Vor fast 20 Jahren wurde erstmals in epidemiologischen Untersuchungen ein Zusammenhang zwischen Serumantikörpern gegen Chlamydia
pneumoniae und der Häufigkeit akuter Myokardinfarkte hergestellt.1 Mehrere experimentelle Studien schienen in der Folge die These zu stützen,
dass Chlamydien einen Kausalfaktor in der Pathogenese der Atherosklerose und speziell der koronaren Herzkrankheit (KHK) darstellen.2 Zwar gelang der
Nachweis von vitalen Keimen nur selten. Einige Untersuchungen fanden jedoch Chlamydien-DNA und/oder -Antigen in mehr als 40% der atherosklerotischen
Plaques bei Patienten mit KHK.3
Erste kleinere klinische Studien zur Sekundärprävention nach akutem Koronarsyndrom mit Makrolidantibiotika, die in üblicher Dosis einen
oder mehrere Monate lang eingenommen wurden, verliefen ermutigend (vgl. a-t 1997; Nr. 8: 81-2). Erneute
Ischämien, Infarkte oder Todesfälle innerhalb von 90 Tagen wurden durch Roxithromycin (RULID u.a.) und Clarithromycin (KLACID u.a.) tendenziell
vermindert.4,5 Bei mittlerer Nachbeobachtungszeit von 1,5 Jahren kam es unter Clarithromycin signifikant seltener zu kardiovaskulären Ereignissen als
unter Plazebo (22% vs. 36%; p = 0,03).5 Spätere größere Studien mit Azithromycin (ULTREON, ZITHROMAX), Roxithromycin und
dem Gyrasehemmer Gatifloxacin (außer Handel: BONOQ) bestätigten diese Befunde jedoch nicht.6-10 Eine kürzlich publizierte
systematische Übersicht kommt nach Auswertung von elf randomisierten Studien mit insgesamt 19.217 Patienten zum Schluss, dass eine antibiotische
Therapie weder nach akutem Koronarsyndrom noch bei stabiler KHK Mortalität oder kardiovaskuläre Ereignisse vermindert.11 Die Theorie, dass
Chlamydia pneumoniae ein pathogenetischer Faktor bei KHK sein könnte, wird aber dennoch nicht aufgegeben. Es wird spekuliert, dass die geprüften
Antibiotika, ihre Dosierung oder die Anwendungsdauer falsch waren.12
Beunruhigend sind jetzt allerdings die aktuellen Ergebnisse der CLARICOR*-Studie,13 einer weiteren randomisierten Untersuchung mit
Clarithromycin (500 mg/Tag für zwei Wochen) bei 4.373 Patienten mit stabiler KHK. Über eine Beobachtungszeit von drei Jahren nimmt der primäre
kombinierte Endpunkt (instabile Angina, Infarkte oder Todesfälle) gegenüber Plazebo tendenziell zu (15,8% vs. 13,8%; Hazard Ratio [HR] 1,15; 95% CI
0,99-1,34; p = 0,08). Ein prädefinierter kombinierter Endpunkt aus kardiovaskulärer Mortalität, Infarkten, instabiler Angina, Hirninsulten oder peripher-
arteriellen Ereignissen ist signifikant erhöht (16,2% vs. 13,7%; HR 1,20; 95% CI 1,02-1,39; p = 0,03). Sowohl die kardiovaskuläre Mortalität (5,1% vs.
3,5%; HR 1,45; 95% CI 1,09-1,92; p = 0,01) als auch die Gesamtsterblichkeit (9,8% vs. 7,8%; HR 1,27; 95% CI 1,03-1,54; p = 0,03) liegen unter Clarithromycin
signifikant höher als unter Plazebo. Beide Endpunkte sind zwar nicht prädefiniert, wurden jedoch als Komponenten des sekundären bzw.
primären Endpunkts in jedem Einzelfall vom zentralen Evaluationskomitee bewertet. Auch die Berücksichtigung verschiedener Risikofaktoren durch
multivariate Analysen ändert die Befunde nicht.
Es gibt keine einfache Erklärung für die überraschenden Ergebnisse. Zwar sind unter Makrolidantibiotika QT-Verlängerungen bekannt, die auch
lebensbedrohliche ventrikuläre Rhythmusstörungen auslösen können. Gerade unter der zweiwöchigen Behandlung und während
des ersten Studienmonats sind jedoch die kardiovaskuläre und Gesamtmortalität unter Clarithromycin nicht höher als unter Plazebo. Dagegen
nehmen sie vom zweiten Studienjahr an fortlaufend zu. Pharmakologisch ist ein solcher um Monate und Jahre verspäteter Effekt kaum zu erklären.
Aber schon in zwei früheren Studien zur Sekundärprävention bei KHK fand sich nach Clarithromycin (für 855 bzw. 16 Tage14)
bei längerer Nachbeobachtung (18 Monate bzw. 2 Jahre) eine numerisch gering erhöhte Sterblichkeit. Die Autoren der CLARICOR-Studie errechnen bei
gemeinsamer Auswertung dieser Untersuchungen mit der eigenen eine signifikante Zunahme der Langzeitmortalität nach Clarithromycin (trotz der zeitlich
begrenzten Einnahme).13 Und auch in den Studien mit Gatifloxacin8 bzw. Azithromycin10, die mit zwei bzw. vier Jahren ebenfalls eine vergleichsweise
lange Nachbeobachtung aufweisen, allerdings eine antibiotische Langzeittherapie prüfen, ist die Sterblichkeit unter den Antibiotika in der Tendenz höher
als unter Plazebo. Bei gemeinsamer Auswertung dieser Untersuchungen mit der CLARICOR-Studie stellen die Autoren wiederum eine signifikant erhöhte
Mortalität unter den Antibiotika fest. Die Aussagekraft dieser beiden gepoolten Post-hoc-Analysen ist zwar begrenzt. Es stellt sich dennoch die Frage, ob bei
Patienten mit KHK, die aus verschiedenen Indikationen Makrolidantibiotika erhalten, ein Schädigungspotenzial besteht. Die FDA will die verfügbaren
Daten im Detail prüfen, sieht aber derzeit keine Veranlassung für regulatorische Maßnahmen.15
Epidemiologische Studien weisen auf einen möglichen Zusammenhang
zwischen Infektion mit Chlamydia pneumoniae und dem Risiko kardiovaskulärer Erkrankungen hin.
Gegen Chlamydia pneumoniae wirksame Antibiotika senken nach bisherigen Daten
weder die Rate koronarer Ereignisse (akute Koronarsyndrome, Infarkte etc.) noch die kardiovaskuläre oder Gesamtmortalität.
Eine Indikation für (Makrolid-)Antibiotika zur Sekundärprävention bei
koronarer Herzkrankheit besteht nicht.
Wegen der Hinweise auf Übersterblichkeit im Langzeitverlauf ist die Indikation
für Makrolidantibiotika, vor allem für Clarithromycin (KLACID u.a.), bei Vorliegen einer koronaren Herzkrankheit streng zu stellen.
Das Beispiel verdeutlicht erneut, wie problematisch es ist, aus epidemiologischen
Daten Rückschlüsse auf einen therapeutischen Nutzen abzuleiten.
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