logo
logo
Die Information für medizinische Fachkreise
Neutral, unabhängig und anzeigenfrei
vorheriger Artikela-t 2006; 37: 30nächster Artikel
Korrespondenz

HORMONTHERAPIE: KÖNIGSWEG ZUR DEMENZPRÄVENTION?

Als langjähriger Bezieher des a-t bin ich verwirrt von einem Leserbrief von Prof. J. M. WENDERLEIN im Deutschen Ärzteblatt.1 In ihm wird Hormonersatz als Königsweg zur Demenzprävention dargestellt und zudem eine Senkung der Gesamtmortalität bei Patientinnen unter 60 Jahren bis zu 40% behauptet. Die Bewertung der WHI-Studie durch das a-t lautete völlig anders...

Dr. P. von HESSLING (Facharzt für Radiologie)
D-86633 Neuburg

Interessenkonflikt: keiner

Zur Prophylaxe dementiver Erkrankungen liegen negative Langzeitdaten aus Substudien2-5 der randomisierten kontrollierten WHI*-Studie vor. Nach einer 2004 veröffentlichten Auswertung4 erhielten 4.532 Patientinnen zwischen 65 und 79 Jahren konjugierte Östrogene plus Gestagen oder Plazebo. Parallel dazu wurden 2.947 Frauen nach Hysterektomie nur mit Östrogenen oder Plazebo behandelt. Nach durchschnittlich vier Jahren entwickeln 1,8% unter der Kombination gegenüber 0,9% unter Plazebo eine "wahrscheinliche" Demenz (Hazard Ratio [HR] 2,05; 95% Konfidenzintervall [CI] 1,21-3,48). Unter alleiniger Östrogenbehandlung steigt das Risiko numerisch (1,9% versus 1,3%; HR 1,49; 95% CI 0,83-2,66). Nach Subgruppenanalysen scheinen Frauen mit Diabetes mellitus besonders gefährdet zu sein. Keine der ausgewerteten Subgruppen profitiert von einer Hormonbehandlung. Diese Berechnungen sind wegen bekannter Probleme (multiples Testen) mit Zurückhaltung zu interpretieren. Gegen die Studien wird angeführt, dass die Behandlung zu spät erfolgte, um wirksam zu sein.1 Ein Beweis für den immer wieder behaupteten Nutzen einer Hormonbehandlung bei frühem Beginn der Prophylaxe fehlt jedoch.

Die vom Gynäkologen WENDERLEIN angesprochenen Metaanalysen, die eine 29%ige6 bzw. 34%ige7 Senkung des Demenzrisikos erkennen lassen sollen, werten Kohorten- und Fall-Kontrollstudien aus, die ein erhebliches Fehlerpotenzial bergen. Sie reichen nicht als Nutzenbeleg aus, was die Autoren der Metaanalysen selbst auch so einschätzen. WENDERLEIN bemüht darüber hinaus eine aktuelle Arbeit,8 derzufolge das Risiko einer verschlechterten Gedächtnisleistung nach 15-jähriger Beobachtungszeit durch Hormontherapie um 64% reduziert sein soll. Es handelt sich dabei um eine offen durchgeführte nachträgliche Befragung einer Auswahl ehemaliger Teilnehmerinnen aus vier Hormontherapie-Studien, also ebenfalls um eine epidemiologische Untersuchung ohne Beweiskraft. Studienabbrecherinnen werden nicht berücksichtigt. Es werden nicht einmal Ausgangswerte zum kognitiven Status bei Beginn der Hormontherapie erhoben.

Das oft strapazierte Argument einer Senkung der Gesamtmortalität (s.a. a-t 2002; 33: 81-3), laut WENDERLEIN "bis zu 40% bei bis 60-Jährigen", wird mit einer metaanalytischen Auswertung von Hormontherapie-Studien mit 4.000 Frauen begründet.9 Auch diese Daten halten jedoch einer Überprüfung nicht stand: Der größte Anteil der in der Metaanalyse ausgewerteten Todesfälle (73 von 130) stammt aus einer kleinen Untersuchung zu Hormonen bei Ovarialkarzinom mit 130 Patientinnen.10 Die Studie wurde offen und mit unbehandelten Kontrollen durchgeführt. Zudem scheint die Randomisierung misslungen: Die unbehandelten Patientinnen sind älter und haben höhergradige Erkrankungen mit schlechter differenzierten Tumoren, allesamt Indikatoren für ein höheres Mortalitätsrisko. Werden nur verblindete randomisierte Studien mit mehr als 100 Frauen berücksichtigt, kehrt sich das Bild um: Unter Hormontherapie starben sieben, unter Plazebo hingegen keine.11 Die im Wesentlichen auf Zahlen von Frauen mit Ovarialkarzinomen basierende Metaanalyse ist daher wertlos. Die Ergebnisse werden zudem von WENDERLEIN unzulässig auf alle Frauen unter 60 Jahren ausgedehnt. Daten der WHI-Studie gehen dagegen nicht in die Analyse mit ein, angeblich weil die Autoren keine isolierte Auswertung für diese Altersgruppe erhielten.

Schließlich ist das Heranziehen der WHI-Studie12 zur Östrogen-Monotherapie als Beleg für einen "Gefäßschutz" eine Umkehrung der Studienergebnisse. Die Untersuchung, an der 10.739 Patientinnen zwischen 50 und 79 Jahren nach Hysterektomie teilnahmen, wurde vorzeitig abgebrochen, da unter Hormonbehandlung nach durchschnittlich 6,8 Jahren Hirninsulte zugenommen haben. Die Herzinfarkthäufigkeit bleibt unbeeinflusst (HR 0,91; 95% CI 0,75-1,12). Die von WENDERLEIN postulierte 44%ige Senkung bezieht sich auf eine Subgruppenauswertung von 50 bis 59 Jahre alten Frauen. Er unterlässt es jedoch mitzuteilen, dass der Unterschied statistisch nicht signifikant und zudem lediglich Teil einer mit größter Vorsicht zu interpretierenden Subgruppenanalyse ist. Die in der Gesamtgruppe auch statistisch signifikant erhöhte Schlaganfallinzidenz (HR 1,39; 95% CI 1,10 bis 1,77) mit einem "längerfristig dem Gehirn nützenden Gefäßschutz" zu vereinbaren, bedarf einer gewissen intellektuellen Robustheit.

Der Beitrag von M. WENDERLEIN ist ein Beispiel dafür, wie Meinungsbildner die mittlerweile gut fundierte Datenlage zu den Risiken der Hormontherapie verschleiern und negieren.

Durch Heranziehen methodisch fragwürdiger Studien wird weiterhin ein angeblicher Nutzen einer Hormonbehandlung propagiert (siehe auch a-t 2005; 36: 69-71).

 

 

(M = Metanalyse, R = randomisierte Studie)

 

1

WENDERLEIN, J.M.: Dtsch. Ärztebl. 2005; 102: A2522

R

2

SHUMAKER, S.A. et al.: JAMA 2003; 289: 2651-62

R

3

RAPP, S.R. et al.: JAMA 2003; 289: 2663-72

R

4

SHUMAKER, S.A. et al.: JAMA 2004; 291: 2947-58

R

5

ESPELAND, M.A. et al.: JAMA 2004; 291: 2959-68

 

6

YAFFE, K. et al.: JAMA 1998; 279: 688- 95

 

7

NELSON, H.D. et al.: JAMA 2002; 288: 872-81

 

8

BAGGER, Y.Z. et al.: Menopause 2005; 12: 12-7

M

9

SALPETER, S.R.: J. Gen. Intern. Med. 2004; 19: 791-804

R

10

GUIDOZZI, F., DAPONTE, A.: Cancer 1999; 86: 1013-8

 

11

GRANT, E.C.G.: J. Gen. Intern. Med. 2005; 20: 212

R

12

WHI Steering Committee: JAMA 2004; 291: 1701-12

*

WHI = Women's Health Initiative

© 2006 arznei-telegramm

Autor: angegebene Leser bzw. Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

Diese Publikation ist urheberrechtlich geschützt. Vervielfältigung sowie Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen ist nur mit Genehmigung des arznei-telegramm® gestattet.