Ein kommerzielles Plasmaphereselabor die Firma UB Plasma in Koblenz informierte Anfang August 1993 die Landesbehörde sowie
zehn Kliniken und industrielle Abnehmer über die mögliche HIV-Infizierung einiger Chargen von gefrorenem Frischplasma (FFP), die Ende Februar bzw.
Anfang April 1993 hergestellt wurden. Der Elisa-Test ergab viereinhalb Monate später beim Dauerspender einen positiven Befund. Kontrollen im
RODENWALDT-Institut der Bundeswehr und im AIDS-Referenzzentrum des Bundesgesundheitsamtes (BGA) sollen das Ergebnis nicht bestätigt haben
(Westernblot bzw. Elisa negativ).
Der Vorfall beweist, daß das bisherige Look-back-Verfahren zu spät greift, da die beanstandeten Blutprodukte dann oft schon verbraucht sind. Nicht alle
Plasma- und Blutzellbestandteile lassen sich mit thermischen oder chemischen Methoden infektionssicher machen. 1989/90 wurden elf Personen durch vorgeblich
kaltsterilisierte PPSB-Präparate der Firma Biotest mit HIV infiziert. Standardisierte validierte Verfahren zur Virusabreicherung sind in der Bundesrepublik bisher
nicht behördlich vorgeschrieben. Innerhalb der Europäischen Gemeinschaft ist die Bundesrepublik das einzige Land, in dem die private Industrie noch
eigene Blut-/Plasmasammelstellen unterhalten darf.1
Gegen die Sorgfaltspflicht bei der Spenderauswahl wird verstoßen. Bis vor kurzem wurde einem Heroinabhängigen in einer Plasmaphereseeinrichtung der
Immuno GmbH dreißigmal Plasma gegen Entgelt abgenommen, obwohl Einstichstellen in der Ellenbeuge, eine erhebliche Leukozytose und die beschleunigte
BKS sowie ein chronisches Unterschenkelekzem i.v.-Drogenabusus und Spenderuntauglichkeit erkennen ließen. Immuno gewinnt in Hamburg u.a.
Ausgangsmaterial für den FSME-Passivimpfstoff FSME-BULIN von "ärztlich kontrollierten" Spendern unmittelbar am Hamburger Hauptbahnhof,
einem Szenetreffpunkt.
Nachdem ein HIV-infizierter Bluter einen Musterprozeß gegen die Bundesrepublik Deutschland vor dem Landgericht Aachen wegen Staatshaftung für
verseuchte Faktor-VIII-Gerinnungskonzentrate angestrengt hat und eine Anhörung im Gesundheitsausschuß des Bundestages am 3. Febr. 1993 auch jetzt
noch grobe Defizite bei der Überwachung des Blutspendewesens in Deutschland aufzeigt, plant das BGA,2 für Zubereitungen aus Blut/ Plasma
eine Quarantänelagerung von sechs Monaten vorzuschreiben. Die Anordnung soll für gefrorenes Frischplasma und für tieftemperaturkonservierte
zelluläre Blutbestandteile gelten, die nicht mit vom BGA anerkannten Methoden der Virusinaktivierung oder -eliminierung behandelt wurden. Damit will die
Überwachungsbehörde die "diagnostische Lücke" als Risikoquelle ausschalten, die immer noch vorhanden ist, weil Antikörper als
Infektionsmarker einer HIV-Infizierung des Blut-/Plasmaspenders in der Regel erst vier Wochen bis drei Monate nach der Infektion erscheinen in seltenen
Fällen auch später und die HIV-Testung ein falschnegatives Ergebnis liefern kann. Zelluläre Blutbestandteile, die als Einzelspende direkt
verwendet werden, bleiben von der Regelung unberührt.
Durch Zweittestung von Spendern nach einem halben Jahr soll gefrorenes Frischplasma infizierter Einzelspenden ausgesondert werden, die beim bisherigen
Spenderscreening unentdeckt bleiben. Erst wenn die dem Spender erneut entnommene Blut-/Plasmaprobe frei von Infektionsmarkern auf HIV und Hepatitis ist,
darf die in Quarantäne gelagerte Blutzell- bzw. Plasmakonserve zur Verwendung kommen. Die Ausbeute, z.B. an Gerinnungsfaktoren, bleibt bei längerem
Einfrieren des Rohplasmas erhalten.
BLUT/PLASMA:
DIE DREI SÄULEN DER "VIRUSSICHERHEIT"
Die "Virussicherheit" von Blutbestandteilen für Arzneimittel und Impfstoffe ruht auf drei Säulen:
- Spenderscreening / keine Spender aus Risikoregionen (Bundesgerichtshof),
- hinreichende Kapazität des Herstellungsverfahrens zur Virusabreicherung,
- wissenschaftlich nachvollziehbares "validiertes" Herstellungsverfahren.
Auf jeder Stufe müssen die Parameter der Absicherung vollständig eingehalten sein, um die Infektiosität der Blutprodukte auf das sogenannte
unvermeidliche Restrisiko zu minimieren. Es gilt 25 Abs. 2,2 AMG (Prüfung nach Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis). |
Auch eine Begrenzung der Anwendungsgebiete dämmt die Risiken von Blut- und Plasmaprodukten ein. Frischplasma wird zwar häufig eingesetzt,
doch gibt es nur wenige gesicherte Anwendungsbereiche. Stehen keine spezifischen oder kombinierten Faktorkonzentrate zur Verfügung, kann FFP
Gerinnungsfaktormangel ausgleichen und beispielsweise zur Behandlung bedrohlich blutender, oral antikoagulierter Patienten verwendet werden. Auch Blutungen,
die infolge von Malabsorption von Vitamin K, bei Lyse-Therapie oder bei Neugeborenen auftreten, lassen sich so zum Stillstand bringen. FFP vermag außerdem
angeborene Protein-C- oder Protein-S-Defizite und verschiedene erworbene Immunmangelzustände zu kompensieren, sofern spezifische Konzentrate nicht zur
Verfügung stehen.3 Hochdosiert dient FFP ferner zur Behandlung der thrombotisch-thrombozytopenischen Purpura in Verbindung mit
Plasmaaustausch.
Im allgemeinen werden mindestens 800 bis 1.200 ml benötigt, die zweimal über ein bis zwei Stunden infundiert werden. Mit den oft verwendeten geringen
Mengen um 400 ml steigen bei Erwachsenen die Gerinnungsfaktoren nicht relevant an. Abgesehen von unnötigen Kosten* bergen auch geringe Mengen FFP
alle Risiken des Blutproduktes. FFP kann neben AIDS auch Hepatitis B und C und andere Viruserkrankungen übertragen (vgl. a-t 9 [1992], 91, 4 [1993], 33, 5
[1993], 48). Plasma aus Einzelspenden, das zusätzlich virusabgereichert ist, verringert das Risiko einer Virusübertragung gegenüber Poolplasma
erheblich (vgl. a-t 9 [1992], 91). Nicht AB0-kompatibles FFP kann Antikörper enthalten, die
Empfängererythrozyten hämolysieren. FFP enthält Spenderleukozyten. Bildet der Empfänger gegen diese Abwehrstoffe, bilden sie in
Lungengefäßen Aggregate und verursachen ein akutes pulmonales Krankheitsbild ("Verschattung" bis Lungenödem). Empfänger
reagieren auf FFP bisweilen allergisch oder mit Immunsuppression und sind in Gefahr, mit den Transfusionen zuviel Flüssigkeit zu erhalten.3
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Klinikeinkaufspreis incl. Mehrwertsteuer für 250 ml Frischplasma aus Einzelspende rund 75-85 DM, bei virusabgereichertem
Plasma durch Fotoinaktivierungsverfahren mit Methylenblau rund 105 DM pro 250 ml.
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Als Volumenersatz ist FFP zu risikoreich und ohne Nutzen. Kolloidale Lösungen sind vorzuziehen. Zum Ausgleich angeborener Immunglobulin-
Mangelzustände eignen sich intravenös injizierbare Immunglobuline besser. Die Ernährung bei Eiweißverlust mit Frischplasma zu ergänzen,
nützt ebensowenig wie eine routinemäßige Verabreichung zusätzlich zu Bluttransfusionen.3
FAZIT: Als "Aufgeregtheit, die ihr Ziel verfehlt" bezeichnete jüngst eine Tageszeitung4 die vom Bundesgesundheitsamt geplante
Quarantäne für das Ausgangsmaterial nicht virusabgereicherter Blutprodukte. "Unkoordinierte Hektik" würde die Blutspendedienste
"vor unlösbare Aufgaben" stellen. Die angeblich "undurchführbaren Maßnahmen" werden u.W. seit Jahren u.a. vom
Bayerischen Roten Kreuz praktiziert, entsprechen dem Stand der medizinischen Erkenntnis und dienen der Minimierung des sogenannten Restrisikos von
Blutprodukten, wie sie die höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs fordert.
Durch Beschränkung des Gebrauchs von FFP auf die gesicherten Anwendungsgebiete, Ausdehnung der geplanten Anordnung auf das Ausgangsmaterial
sämtlicher kommerzieller Blut- und Plasmaprodukte und Verbot der Einfuhr ausländischen Ausgangsmaterials läßt sich u.E. das Risiko von
Blutprodukten effektiv mindern.
1 | BÜCHNER, K.: Pharm. Ind. 55 (1993), 550 |
2 | BAnz. vom 21. Aug. 1993, S. 7870 |
3 | COHEN, H.: Brit. Med. J. 307 (1993), 395 |
4 | WESTHOFF, J.: Tagesspiegel vom 25. Aug. 1993 |
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