Von Patientenseite wird gehäuft über meine Einschätzung nach Aloe-vera-Präparaten gefragt. Leider liegen mir hierzu
nur wenige Informationen vor. Können Sie mir Näheres mitteilen?
Dr. med. D.K. STÜBINGER (Arzt)
D-35279 Neustadt
Interessenkonflikt:Keiner
Aus den Blättern der kakteenähnlichen Sukkulente Aloe vera (Aloe barbadensis MILLER) werden zwei Rohstoffe gewonnen: Das so genannte Gel
entspricht dem Mark der Blätter und enthält Kohlenhydratpolymere wie Glukomannane oder Pektinsäure.
Aloe-Latex (Aloe-Saft) hingegen ist ein bitter schmeckendes Exsudat aus der Blattrinde und besteht unter anderem aus Anthrachinonen wie Aloin. Gel und Latex
werden nicht immer sauber getrennt, so dass Anthrachinone auch in Gelen gefunden werden können.1
Aloe-Gel soll äußerlich bei Wunden, geringgradigen Verbrennungen, Hautreizungen oder Psoriasis nützlich sein.1,3 Zubereitungen zur
innerlichen Anwendung werden gegen Verstopfung, Husten, Kopfschmerzen, entzündliche Erkrankungen, rheumatisches Fieber, Allergien, Ulzera,
Herzerkrankungen, HIV-Infektion und Krebs angeboten.1,2
Wir finden fünf randomisierte kontrollierte Studien zu Aloe vera. Bei der Behandlung von Druckulzera wirkt Aloe-Gel in einer Studie mit 49 Patienten nicht besser
als in Kochsalzlösung getränkte Gaze.4 Als Zusatz zur Standard-Wundversorgung scheint es den Heilungsprozess nach einer Untersuchung mit
40 Patienten sogar zu hemmen.5
Vorbeugend bei perkutaner Strahlentherapie aufgetragen, ist Aloe-Gel bei 194 Brustkrebspatientinnen im Vergleich mit Plazebo in allen geprüften Endpunkten
(Schweregrad, Dauer, Zeit bis zur Manifestation der Strahlendermatitis) ohne Nutzen.6 Eine nachgeschobene Studie mit 73 Patienten vermag das Ergebnis
nicht zu widerlegen: Zwar wollen die Autoren eine Verlängerung der Zeit bis zum Auftreten der Strahlendermatitis in der Subgruppe der mit hoher Dosis
bestrahlten Patienten beobachtet haben, doch lässt sich der Effekt nicht dem Aloe-Bestandteil des Verums zuordnen, da ein Plazebo-Gel fehlt.7
Ein erstaunliches Ergebnis liefert eine pakistanische Studie mit 60 Patienten: Eine hydrophile Creme mit 0,5% Aloe-vera-Extrakt soll innerhalb eines Monats 83% der
Behandelten von ihrer durchschnittlich seit 8,5 Jahren bestehenden Psoriasis dauerhaft kurieren, während in der Kontrollgruppe nur 6,6% Heilungen
vorkommen.3 Der Umstand, dass die Erkrankung auch nach zwölf Monaten bei keinem der "geheilten" Patienten wieder auftritt, lässt uns an der
Validität der Studie zweifeln. Weitere klinische Untersuchungen zu Aloe vera bei Psoriasis finden wir nicht.
Andere Studien zur Prävention von "atheromatöser" Herzkrankheit8 oder zur Therapie solider Tumoren9 bleiben wegen
gravierender methodischer Mängel wie fehlender Kontrollgruppe beziehungsweise nicht durchgeführter Randomisierung ohne relevante Aussage.
Als begründbar gilt die Einnahme von Aloe-Extrakt als Laxans.1 Kanzerogenes und genotoxisches Potenzial der abführend wirkenden
Anthrachinone stehen der Verwendung jedoch entgegen (a-t 1999; Nr. 5: 56; a-t 1996; Nr. 8: 82). Aus Südafrika kommt ein Bericht über akutes Nierenversagen bei einem 47-jährigen
Hypertonie-Patienten in Verbindung mit Anthrachinon-haltigem Extrakt aus Kap-Aloe (Aloe ferox MILLER).10
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat die Anwendung von anthranoidhaltigen Arzneimitteln einschließlich Aloe bereits mit
Wirkung vom 1. Februar 1997 auf die maximal zweiwöchige Verwendung als Laxans beschränkt (a-t 1996; Nr. 8:
82) und sämtliche weiteren Indikationen untersagt.11
FAZIT: Die einzige wahrscheinlich begründete Wirkung von Aloe ist der abführende Effekt von anthrachinonhaltigen Zubereitungen zur innerlichen
Anwendung. Die Verwendung als Laxans lässt sich wegen des kanzerogenen und genotoxischen Potenzials allerdings nicht rechtfertigen. Die übrigen
Anwendungsgebiete erachten wir als nicht bzw. nicht hinreichend belegt.
|