov. 2020; http://www.a-turl.de/?k=osit
5ROBBINS, R., MUELLER, B.: New York Times, 25. Nov. 2020; Update 30. Dez. 2020; http://www.a-turl.de/?k=ltsc
R6VOYSEY, M. et al.: Lancet 2021; 397: 99-111
7HOFMANN, S. et al.: Handelsblatt.com, 26. Jan. 2021; http://www.a-turl.de/?k=ltle
8STIKO: Epidemiol. Bull. 2021; Nr. 5: 3-79; http://www.a-turl.de/?k=efen
9RKI: COVID-19 und Impfen: Antworten auf häufig gestellte Fragen, Stand 11. Febr. 2021; http://www.a-turl.de/?k=atts
10LEE, C.S. et al. Genes Dis. 2017; 4: 43-63
11EMA/AstraZeneca: SPC COVID-19 Vaccine AstraZeneca, Stand 29. Jan. 2021; http://www.a-turl.de/?k=eure
12EMA: Pressemitteilung vom 29. Mai 2020; http://www.a-turl.de/?k=ylda
R13VOYSEY, M. et al.: Lancet Preprint, online publ. am 1. Febr. 2021; http://www.a-turl.de/?k=irch
14STIKO: Schreiben vom 3. Febr. 2021
15WHO Working Group on the Clinical Characterisation and Management of COVID-19 Infection: Lancet Infect. Dis. 2020; 20: e192-7
16AstraZeneca: Schreiben vom 15. Jan. und 2. Febr. 2021
R17EMARY, K.R.W. et al.: Lancet Preprint, online publ. am 4. Febr. 2021; http://www.a-turl.de/?k=bera
R18MADHI, S.A. et al.: medRxiv (Preprint), 12. Febr. 2021; http://www.a-turl.de/?k=aite
19Redaktionsnetzwerk Deutschland vom 15. Febr. 2021; http://www.a-turl.de/?k=eule
20Dt. Ärztebl. vom 8. Febr. 2021; http://www.a-turl.de/?k=uchm
21AstraZeneca: ClinicalTrials.gov, Stand Jan. 2021; http://www.a-turl.de/?k=onta
22SANTORA, M.: New York Times vom 3. Febr. 2021; http://www.a-turl.de/?k=orhe
23Swissmedic: Mitteilung vom 3. Febr. 2021; http://www.a-turl.de/?k=nlin
24AstraZeneca: Schreiben vom 2. Febr. 2021
25FDA: Pressemitteilung vom 4. Febr. 2021; http://www.a-turl.de/?k=sloh
26EMA: Pressemitteilung vom 16. Febr. 2021; http://www.a-turl.de/?k=egen
27Janssen: Pressemitteilung vom 29. Jan. 2021; http://www.a-turl.de/?k=olzd
28Novavax: Pressemitteilung vom 28. Jan. 2021; http://www.a-turl.de/?k=urzb
29CureVac: Pressemitteilung vom 14. Dez. 2020; http://www.a-turl.de/?k=urxd
R30LOGUNOV, D.Y. et al.: Lancet, online publ. am 2. Febr. 2021 (11 Seiten); http://www.a-turl.de/?k=iehl
31EMA: Pressemitteilung vom 10. Febr. 2021; http://www.a-turl.de/?k=arsl
32Universität Oxford: Pressemitteilung vom 4. Febr. 2021; http://www.a-turl.de/?k=ahde
33LIESE, P.: E-Mail vom 27. Nov. 2020
34BOSSAERT, J.: HLN News vom 17. Dez. 2020; http://www.a-turl.de/?k=urka
35Berliner Ztg. vom 16. Febr. 2021; http://www.a-turl.de/?k=bern

© 2021 arznei-telegramm, publiziert am 19. Februar 2021

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