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Im Blickpunkt

ANTIEPILEPTIKUM VIGABATRIN (SABRIL)

An wirksamen Antiepileptika besteht dringender Bedarf, denn mit den gängigen Antikonvulsiva werden nur maximal 90% der Anfallskranken gebessert bzw. symptomfrei. Als letzte Neueinführung kam Valproinsäure (ERGENYL u.a.) 1973 auf den Markt. Das seit Anfang 1992 erhältliche Vigabatrin (SABRIL) wird bei seiner Einführung als Reserveantiepileptikum ausgewiesen. Es soll eine bestehende, aber nicht ausreichend effektive antikonvulsive Therapie ergänzen, insbesondere bei partiellen Anfällen im Erwachsenen- und Kindesalter. Es handelt sich um eine Strukturvariante der gamma-Amino-Buttersäure (GABA, s. Abbildung), einem Transmitter, der die Erregbarkeit von Neuronen dämpft.

WIRKUNGEN: Eine Unterfunktion des GABAergen Systems wird als eine mögliche Ursache erhöhter Krampfbereitschaft angesehen. Vigabatrin hemmt als "suizidales" Substrat irreversibel die GABA-Transaminase, ein Enzym, das für den Abbau von GABA verantwortlich ist. Als Folge steigt die GABA-Konzentration im Liquor. Die Hemmung von Transaminasen bleibt nicht auf das GABA-abbauende Enzym beschränkt, sondern betrifft auch andere im Gehirn und peripheren Organen vorkommende Transaminasen wie SGOT und SGPT. Die Folgen dieses Stoffwechseleingriffs sind unbekannt.1

EIGENSCHAFTEN: Trotz der kurzen Halbwertszeit von etwa fünf Stunden wirkt Vigabatrin länger. Es hemmt die GABA-Transaminase irreversibel. Neue Enzymmoleküle müssen nachgebildet werden. Die Effekte von Vigabatrin lassen sich daher nicht mit dem Serumspiegel in Einklang bringen.

DOSIS: Die Einstiegsdosis beträgt für Erwachsene 2 g/Tag. Die Kosten sind mit monatlich 260 DM beträchtlich. Über 4 g/Tag verbessert sich die Wirksamkeit nicht. Eingeschränkte Nierenfunktion erfordert niedrigere Dosen. Kinder ab 3 Jahre erhalten täglich 40 mg/kg Körpergewicht, ggf. bis zu 100 mg/kg KG, bei WEST-Syndrom, einem schwerbehandelbaren Syndrom mit Blitz-Nick-Salaam (BNS)-Krämpfen, auch höher. Bleibt innerhalb von zwei Monaten ein Nutzen von Vigabatrin aus, ist es abzusetzen. Um einen Anstieg der Anfallshäufigkeit als Reboundeffekt zu vermeiden, ist ausschleichend abzudosieren.

KLINIK: In kontrollierten Studien mindert Vigabatrin die Frequenz unkontrollierbarer Anfälle bei knapp der Hälfte der Patienten um 50%.2 Die Patienten erhielten 2 bis 3 g Vigabatrin zusätzlich zu ihrer bisherigen Medikation. In zwei Langzeitstudien mit 114 Patienten, die zunächst auf das Mittel ansprachen, verlor sich die Anfallskontrolle bei 12% bzw. 16% der Patienten während 22 bzw. 33 Monaten.3 Den bisherigen Daten nach scheint Vigabatrin am besten bei partiellen Anfällen mit oder ohne sekundäre Generalisierung zu wirken, doch sind die Erfahrungen mit anderen Anfallstypen begrenzt. Die Neuerung eignet sich nicht für idiopathische generalisierte Epilepsien.

STÖREFFEKTE: Bedenken zur Langzeitverträglichkeit stehen einer Ausweitung der Anwendungsgebiete von Vigabatrin entgegen. In Norwegen wurde das Mittel nicht zugelassen. Begründet wird dies mit toxischen Schäden in Form von Mikrovakuolisierungen (intramyelinäres Ödem) in der weißen Substanz des Gehirnes von Ratten, Mäusen und Hunden nach Dosen nahe dem therapeutischen Bereich.4 Bei Affen fanden sich vereinzelt Mikrovakuolen in einigen Hirnregionen.1 Post-mortem- oder Biopsie-Material vom Menschen gaben bisher keine Hinweise auf Mikrovakuolisierungen.3

Ungeprüft sind auch Langzeitauswirkungen auf das visuelle System, das Endokrinium und die psychische und emotionale Entwicklung sowie die Intelligenz von Kindern.1

An akuten Störwirkungen dominieren ZNS-Effekte. Bei Kindern stehen Hyperaktivität (14%) einschließlich Aggression, Agitation, Hyperkinesie und Reizbarkeit im Vordergrund,5 bei Erwachsenen Somnolenz (12,5%), Müdigkeit (9%), Kopfschmerzen und Benommenheit (je 4%), Depression, Nervosität, Gedächtnisstörungen und Aggressivität. 7 (5%) von 145 Patienten erlitten psychotische Reaktionen einschließlich Halluzinationen und Paranoia.6 Mit Gewichtszunahme ist vor allem im 1. Halbjahr der Einnahme zu rechnen: In einer Langzeitstudie nahmen 40% der Patienten zwischen 5% und 15% zu.3 6,5% von 2.000 Patienten brachen die Behandlung mit Vigabatrin wegen Unverträglichkeit ab.5 Bei Patienten, die Phenytoin (EPANUTIN u.a.) einnehmen, fallen dessen Plasmakonzentrationen unter Vigabatrin um etwa 20% ab. Bei einigen Patienten führt dies zur erhöhten Anfallsfrequenz.2

KONTRAINDIKATIONEN: Frauen während der Schwangerschaft und Stillzeit dürfen Vigabatrin nicht erhalten, Personen mit psychiatrischen Erkrankungen und organischen Hirnveränderungen sowie Suizidgefährdete nur unter sorgfältiger Beobachtung.

FAZIT: Vigabatrin (SABRIL) bessert zuvor unkontrollierbare Epilepsien bei jedem zweiten Patienten. Das Mittel wird nur als Zusatz zur bestehenden antiepileptischen Medikation gegeben. Es wirkt vor allem gegen partielle Anfälle mit oder ohne sekundäre Generalisierung und möglicherweise weniger gut bei myoklonischen Anfällen oder Absencen. Hinreichende Erfahrungen zur Langzeitverträglichkeit fehlen. Bedenken bestehen wegen Mikrovakuolisierungen in der weißen Substanz des Gehirns von Versuchstieren. ZNS-toxische Effekte umfassen Somnolenz, Aggressivität, Hyperkinesie, Psychose und Halluzination. Die Anwendung der wichtigen, aber extrem teuren (s. Kasten) Neuerung bedarf der sorgfältigen Verlaufskontrolle.


© 1992 arznei-telegramm

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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