Im Unterschied zur primären Wundheilung operativer oder primär versorgter Wunden ohne Gewebstraumata oder Infektion heilen
Zufallswunden und Ulzera oft erst sekundär: Es bildet sich Granulationsgewebe aus resorptiv tätigen Makrophagen, den faserbildenden Fibroblasten und
einsprossenden Gefäßen. Epithelzellen wachsen vom Wundrand zum Zentrum der Wunde. Fremdkörper verzögern die Wundheilung, ebenso
Allgemeinerkrankungen wie Tumore, bei Unterschenkelgeschwüren auch der hydrostatische Druck, Anämie, Diabetes und Ischämie. Eiter muß
entfernt werden. Ruhigstellung des verletzten Bezirks fördert die Heilung.
WUNDREINIGUNGSMITTEL:1 Eine umgrenzte Wundinfektion erfordert keine medikamentöse Wundbehandlung.2 Bei ausgedehnteren
Wundinfektionen ohne klinische Zeichen einer systemischen Infektion sowie bei leicht verschmutzten Wunden empfiehlt sich die oberflächliche Reinigung mit
feuchten Umschlägen von einer halben Stunde Dauer mit einfachen Wasch- oder Spülflüssigkeiten wie RINGER-Lösung. Physiologische
Kochsalzlösung (Natriumchloridlösung 0,9%) eignet sich weniger, da hierdurch Elektrolytverschiebungen und damit Wundheilungsstörungen bewirkt
werden können.3
Auch verschmutzte, kontaminierte oder krustenhaltige Wunden werden am besten mit den oben genannten Umschlägen ohne örtlich wirkendes
Antiseptikum gereinigt. Bei Gewebsinfektion ist der Nutzen topischer Antiseptika nicht hinreichend dokumentiert. Empfohlen werden zwar wässrige
Chlorhexidin-Lösungen (HANSAMED Sprühlösung [1%] u.a.), doch hemmt dieses Antiseptikum in hohem Maße die Wundheilung.4 In
einer schwedischen Studie hat sich die Zahl neonataler Infektionen nach Verzicht auf Chlorhexidinlösungen und stattdessen Waschen der äußeren
Genitalien vor der Geburt mit Wasser und Seife nicht erhöht (vgl. a-t 9 [1989], 79). Schwache Lösungen mit 0,01% wirken nur mechanisch auswaschend.
Hohe Konzentrationen vermindern die bakterielle Besiedlung, schädigen aber das Gewebe. 4%ige Chlorhexidin-Lösungen (z.B. HIBICLENS) werden zur
chirurgischen Händedesinfektion angeboten.
Polyvidon-Jod (BETAISODONA u.a.)-Lösung, die unverdünnt oder bis 1 : 100 verdünnt angewendet werden kann, wirkt schwächer
antiseptisch als Chlorhexidin, besitzt jedoch ein breiteres Wirkspektrum. Allerdings besteht eine relative Wirkschwäche gegen häufige Wundkeime wie
Pseudomonaden und Staphylococcus aureus.11 Blut und Eiter mindern die Effektivität von Polyvidon-Jod.5 Der Jodkomplex vermag
allergische Kontaktdermatitiden auszulösen. Signifikante Jodmengen werden systemisch wirksam. In Schwangerschaft und Stillzeit sind Jodverbindungen daher
zu meiden. Das Jodüberangebot gefährdet bestimmte Patienten. Das Risiko reicht von der Auslösung einer Hypothyreose oder durch Induktion einer
Hyperthyreose bis zur stets lebensbedrohlichen jodinduzierten thyreotoxischen Krise (vgl. a-t 12 [1983], 107; 6 [1986], 51). Auch die Schilddrüsenfunktion
klinisch und laborchemisch euthyreoter Personen kann empfindlich gestört werden.
Spülungen von Wund- und Körperhöhlen mit PVP-Jod oder dessen Instillation sind wegen der Gefahr erhöhter Jodaufnahme kontraindiziert. Der
Trägerstoff PVP kann zudem absorbiert werden und insbesondere im Bauchraum Verwachsungen verursachen.6
Wasserstoffperoxid (3% oder 6%) wird als nützliches Mittel für verschmutzte Wunden angesehen, da es in der Wunde aufschäumt und so
letztlich ein mechanisches Débridement bewirkt. Für die Mundschleimhaut ist eine 1,5%ige Lösung zweckmäßig. Die antibakterielle
Wirksamkeit in vivo ist begrenzt. Das Enzym Katalase spaltet Wasserstoffperoxid rasch.
Kaliumpermanganat in 0,01%iger Lösung eignet sich für feuchte Verbände und ist von Nutzen, wenn die Wunde von Krusten und Ekzemen
bedeckt ist.
Alle genannten Antiseptika wirken unzureichend gegen Pseudomonas spp. Besser wirkt 0,2%ige Silbernitratlösung. Der antiseptische Effekt des
Adstringens trifft gramnegative Keime ausgeprägter als grampositive.3
Die früher häufig verwendeten quecksilberhaltigen Antiseptika wie MERCUCHROM, MERFEN u.a. sind heute wegen ungenügender
antibakterieller und antimykotischer Wirkung und teilweise schwerer systemischer Toxizität, vor allem bei Dauerbehandlung und großflächiger, auch
kurzzeitiger Anwendung, obsolet.
Farbstofflösungen wie Gentianaviolett und Brillantgrün hemmen die Wundheilung ausgeprägt, während 5%ige Eosinlösungen sich
offensichtlich nicht negativ auswirken.3 Für die Verwendung von Ethacridin (RIVANOL)-Lösungen wird heute keine Indikation mehr
gesehen.12
LOKALANTIBIOTIKA:1 Antibiotika zur örtlichen Anwendung eignen sich nicht für Wunden und Ulzera, obwohl viele Präparate, die
Neomycin (NEBACETIN, ULCURILEN u.a.) oder andere Antibiotika enthalten, hierfür angeboten werden. Kontrollierte Studien, die eine Überlegenheit
gegenüber konservativer Wundreinigung mit und ohne Antiseptika bei Wunden und Wundulzera beweisen, liegen nicht vor.7
Die häufigsten Erreger von Wundinfektionen, Staphylokokken und Streptokokken, sind gegenüber den meisten Lokalantibiotika (Aminoglykoside,
Sulfonamide, Tetrazykline) teilweise oder völlig resistent.2,7 Geht die Wundinfektion mit den klinischen Symptomen einer Allgemeininfektion (Fieber,
Leukozytose u.a.) bzw. mit Tendenz zur Generalisierung (Lymphangitis, Lymphadenitis) einher, ist unverzüglich eine systemische Antibiotikatherapie
einzuleiten.
Antibiotika-haltige Puder klumpen in Wunden oft zusammen. Die verbreitete Verwendung von Produkten wie BATRAX, CICATREX, MEDICROCIN und
NEBACETIN sowie der Gaze SOFRA-TÜLL auf Wunden und Ulzera ist wissenschaftlich nicht gerechtfertigt.
Mupirocin (EISMYCIN) Salbe besitzt ein für Hautinfektionen geeignetes antibakterielles Spektrum. Das sonst nicht systemisch verwendete Antibiotikum
wird aber durch die verletzte Haut aufgenommen. Bakterielle Resistenzen sind beschrieben.
Zwei topische Antiinfektiva haben sinnvolle Anwendungsnischen: Mit Metronidazol Gel (0,8%, Rezepturen in a-t 11 [1989], 103 und 4 [1990], 41) lassen sich mit Anaerobiern befallene, stinkende Wunden schneller heilen. Ebenfalls als nützlich
erweist sich Sulfadiazin-Silber (FLAMMAZINE) zur Prävention von Infektionen bei großflächigen Verbrennungen. Die Wirksamkeit beider
Mittel ist für andere Zwecke nicht belegt.
WUNDTOILETTE:1 Nekrotisches Gewebe ist ein idealer Nährboden für bakterielles Keimwachstum und verhindert die Bildung von
Granulationsgewebe. Nekrosen und Detritus sind schrittweise chirurgisch zu entfernen (vgl. a-t 8 [1987], 70). Medikamentöses Ablösen von
Fibrinbelägen und Nekrosen dauert, primär angewandt, länger als chirurgische Verfahren, weswegen als erster Schritt immer ein chirurgisches
Débridement vorgenommen werden soll. Vergleichende Studien über chirurgisches und medikamentöses Débridement fehlen.
Das Enzympräparat VARIDASE enthält Streptokinase, die die Fibrinolyse aktivieren und Streptodornase, die Eiter verflüssigen soll. Zwei
kleine Studien deuten an, daß unter VARIDASE Beinulzera schneller heilen als nach Spülung mit Salz- oder Polyvidon-Jod-Lösung. Kontrollierte
Vergleiche des teuren Mittels (s. Kasten) mit anderen Methoden der Wundtoilette fehlen, um den Nutzen abzusichern (vgl. a-t 4 [1985], 30). Darüber hinaus ist
Streptokinase ein starkes Allergen, dessen Nutzen in der Kombination unbelegt bleibt. Auch für das Enzympräparat FIBROLAN, das Plasmin und
Desoxiribonuklease vom Rind enthält, liegen hinreichende kontrollierte Untersuchungen nicht vor. Was eine DNAse im Wundgebiet bewirken soll, bleibt schwer
verständlich.
Hypochlorit-Lösungen werden schon seit langem zur Wundreinigung verwendet. In Gewebskulturen tötet Hypochlorit auch in niedrigen
Konzentrationen von 0,0025% Fibroblasten ab und verzögert im Tierversuch die Heilung. Klinische Vergleiche mit anderen Antiseptika fehlen offensichtlich. Da
Vorteile gegenüber Chlorhexidin nicht belegt sind, wird Hypochlorit heute zur Wundreinigung als obsolet betrachtet.
Bei dem als OXOFERIN angebotenen "Sauerstoffkomplex" handelt es sich um ein nicht näher bezeichnetes Reaktionsprodukt aus
Natriumchlorit und Natriumhyperchlorit, also lediglich um eine mit neuer Nomenklatur teuer verpackte Variante der üblichen oxidierenden Chlorlösungen.
Diese können Störungen des Zellstoffwechsels an Fibroblasten und Endothelzellen sowie Methämoglobinbildung auslösen (vgl. a-t 6 [1990], 52). Vergleichende Studien von OXOFERIN mit anderen oxidierenden Chlorverbindungen liegen uns nicht
vor. OXOFERIN-ausgelöste allergische Kontaktekzeme besitzen für den Patienten erheblichen Krankheitswert, da die Gefahr einer Generalisierung
besteht.9
ALLERGISCHE KONTAKTDERMATITIS:1 Allergien gegen Externa sind verbreitet. 50% bis 80% der Patienten mit chronischen Beinulzera sind gegen ein
oder mehrere Produkte sensibilisiert, die sie langfristig zur topischen Behandlung ihrer Beschwerden verwendet haben. Zu den am häufigsten sensibilisierenden
Stoffen gehören Neomycin (z.B. in NEBACETIN) und Framycetin (z.B. in LEUKASE), Paraben-Konservierungsmittel und Wollwachsalkohol. Das
Framycetin-Wollwachs-Gewebe SOFRA-TÜLL ist wegen seines hohen Sensibilisierungspotentials zu meiden. Auch andere Antiinfektiva zur örtlichen
Verwendung wie Sulfonamide, Bacitracin, Gentamicin und Fusidinsäure können Kontaktdermatitiden verursachen.
WUNDVERBÄNDE:6 Ein idealer Wundverband schützt die Verletzung, hält sie feucht und warm bei ausreichender Sauerstoff- und
Wasserdampfdurchlässigkeit, besitzt eine geringe Neigung zum Verkleben mit der Wundoberfläche, senkt die Wahrscheinlichkeit einer Infektion und darf
keine toxischen oder allergenen Bestandteile wie Farb- und Duftstoffe oder Antibiotika enthalten.
Für trockene oberflächliche Wunden reichen einfache, nicht verklebende Wundverbände oder Paraffin-Tüll (s. Kasten). Durchsichtige
Folienverbände wie OPRAFLEX, OPSITE, TEGADERM u.a., die zur "Wundversorgung unter Sichtkontrolle" angeboten werden, können die
Heilung verzögern.10 Es können sich feuchte Kammern bilden. Folienverbände haben jedoch Vorteile, wenn beispielsweise nach
orthopädischen Eingriffen eine physikalische Therapie notwendig ist. Mit gut sitzenden Folienverbänden kann diese 2 bis 3 Tage früher
beginnen.
Je stärker die Wunden sezernieren, desto saugfähiger muß das Verbandmaterial sein, z.B. Alginat-Vlies oder Hydrogelgranula. Bei granulierenden
("roten") Wunden scheinen Hydrokolloid-Verbände die Bildung von Granulationsgewebe zu fördern und die Wundheilung zu beschleunigen. In
späteren Wundstadien und bei flachen Verletzungen wie Hautabschürfungen haben traditionelle Verbandmittel wie Paraffin-Tüll ihren Platz. Bei einer
reizlosen und trockenen Wunde ist ein weiterer Verband nicht mehr erforderlich.
Der von Merck 1984 für offene granulierende Wunden eingeführte Schaumverband SILASTIC wurde 1987 vom Markt genommen, da bei der
Zubereitung des Zweikomponentenschaums ein im Tierversuch kanzerogenes und teratogenes Reaktionsprodukt entsteht.
Venöse Beinulzera benötigen eine spezielle Behandlung. Sie heilen am besten bei Bettruhe ab. Grundlage der Therapie bleiben
Kompressionsverbände. Salbenverbände verursachen oft Sensibilisierungen, können die Wundheilung verzögern und erfordern teuren
Pflegeaufwand. Die kostenaufwendigen Hydrokolloid- und Alginat-Wundauflagen (s. Kasten) eignen sich zur Abdeckung.
FAZIT: Wunden heilen gewöhnlich von selbst. Sie müssen nicht "sterilisiert" werden. Wärme und Feuchtigkeit beschleunigen die
Heilung, wobei jedoch verbandbedingte feuchte Kammern zu vermeiden sind. Sauber erscheinende Wunden sollten nur mit einfacher RINGER- oder
Elektrolytlösung gespült werden. Erscheint bei kontaminierten Wunden ein Antiseptikum angezeigt, eignet sich 0,2%ige Silbernitratlösung.
Hypochlorithaltige Antiseptika schaden eher, als daß sie nutzen. Dies gilt auch für topische Antiinfektiva mit Ausnahme von Metronidazol-Gel bei mit
Anaerobiern befallenen Wunden und Sulfadiazin-Silber (FLAMMAZINE) bei Verbrennungen.
Nekrosen bedürfen primär der chirurgischen Abtragung. Enzympräparate wie VARIDASE sind teuer und wirken langsam und unzureichend. Viele
"Wundheilmittel" sind Wundheilungsverzögerer, so etwa Chlorhexidin (HANSAMED Sprühlösung u.a.) oder Farbstoffe wie Gentianaviolett.
Andere, vor allem Neomycin (NEBACETIN u.a.), Framycetin (SOFRA-TÜLL), Paraben-Konservierungsmittel und Grundlagen von Externa wie Wollwachs
verursachen häufiger allergische Kontaktdermatitiden, die die Wundheilung stören. Die Auswahl des Wundverbands richtet sich nach der Stärke des
Exsudats.
Erratum Eosin und Wundheilung: In a-t 9 (1992), 88 und Arzneimittelkursbuch '92/93, Seite 71
erwähnen wir den Einfluß verschiedener Farbstofflösungen auf die Wundheilung. Bei der Eosinlösung, die sich hier nicht negativ auswirkte,
wurde eine 0,5%ige Lösung und nicht eine 5%ige Lösung geprüft.
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