Wegen der Flut von Nebenwirkungsmeldungen zum Raucherentwöhnungsmittel Bupropion (ZYBAN; vgl. a-t 2001; 32: 94) in Großbritannien - bis April 2002 7.500 Berichte, darunter 58 Todesfälle -,1 muss die
europäische Zulassungsbehörde Nutzen und Schaden jetzt erneut abwägen.2 Weltweit wurden dem Hersteller bis Mitte vergangenen
Jahres 245 Todesfälle in Verbindung mit Bupropion berichtet.3 Da in der Spontanerfasssung nur 2% der schwerwiegenden Schadwirkungen erfasst
werden,4 ist eine Größenordnung von 12.000 Todesfällen möglich. Wir warnten wiederholt vor der Verordnung des bedenklichen
Mittels (z.B. a-t 2001; 32: 56 und 64). Als Antidepressivum (USA:
WELLBUTRIN) hat Bupropion keine Bedeutung. Jetzt wird das Mittel für einen weiteren lukrativen Markt erforscht - als Antiadipositum, denn Appetitverlust wird
als Nebenwirkung bei etwa 3% der Patienten beschrieben. In einer Pilotstudie reduzieren Tagesdosierungen von 400 mg das Körpergewicht besser als 300
mg/Tag.5 Dass erst vor wenigen Monaten die Dosierung bei der Indikation "Raucherentwöhnung" wegen des dosisabhängigen
Potenzials für Krampfanfälle auf maximal zweimal täglich 150 mg EU-weit begrenzt worden ist, scheint für die Forscher dabei keine Rolle zu
spielen.
Für denselben Markt wird Topiramat (TOPAMAX) ausprobiert, das bisher beispielsweise als Zusatztherapeutikum bei fokalen epileptischen Anfällen
zugelassen ist. Auf Grund schwerwiegender zentralnervöser Nebenwirkungen wie Denkverlangsamung und Gedächtnisstörungen, häufigen
Therapieabbrüchen wegen dosisabhängiger Schadeffekte (28% in klinischen Studien) sowie potenzieller Tumorigenität und Teratogenität
erachten wir Topiramat als Reservemittel. Da Patienten unter der Einnahme abnehmen, kam auch Johnson & Johnson auf die Idee, die Nebenwirkung als Indikation
zu profilieren. Die Erprobung bei Adipositas muss jetzt jedoch wegen der für Sachkenner nicht unerwarteten schwerwiegenden Unverträglichkeit des
Mittels gestoppt werden. Die Firma will allerdings mit einer angeblich besser verträglichen Retard-Zubereitung weiter experimentieren.6 Auf welcher
Basis Ethikkommissionen die Erprobung riskanter Arzneimittel für Indikationen genehmigen, für die Arzneimittel entbehrlich sind, bleibt uns
unerklärlich.
Erschreckend finden wir zudem, dass für Firmen die Umsatzerwartung für ein Antiadipositum offensichtlich Vorrang hat vor der Nutzen-Schaden-
Abwägung. Sie versuchen, schlecht verträgliche Mittel bei einer Indikation durchzusetzen, die eine Domäne nichtmedikamentöser
Behandlungen st. Andere Versuche der Marktausweitung laufen weiter, darunter die Erprobung von Topiramat zur Migräne-Prophylaxe, bei manischen
Symptomen bipolarer Erkrankungen und sogar bei diabetischer Neuropathie, obwohl hier drei Pilotstudien keinen Wirkvorteil gegenüber Plazebo erkennen
ließen.7
"Lebensinhalte sind unser Auftrag" bewirbt Janssen-Cilag in Deutschland das angeblich "gut verträgliche" Antiepileptikum
Topiramat.8 Der "Auftrag" scheint eher auf Marktausweitung hinauslaufen. Dahinter steckt System: Seit sich die öffentliche Hand aus
Planung und Finanzierung klinischer Forschung zurückgezogen hat, favorisieren Firmen zunehmend Studien, die reine Marketing-Ziele verfolgen und sich nicht
am therapeutischen Bedarf orientieren.9 Eine öffentliche Kontrolle fehlt. Eine Arzneimittel-Studie ohne Firmenbeteiligung ist heutzutage die Ausnahme.
Wie qualitätsfördernd diese sein kann, erweist sich soeben am Vergleich von Interferonen bei Multipler Sklerose (Seite 52), dessen Design offensichtlich
ohne Firmeneinfluss am Stand der Kenntnis orientiert werden konnte.
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