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Im Blickpunkt

GESUNDHEITSPOLITIK:
PRO INDUSTRIE, KONTRA VERBRAUCHER

Die jetzt verabschiedete 10. Novelle des Arzneimittelgesetzes sollte eigentlich die unendliche Geschichte der Nachzulassung beenden, eine Klage der EU- Kommission gegen die deutsche Regierung wegen der nicht EU-konformen herstellerfreundlichen Nachzulassung von Altarzneimitteln (a-t 1998; Nr. 12: 109-10) abwenden und zugleich die Nachzulassung beschleunigen. Beide Ziele werden verfehlt. Die Arzneimittelgesetzgebung entwickelt sich immer mehr zum Trauerspiel.

Die Hersteller münzen Untätigkeit, also unternehmerische Qualitätsdefizite, zu ihrem Vorteil um. Auf der Anhörung zur 10. Novelle am 15. März 2000 beschwört der Rechtsvertreter des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie die Abgeordneten, im Gesetz vorzusehen, dass Nachzulassungen auch dann erteilt werden sollen, wenn Unterlagen zu Wirksamkeit und Sicherheit fehlen. Diese könne die Behörde per Auflage nachfordern.1 Gleichzeitig veröffentlicht er ein "Rechtsgutachten", wonach sich Firmen nicht an solche Auflagen halten müssen und diese durch Widerspruch abschmettern können.2

Zusätzlich werden kurz vor Verabschiedung der Novelle Fristverlängerungen zu Gunsten der Hersteller eingeführt, weil sich ein Pharma- Unternehmer bei einem Kanzlerbesuch in Dresden beschwerte.3 So werden Beschwerden von Patienten oder Ärzten nicht bedient. Dabei wissen Pharma-Unternehmer seit 1978, dass sie entsprechend den EU-Vorschriften bis 1990 Wirksamkeit und Unbedenklichkeit ihrer alten Präparate gegenüber der Behörde hätten belegen müssen.

Gestrichen wurde in der 10. AMG-Novelle die deutliche Information der Verbraucher auf Packung und Packungsbeilage, dass bei Altarzneimitteln keine behördliche Prüfung auf Sicherheit und Unbedenklichkeit existiert und sie sich deshalb seit 1990 nach EU-Richtlinien widerrechtlich in Verkehr befinden. Bereits vor drei Jahren wurde die Veröffentlichung einer Liste derartiger Altarzneimittel auf Intervention des Bundesfachverbandes der Arzneimittelhersteller durch das damalige CDU/CSU-Gesundheitsministerium unterbunden (a-t 1997; Nr. 7: 79). Bei etwa 20.000 Arzneimitteln erhält der Verbraucher auch heute keinen Hinweis, dass es sich um fragwürdige Altarzneimittel handelt. Dieser "exportschädliche" Sachverhalt wird jetzt in der Packungsbeilage verklausuliert dargestellt ("nach gesetzlichen Übergangsfristen in Verkehr..."), um die Vermarktungsinteressen der Warenanbieter nicht zu beeinträchtigen. Diese haben auch unter Rot-Grün Vorrang vor Verbraucherschutz. So werden Sicherheitsprobleme von Altarzneimitteln auf dem Rücken der Patienten abgeladen. Verständlich, dass die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände dagegen in Brüssel protestiert.4

Deutsche Hersteller brauchen die Wirksamkeit traditioneller Altarzneimittel gegenüber der Behörde also weiterhin nicht nachzuweisen. Dies verstößt eindeutig gegen europäisches Recht. Ein teures Klageverfahren droht. Bei Verurteilung muss die Bundesrepublik täglich 1,2 Mio. DM Strafe an Brüssel zahlen. Die Lasten trägt somit der Steuerzahler und nicht die begünstigte Industrie.

Die Patientenfeindlichkeit der Regierung lässt sich auch in der Ablehnung einer angemessenen Entschädigung für Frauen aus den neuen Bundesländern erkennen, die durch Hepatitis-C-verseuchte Blutprodukte einer tödlichen Infektion ausgesetzt wurden. Verantwortungsloses Verhalten wie unter SEEHOFER gegenüber HIV-infizierten Blutern setzt sich somit nahtlos fort.

Nach Scheitern des Globalbudgets strich die Ministerin auch die von den Grünen ungeliebte qualitätsorientierte Positivliste. Diese wurde erst auf Druck der SPD-Fraktion wieder ins Gesetz aufgenommen - wahrscheinlich jedoch vergeblich: Im Gesetz wird für die Verabschiedung der Positivliste ein Stimmenquorum vorgegeben, bei dem mindestens ein Vertreter der besonderen Therapierichtungen der Verabschiedung zustimmen muss. Dies ist jedoch nicht zu erwarten. Außerdem sorgt Klientelpolitik bei der Berufung der Positivlisten-Kommission dafür, dass zwei Vertreter der Schulmedizin aus der anthroposophisch ausgerichteten Universität Witten-Herdecke stammen. Vertreter der "Naturheilverfahren" sind in der Mehrheit. Evidenz-basierte Schulmedizin wird sich bei dieser Zusammensetzung des Gremiums kaum durchsetzen lassen.

FAZIT: Mit der jüngsten Novelle des Arzneimittelgesetzes setzt auch die rot-grüne Gesundheitspolitik die herstellernahe und verbraucherfeindliche Gesetzgebung fort. Ideologie-bestimmte Förderung von Naturheilmittel-Produzenten geht zu Lasten der qualitätsorientierten, durch wissenschaftliche Belege abgesicherten medizinischen Versorgung. Durch Klientelpolitik wird das Instrument der Positivliste erneut gekippt - diesmal nicht erst nach ihrer Fertigstellung (a-t 1996; Nr. 11: 110-1) -, sondern bereits im Vorfeld. Ärzte, die zwischen Erfordernissen der therapeutischen Versorgung und knappen Budgets ihre Pflicht tun, hätten eine bessere Politik verdient.

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