WACHSTUMSFAKTOREN GEGEN DAS DIABETISCHE HAUTULKUS? |
Seit Januar 2000 wird der Wachstumsfaktor Becaplermin (REGRANEX) zur Behandlung des neuropathischen diabetischen Ulkus angeboten. Der Hersteller weckt hohe Erwartungen. Der Wachstumsfaktor soll dazu beitragen, die von der WHO angestrebte Halbierung der Amputationsrate bei Diabetikern (vgl. a-t 1998 ; Nr. 8: 71-3) zu verwirklichen.1 EIGENSCHAFTEN: Am Wundheilungsprozess sind verschiedene Wachstumsfaktoren beteiligt. Das gentechnisch hergestellte Becaplermin ist eine von drei Isoformen eines in menschlichen Thrombozyten enthaltenen Wachstumsfaktors (Platelet Derived Growth Factor; PDGF). Fibroblasten, glatte Muskelzellen oder Endothelzellen, aber auch viele Tumorzellen tragen PDGF- Rezeptoren. PDGF wirkt unter anderem chemotaktisch und mitogen. Im Experiment mit tierischen Wunden fördert Becaplermin die Granulierung, nicht aber die Epithelisierung. Nicht immer wird die Wundheilungszeit verkürzt.2 KLINISCHE WIRKSAMKEIT: Herstellerunabhängige klinische Prüfungen gibt es nicht. Zwei von drei kontrollierten Studien sind
vollständig veröffentlicht.3,4 Nach schlechter, aber üblicher Praxis handelt es sich dabei um die beiden Positivstudien. 1183 und 3824 Typ-
1- oder Typ-2-Diabetiker mit neuropathischem Fußgeschwür seit mindestens acht Wochen nehmen teil. Sie erhalten nach Randomisierung zusätzlich
zur üblichen Wundversorgung einmal täglich topisches Becaplermin oder ein Plazebo-Gel. Primärer Endpunkt ist die Rate kompletter Heilungen
innerhalb von 20 Wochen. Während in der kleineren Studie niedrigdosiertes (0,003%) Becaplermin die Heilungsrate gegenüber Plazebo verdoppelt (48%
vs. 25%),3 unterscheidet sich diese Wirkstärke in der größeren Untersuchung nicht vom Scheinmedikament (36% vs. 35%). Die dreiarmige
Studie dokumentiert mit 50% jedoch eine höhere Erfolgsrate unter 0,01%igem Becaplermin.5 FAZIT: Beim Stand der Kenntnis spricht nichts dafür, dass der rekombinante Wachstumsfaktor Becaplermin (REGRANEX) die Abheilung des diabetischen Ulkus relevant verbessern kann. Dass er auf einer solch unsoliden Datenbasis überhaupt zugelassen wurde, ist nicht nachzuvollziehen. Bei Problemwunden ist der Wachstumsfaktor ohnehin praktisch immer kontraindiziert. Solange nicht einwandfrei angelegte Positivstudien publiziert werden, sind die Kosten von bis zu 3.900 DM pro Patient besser für eine gute Prophylaxe von Fußverletzungen mit Fußpflege und konfektionierten Spezialschuhen sowie für eine optimale Organisation der Wundversorgung bei Diabetikern (Fußambulanzen, Gefäßchirurgien) angelegt. |
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