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Neu auf dem Markt

BASALINSULIN-ANALOG DETEMIR (LEVEMIR)

Seit August wird mit Insulin detemir (LEVEMIR) ein zweites langwirkendes Kunstinsulin angeboten. Wie das Basalinsulin-Analog Glargin (LANTUS, vgl. a-t 2000; 31: 60) soll es gleichmäßiger wirken und weniger nächtliche Hypoglykämien hervorrufen.1

EIGENSCHAFTEN: Im Vergleich zu Humaninsulin fehlt bei Detemir die Aminosäure Threonin an Position 30 der B-Kette. Zusätzlich ist eine Fettsäure an die Aminosäure Lysin in Position B29 angelagert. Es entsteht ein lösliches Hexamer, das nach subkutaner Injektion langsam dissoziiert und reversibel an Albumin bindet. Dies soll die Wirkung weiter verlängern und Absorption und Wirkprofil im Vergleich zu NPH*- Insulin reproduzierbarer machen.1 Im Gegensatz zu Glargin hat Detemir einen neutralen pH-Wert.2

Abhängig von der Dosis wirkt Insulin detemir bis zu 24 Stunden lang. Es kann ein- oder zweimal täglich gespritzt werden. Maximale Serumkonzentrationen werden innerhalb von sechs bis acht Stunden erreicht. Die terminale Halbwertszeit beträgt fünf bis sieben Stunden.1

WIRKSAMKEIT: In vier randomisierten, offenen** Studien, die alle vom Hersteller gesponsert sind und bei denen Firmenmitarbeiter an der Veröffentlichung beteiligt sind, wird vier bis sechs Monate lang die ein3- oder zweimal2,4,5 tägliche Injektion von Insulin detemir oder NPH-Insulin (INSUMAN BASAL u.a.) bei Typ-1-Diabetes im Rahmen eines Basis-Bolus-Regimes geprüft. Zu den Mahlzeiten spritzen die Patienten zusätzlich entweder das Kunstinsulin aspart (NOVORAPID),2,5 Humaninsulin (HUMINSULIN u.a.)3 oder es werden kurz- und langwirkendes Analog mit den beiden herkömmlichen Insulinen verglichen.4 In einer Studie5 wird als dritter Arm die Anwendung von Detemir im festen 12-Stunden- Rhythmus geprüft. Ausschlusskriterien sind in allen Studien unter anderem ein HbA1c über 12%, proliferative Retinopathie oder schwere Hypoglykämien in der Vorgeschichte. Obwohl immer eine Intention-to-treat (ITT)-Analyse angestrebt wird, gehen in mindestens zwei Untersuchungen2,3 nicht alle Teilnehmer in die Auswertung ein.

Ein Vorteil von Insulin detemir lässt sich nicht belegen: Nur in einer der vier Studien unterscheidet sich das mittlere HbA1c in den beiden Gruppen um statistisch signifikante, klinisch aber irrelevante 0,22% (7,88% versus 8,11%; 95% Konfidenzintervall [CI] -0,34 bis -0,1).4 In der dreiarmigen Untersuchung ergibt sich statistische Signifikanz erst nach Poolen der beiden Detemir-Gruppen (mittlere Differenz 0,18%, CI -0,34 bis -0,02).5 Klinisch ist auch dieses Ergebnis bedeutungslos. In zwei Studien findet sich unter dem Kunstinsulin nach vier bzw. sechs Monaten ein niedrigerer Nüchtern-Blutzucker als unter NPH- Insulin.3,5 Die klinische Relevanz hinsichtlich Langzeitkomplikationen und Sterblichkeit bleibt wie bei der beobachteten geringeren "intraindividuellen Variabilität" des in der letzten Behandlungswoche selbst gemessenen Nüchtern-Blutglukosewertes offen.

Ein klarer Vorteil in Bezug auf Hypoglykämien fehlt: Lediglich in einer Studie kommen die gefürchteten schweren Unterzuckerungen (Fremdhilfe erforderlich***) nachts seltener vor als unter NPH-Insulin.4 Da sich die Zahl schwerer Hypoglykämien insgesamt in dieser Untersuchung nicht wesentlich unterscheidet, ist anzunehmen, dass solche Ereignisse unter Detemir tagsüber häufiger sind. Eine entsprechende Auswertung fehlt.

In der Mehrzahl der Studien halten Detemir-Anwender ihr Körpergewicht oder nehmen sogar geringfügig (-0,2 kg bis -0,95 kg) ab, während Patienten unter NPH-Insulin bis 0,86 kg zunehmen. Ursache und Bedeutung dieses Effekts sind unklar.

In einer bislang nur vorläufig veröffentlichten Studie mit Typ-2-Diabetikern unterscheidet sich ein Basis-Bolus-Regime mit Insulin detemir ein- oder zweimal täglich plus Insulin aspart zu den Mahlzeiten hinsichtlich HbA1c und Hypoglykämierate nicht von einem NPH- plus Humaninsulin-gestützten Regime.6

STÖRWIRKUNGEN: Häufigkeit und Spektrum unerwünschter Effekte soll in den fünf Studien unter Insulin detemir und NPH-Insulin vergleichbar gewesen sein. Näheres wird nicht mitgeteilt. Laut Detemir-Fachinformation müssen 12% der Anwender mit Störwirkungen rechnen. Schwere Hypoglykämien treten demnach bei 6% auf, Reaktionen an der Injektionsstelle bei 2%.1

Insulinanaloga stehen im Verdacht, das Zellwachstum, auch das von Krebszellen, fördern zu können (a-t 2004; 35: 32-3). Der Vizepräsident des Detemir-Herstellers Novo Nordisk hat die Frage nach der möglichen Kanzerogenität der Analoga kürzlich mit "we don't know" beantwortet (a-t 2004; 35: 85). Langzeitsicherheitsstudien hierzu fehlen.

KOSTEN: Bezogen auf eine tägliche Dosis von 40 Einheiten (E) sind für Insulin detemir (LEVEMIR) monatlich 61,50 € aufzuwenden und damit etwa gleich viel wie für das Kunst-Basalinsulin glargin (LANTUS, 60 €/Monat). Gegenüber NPH-Insulin verursacht LEVEMIR Mehrkosten von 50% bis 72% (HUMINSULIN BASAL 41 €, INSULIN B. BRAUN RATIOPHARM BASAL 36 €).

Mit Insulin detemir (LEVEMIR) ist jetzt ein zweites langwirkendes Basalinsulin- Analog auf den Markt.

Wie bei Insulin glargin (LANTUS) sind keine klinisch relevanten Vorteile gegenüber herkömmlichen Verzögerungsinsulinen belegt. Schutz vor diabetischen Folgeerkrankungen ist ohnehin nur für Humaninsulin nachgewiesen.

Die teuren Insulinanaloga stehen im Verdacht, Krebs auslösen zu können. Wir raten von der Anwendung ab.

© 2004 arznei-telegramm

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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