Das Prostatakarzinom gehört zu den häufigen Tumoren und kommt in der Rangfolge der Krebserkrankungen beim Mann nach dem
Lungenkarzinom auf Platz 2. Bei 9 von 10 Patienten mit metastasierendem Prostatakarzinom läßt sich durch palliative Hormonbehandlung ein lang
anhaltender Wachstumsstillstand erreichen, da die Wachstumsaktivität des Tumors initial über Testosteronrezeptoren beeinflußt wird. Erst wenn mit
weiterer Entdifferenzierung der Tumorzellen diese Kontrolle verlorengeht, versagt die Hormontherapie.1
Der Entzug der androgenen Wachstumsstimulation ist also die wesentliche therapeutische Maßnahme. Nach Entfernung der männlichen Keimdrüsen
sinkt der Testosteronspiegel im Blut jedoch nicht auf Null, sondern nur auf ein Zehntel des Normalwertes, weil auch die Nebennieren Androgene bilden. Durch eine
solche Maßnahme wird der Androgengehalt im Tumor wahrscheinlich aufgrund des hohen Rezeptorproteingehaltes im Tumorgewebe nur auf
40% bis 50% des Wertes bei normalem Testosteronspiegel gesenkt. Jedoch scheint diese Absenkung auszureichen, um die normale Funktion und Proliferation des
Prostatagewebes zum Erliegen zu bringen.1
Außer durch Kastration ist eine entsprechende Absenkung der Testosteronspiegel im Blut durch hoch-dosierte Gabe von Estrogen (z.B. PROGYNON DEPOT
100), von Antiandrogen wie Cyproteron (ANDROCUR) und Depotformen von LH-RH-Agonisten (Leuprorelin, CARCINIL, ENANTONE; Goserelin, ZOLADEX) zu
erreichen.
Flutamid (FUGEREL) ist ein Blocker der Androgenrezeptoren, der die Testosteronsynthese nicht unterdrückt. Libido und Potenz bleiben zum Teil erhalten,
jedoch muß die Monotherapie derzeit eine Ausnahme bilden, weil keine Langzeitdaten für die Wirksamkeit im Vergleich zu Standardbehandlungsmethoden
vorliegen.1
LH-RH-Agonisten führen durch kontinuierliche Überstimulation zu einer "Down"-Regulation der hypophysären Rezeptoren, die die
Synthese der hypophysären Steuerungshormone wie FSH regulieren, mit der Folge des Sistierens der Hormonbildung. Aufgrund dieses Mechanismus kommt es
bei Therapiebeginn zu einer erhöhten Testosteronsynthese, bis sich nach zwei Wochen die Synthesehemmung etabliert hat. Deshalb erscheinen auch
kurzwirksame Formen der LH-RH-Agonisten in der Behandlung des Prostatakarzinoms prinzipiell problematisch, da es praktisch nur bei äußerster Disziplin
der Anwendung und strenger Beachtung der Anwendungsintervalle gelingt, die kontinuierliche Überstimulation der Hypophyse konstant zu halten. Für die
zweckmäßigeren Depotformen liegen jedoch noch keine Langzeitergebnisse vor (vgl. a-t 1 [1989], 4). Die Behandlung ist extrem kostspielig (ca. 7.000 DM
pro Jahr).
Jede hormonelle Manipulation hat beim Prostatakarzinom nur palliativen Charakter. Vor diesem Hintergrund sind die Behandlungsfolgen zu werten. Der als Standard
zu betrachtende Androgenentzug durch operative Kastration hat große psychische Bedeutung für den Patienten und bedeutet Verlust von Libido und
Potenz. Ob Estrogene klinisch die gleichen Effekte wie der Androgenentzug haben oder diesen an Wirksamkeit übertreffen, bleibt zu klären. Zu den
psychischen Belastungen kommen gravierende Risiken wie thromboembolische und kardiovaskuläre Komplikationen hinzu. LH-RH-Agonisten und Cyproteron
scheinen günstiger abzuschneiden, rufen aber auch Hitzewallungen und Schwellungen mit Empfindlichkeit der Brust hervor und hemmen Libido und
Potenz.
Ohne gleichzeitig verabreichtes Antiandrogen kann der initiale Anstieg der Testosteronspiegel unter LH-RH-Agonisten eine vorübergehende Exazerbation des
Tumorleidens (Knochenschmerzen, Harnleiterblockade, Kompressionssyndrome) auslösen.2 Deshalb wird das Prinzip der "totalen
Androgenblockade" in Form einer Kombinationsbehandlung von LH-RH-Agonisten mit dem Antiandrogen Flutamid diskutiert. Eine Studie, in der die
Monotherapie mit Leuprorelin (CARCINIL) gegen die Kombinationstherapie Leuprorelin plus Flutamid (FUGEREL) verglichen wurde, fand auch Hinweise auf Vorteile
hinsichtlich des Verlaufs und der mittleren Überlebenszeit. Jedoch bleiben Vorbehalte, da in dieser Studie der LH-RH-Agonist noch nicht in Form des
Depotpräparates verwendet wurde. Solange dies der Fall war, ließ sich hinsichtlich der Belastung des Patienten und der Praktikabilität kein
wesentlicher Extranutzen gegenüber der Kastration erkennen.1
FAZIT: Alle hormonellen Behandlungsverfahren wirken beim Prostatakarzinom nur palliativ. Sie beruhen auf Androgenentzug, durch den die
Wachstumsaktivität des Tumors gehemmt wird. Die Kastration ist wegen der psychischen Belastungen problematisch, gilt aber hinsichtlich der notwendigen
Absenkung des Testosteronspiegels im Plasma nach wie vor als Standard. Die Estrogentherapie hat Zusatzrisiken hinsichtlich thromboembolischer und
kardiovaskulärer Komplikationen.
LH-RH-Agonisten scheinen Verlauf und Lebenserwartung ebenfalls günstig zu beeinflussen bei geringerer subjektiver Belastung des Patienten. Ob das
Prinzip der "totalen Androgenblockade" durch die Kombination des LH-RH-Agonisten mit dem Androgenrezeptorenblocker Flutamid einen klinisch
relevanten Vorteil bietet, muß nach ersten Hinweisen weiter überprüft werden.
1 | SCHRÖDER, F. H.: Brit. med. J. 303 (1991), 149 |
2 | FAURE, N. et al.: Prostate 4 (1983), 601 |
|