Prophylaxe und Behandlung von Herzrhythmusstörungen haben sich in den letzten Jahren gewandelt. Standen in der Januar-Ausgabe (a-t 2000; 31: 2-4) ventrikuläre Arrhythmien im Blickpunkt, folgen nun supraventrikuläre:
Vorhofflimmern ist die häufigste Rhythmusstörung überhaupt. Etwa jeder Zehnte über 75 Jahre ist betroffen. Akut auftretendes
Vorhofflimmern wird von chronischem (mehr als sieben Tage) und paroxysmalem unterschieden. Ob die Rhythmusstörung die Überlebensprognose
unabhängig von der Grundkrankheit beeinflusst, bleibt zu prüfen. Akutes Vorhofflimmern sistiert oft innerhalb von 48 Stunden, besonders bei passageren
Auslösern.1,2
Vorhofflattern ist ein instabiler Zustand, der über kurz oder lang in chronisches Vorhofflimmern übergeht. Wesentliche Behandlungsunterschiede
bestehen nicht.
Supraventrikuläre Extrasystolen bedürfen keiner Therapie. Betablocker sind allenfalls bei angstbesetzten subjektiven Beschwerden zu
erwägen. Bei Sinustachykardien ist die Grundkrankheit zu behandeln. Paroxysmale supraventrikuläre Tachykardien kommen selten vor, sind aber
therapeutisch bedeutsam und umfassen zahlreiche Sonderformen.1-3
BEHANDLUNG VON VORHOFFLIMMERN: Zu entscheiden ist zwischen Rhythmisierungsversuch mit oder ohne Rezidivprophylaxe oder lediglich Kontrolle
der Kammerfrequenz. Bei länger als sechs bis zwölf Monate andauerndem Vorhofflimmern, chronischer Herzinsuffizienz, nicht adäquat behandeltem
arteriellem Bluthochdruck oder Herzklappenerkrankung sind die Erfolgsaussichten für eine dauerhafte Rhythmisierung gering. Auch ein kranker Sinusknoten
(Sick-Sinus-Syndrom), vergrößerter Vorhof (über 55 mm) und häufige Vorepisoden machen eine anhaltende Rhythmisierung unwahrscheinlich.
Behebbare Ursachen (z.B. Infektion, Hyperthyreose) sind vorrangig zu behandeln.
Vor einem Rhythmisierungsversuch ist bei länger als 48 Stunden bestehendem Vorhofflimmern wegen der Gefahr embolischer Insulte eine dreiwöchige
Antikoagulation erforderlich (INR 2-3). Nach erfolgreicher Intervention ist sie mindestens vier Wochen lang fortzuführen. Wird bei fehlenden Beschwerden und
Kammerfrequenzen unter 80 bis 100/min. auf Rhythmisierung verzichtet oder misslingt diese, ist je nach Insult-Risiko die dauerhafte Einnahme von
Azetylsalizylsäure (ASS; ASPIRIN u.a., 300 mg/Tag) oder oralen Antikoagulanzien anzeigt (vgl. a-t 1996; Nr. 9: 87-
8). Bei hohem Risiko (z.B. Alter über 75 Jahre, Herzinsuffizienz, Diabetes, Hypertonie) lässt sich im Jahr durch Antikoagulation (INR 2-3) bei einem
von 33 Patienten ein Insult verhindern, mit ASS bei einem von 59 Patienten.4
Zur Rhythmisierung von Vorhofflimmern sind Herzglykoside unwirksam.5,6 Kalziumkanalblocker wie Verapamil (ISOPTIN u.a.) und Diltiazem (DILZEM u.a.)
fördern eher die Persistenz der Rhythmusstörung. Wie Digitalispräparate bedeuten sie eine Gefahr bei (unbekannten) Präexzitationssyndromen
wie dem WOLFF-PARKINSON-WHITE (WPW)-Syndrom (Begünstigung antegrader Leitung, "Pseudo-Kammerflimmern"). Auch Betablocker
einschließlich Sotalol (SOTALEX u.a.) bleiben zur Rhythmisierung ohne ausreichenden Erfolg.2,7-9
Effektiv sind Klasse-Ia- und Ic-Antiarrhythmika. Fehlen strukturelle Herzerkrankungen, eignen sich vor allem Klasse-Ic-Mittel wie Flecainid (TAMBOCOR) zum
Rhythmisierungsversuch (zur Gruppeneinteilung von Antiarrhythmika s. a-t 2000; 31: 3). Bei älteren Menschen
oder schwerer kardialer Grundkrankheit ist wegen häufiger proarrhythmischer Effekte die stationäre Aufnahme zwecks EKG-Monitoring
anzuraten.1,8 Flecainid und Propafenon (RYTMONORM u.a.) lassen sich parenteral (jeweils 2 mg/kg i.v.) oder oral anwenden (300 mg bzw. 600 mg bis 900
mg). Die Erfolgsraten liegen zwischen 50% und 70%, nach Injektion auch darüber. Chinidin per os (CHINIDIN-DURILES u.a.; 1,5 g bis 3 g/Tag) bringt
vergleichbare Erfolge. Wie bei anderen Klasse-Ia-Mitteln sollte wegen atropinartiger Effekte (Zunahme der Kammerfrequenz) mit einem Herzglykosid oder Verapamil
vorbehandelt werden.1,2,7,9
Als wirksamstes Mittel zur Rhythmisierung wird Amiodaron (CORDAREX u.a., 1 g bis 2,4 g/Tag i.v.) mit Erfolgsraten von 80% bis 90% genannt.2,10
Amiodaron soll noch wirken, wenn andere Antiarrhythmika versagen.7,10 Andere Autoren sehen keine Überlegenheit zu Klasse-I-Mitteln.8
Wird wegen instabiler Hämodynamik oder pektanginösen Beschwerden eine schnelle und sichere Rhythmisierung angestrebt, ist elektrische Kardioversion
Methode der Wahl (extern in Kurznarkose oder per Katheter intraatrial; Erfolge 70% bis 90%).2,7,8
Bei chronischem Vorhofflimmern reicht es häufig aus, lediglich die Kammerfrequenz zu kontrollieren. Anzustreben sind Frequenzen von 80 bis 100/min.
Bei älteren Patienten mit begleitender Herzinsuffizienz gelten Herzglykoside als Mittel der Wahl. Sie eignen sich auch zur raschen Kontrolle der
Ventrikelfrequenz bei instabiler Hämodynamik. Die Vollwirkdosis (ca. 1 mg Digoxin [LANICOR u.a.] oder 1 mg Digitoxin [DIGIMERCK u.a.]) kann fraktioniert
über 24 Stunden dosiert werden. Für eine optimale Wirkung sind langfristig Serumspiegel im oberen therapeutischen Bereich notwendig.
Frequenzzunahmen durch erhöhten Sympathikotonus, z.B. bei körperlicher Belastung, lassen sich mit Herzglykosiden nur unzureichend
kontrollieren.1,2,5
Bei jüngeren Patienten sind Betablocker Mittel der Wahl, besonders bei begleitender koronarer Herzkrankheit oder Hypertonie. Mit ihnen lassen sich
belastungsbedingte Zunahmen der Frequenz gut kontrollieren. Einschleichend dosiert, eignen sie sich auch bei chronischer Herzinsuffizienz. Wird die
Ventrikelfrequenz zügig gesenkt, kann bei akuter kardialer Dekompensation die negative Inotropie von Betablockern klinisch relevant werden. Eine besondere
Indikation besteht bei tachykardem Vorhofflimmern im Rahmen einer Hyperthyreose. Alternativ zu Betablockern, etwa bei Kontraindikationen, kommt bei
jüngeren Patienten Verapamil in Betracht. Belastungsbedingte Frequenzanstiege sprechen ebenfalls gut an. Wegen negativer Inotropie ist jedoch bei
Herzinsuffizienz besondere Vorsicht geboten. Dies gilt auch für Diltiazem.2,11,12
Lässt sich die Ventrikelfrequenz durch Monotherapie nicht kontrollieren, werden Betablocker mit Digitalis kombiniert, bei Unverträglichkeit oder
Kontraindikationen für Betablocker Digitalis mit Verapamil. Kombinationen von Herzglykosiden und Klasse-I-Antiarrhythmika (wie Chinidin, Flecainid oder
Propafenon) kontrollieren die Frequenz zwar ebenfalls effektiv,1,12 sind jedoch nicht mehr vertretbar, weil in Beobachtungsstudien unter Dauereinnahme
vermehrt Todesfälle beschrieben werden. Ähnliches gilt für Sotalol und die Kombination Chinidin plus Verapamil (CORDICHIN; a-t 1991; Nr. 6: 50-1).13
Medikamentös bleibt als weitere Alternative lediglich Digitalis plus Amiodaron. Wegen des hohen Störwirkungspotenzials (vgl. a-t 2000; 31: 2-4) lässt sich Amiodaron bei dieser Indikation nur selten rechtfertigen. Invasive Verfahren wie AV-
Knoten-Modulation oder -Ablation durch Elektrokoagulation, ggf. mit nachfolgender Schrittmacher-Implantation, sind dann oft die bessere Alternative.8,11,12
PROPHYLAXE VON VORHOFFLIMMERN: Nach Rhythmisierung sind Vor- und Nachteile einer medikamentösen Rezidivprophylaxe abzuwägen.
Dagegen sprechen alle Gründe, die auch die Rhythmisierung selbst erschweren. Langfristige Erfolge sind dann unwahrscheinlich, Störwirkungen durch
Antiarrhythmika häufiger, insbesondere bedrohliche Arrhythmien. Sinusrhythmus verbessert andererseits die linksventrikuläre Funktion und körperliche
Leistungsfähigkeit und verringert das Risiko von Embolien, progredienter Vorhofvergrößerung und Kardiomyopathie. Eine langfristige Antikoagulation
lässt sich vermeiden. Bei paroxysmalem Vorhofflimmern mit häufigen symptomatischen Episoden ist eine Rezidivprophylaxe in der Regel
angezeigt.1,2,14
Ohne Prophylaxe ist ein Jahr nach Rhythmisierung bei chronischem Vorhofflimmern nur noch jeder vierte Patient im Sinusrhythmus. Betablocker, Verapamil und
Diltiazem wirken nicht besser als Plazebo.1-3 Entgegen verbreiteter Praxis eignen sich auch Herzglykoside nicht zur Rezidivprophylaxe. Sie verringern nicht
das Risiko für Rückfälle. Bei paroxysmalem Vorhofflimmern sind die Daten widersprüchlich, prophylaktische Effekte allenfalls marginal. Die
Kammerfrequenz vermögen Herzglykoside bei Auftreten von Rezidiven nicht zu senken.1,15
Unter Chinidin oder Sotalol ist nach einem Jahr noch maximal jeder zweite Patient im Sinusrhythmus. Die Erfolgsraten unter den Klasse-Ic-Antiarrhythmika Flecainid
und Propafenon scheinen mit 50% bis 70% günstiger zu sein.9,12,14 Insbesondere für Chinidin, aber auch für die anderen Mittel, nehmen
Hinweise auf Übersterblichkeit trotz Stabilisierung des Sinusrhythmus zu.13,16 In zwei deutschen Studien werden derzeit Chinidin plus Verapamil
gegenüber Sotalol oder Plazebo bei paroxysmalem oder nach Rhythmisierung von chronischem Vorhofflimmern geprüft.17,18 Schon ihr Ansatz
geht fehl, da Stabilisierung des Sinusrhythmus und Verminderung der Rezidive untersucht werden. Relevant sind aber nur valide Daten zur Morbidität und
Sterblichkeit.
Für Amiodaron werden Rezidivfreiheiten von 50% bis 80% für ein Jahr berichtet.10,12,14 Nach einer kanadischen Studie wirkt es besser als
Propafenon oder Sotalol (Sinusrhythmus nach 16 Monaten in 65% vs. 37%). Nebenwirkungen kommen unter Amiodaron häufiger, Therapieabbrüche
wegen Wirkungslosigkeit seltener vor. Die Studie liefert keine relevanten Daten zu Überlebensraten.19 Amiodaron wird bisher jedoch nicht mit einer
Zunahme rhythmogener Todesfälle in Verbindung gebracht und wirkt nicht negativ inotrop. Bei kardialer Vorschädigung könnte es für
zwingende Indikationen Mittel der Wahl werden.
Die optimale Behandlungsstrategie bei Vorhofflimmern wird noch beforscht. Subjektive Beschwerden wie Palpitationen, Schwindel und Atemnot sprechen auf
Frequenzkontrolle (Diltiazem) ebenso gut an wie auf Rhythmisierung (Kardioversion) und anschließend Amiodaron zur Rezidivprophylaxe. Bei alleiniger
Frequenzkontrolle sind Störwirkungen seltener.20 In einer US-amerikanischen Langzeitstudie (über 5.000 Patienten, Beobachtungszeit über
drei Jahre) sollen beide Vorgehensweisen verglichen werden.21
Paroxysmale supraventrikuläre Tachykardie: Von AV-Knoten-Reentry-Tachykardien (ca. 75%) durch kreisende Erregungen sind die eigentlichen
Vorhoftachykardien (ca. 15%) und Reentry-Tachykardien mit akzessorischer Leitungsbahn wie dem WPW-Syndrom (ca. 10%) abzugrenzen. Weitere
Differenzierungen erfordern Diagnostik in einem Zentrum. Kennzeichnend sind schmale QRS-Komplexe. An Kammertachykardien erinnernde Verbreiterungen
kommen aber auch vor (akzessorische Bündel, Leitungsblockierungen). Häufig treten sie bei jüngeren, sonst herzgesunden Patienten auf. Eine
Behandlung ist oft nur wegen subjektiv störender Symptome und beeinträchtigter Hämodynamik notwendig, seltener aus prognostischen
Gründen. Dies zwingt zu besonders kritischer Indikationsstellung.3,11,22
Bei Vorhoftachykardien eignen sich Verapamil oder Betablocker zur Anfallsbehandlung, eventuell kombiniert mit Digitalis. Oft lässt sich die
Kammerfrequenz reduzieren, ohne sofort den Sinusrhythmus wiederherzustellen. Bei Sonderformen kann die intravenöse Injektion von Adenosin (ADREKAR
u.a.; ektopes Reizzentrum) oder Magnesium (CORMAGNESIN u.a.; multifokale Reizbildung) angezeigt sein. Rezidive lassen sich mit Betablockern oder Verapamil
nur selten wirksam verhindern. Klasse-Ia- oder Ic-Antiarrhythmika oder Amiodaron wirken besser, sind jedoch nur ausnahmsweise zur Dauerprophylaxe zu
rechtfertigen.3,11,22
AV-Knoten-Reentry-Tachykardien können oft durch Vagusmanöver unterdrückt werden (Karotisdruck, Trinken kalten Wassers, Husten oder
Pressen). Medikamentös kommen in erster Linie Verapamil oder Adenosin (ADREKAR u.a.) in Betracht. Das ultrakurz wirkende Adenosin bringt initial mehr.
Frührezidive sind aber häufiger. Die Erfolgsraten entsprechen denen von Verapamil. Sowohl Adenosin (Flush, Bronchospasmen, bedrohliche
ventrikuläre Arrhythmien) als auch Verapamil (anhaltende Bradykardien, Blutdruckabfall) können zu schweren Störwirkungen führen. Welches
Mittel sich am besten eignet, wird kontrovers beurteilt. Bei Kindern sowie Patienten mit Herzinsuffizienz, Hypotonie und Vorbehandlung mit Betablockern ist Adenosin
zu bevorzugen. Lassen sich Vorhofflimmern oder -flattern oder QT-Syndrome nicht ausschließen, ist es kontraindiziert.3,11,23
Zur Rezidivprophylaxe ist zunächst ein Versuch mit einem Betablocker, Verapamil oder Digitalis angezeigt. Bei Erfolglosigkeit und zwingender
Behandlungsindikation muss die Entscheidung für Katheter-Ablationsverfahren (Hochfrequenz-Koagulation) oder dauerhafte antiarrhythmische Therapie
(Klasse-Ia- oder Ic-Antiarrhythmika, Amiodaron) getroffen werden.3,11,24
Auch bei Reentry-Tachykardien mit akzessorischer Leitungsbahn eignen sich Vagusmanöver zur Anfallsbehandlung. Verapamil, Herzglykoside und
Adenosin sind kontraindiziert. Sie können Kammertachykardien und -flimmern auslösen. Zur Unterbrechung eines Anfalls kommt vor allem Ajmalin i.v.
(GILURYTMAL u.a.) oder ein Klasse-Ic-Antiarrhythmikum in Frage. Zur Prophylaxe sind Betablocker Mittel der Wahl. Bei Therapieresistenz ist bei schwerem
Krankheitsbild wiederum die Differentialindikation zwischen Katheter-Ablationsverfahren und Dauertherapie mit Antiarrhythmika (Klasse Ic, Amiodaron) zu
stellen.3,11,24
FAZIT: Optimale Strategien zur Behandlung des Vorhofflimmerns und seiner Folgen werden noch erprobt. Bei erhöhtem Risiko zerebraler ischämischer
Insulte ist in der Regel die Einnahme von Azetylsalizylsäure (ASS; ASPIRIN u.a.) oder oralen Antikoagulantien angezeigt (a-t 1996; Nr. 9: 87-8). Zur Kontrolle der Kammerfrequenz sind bei Älteren Herzglykoside, bei Jüngeren
Betablocker und Verapamil (ISOPTIN u.a.) Mittel der Wahl, eventuell kombiniert mit einem Herzglykosid. Zur Rhythmisierung werden derzeit Klasse-Ic-Mittel
bevorzugt. Amiodaron (CORDAREX u.a.) bleibt in der Reserve. In der Rezidivprophylaxe bergen alle Klasse-I-Mittel die Gefahr fataler Arrhythmien. Bei zwingender
Indikation scheint Amiodaron am günstigsten.
Bei allen Formen paroxysmaler supraventrikulärer Tachykardien eignen sich Betablocker zur Rezidivprophylaxe. Akut wirken Ajmalin i.v. (GILURYTMAL u.a.)
bei Präexzitationssyndromen, Adenosin (ADREKAR u.a.) und Verapamil bei AV-Knoten-Tachykardien. Differenzierte Diagnostik und Therapie erfordern
Mitbetreuung durch ein spezialisiertes Zentrum.
|