HORMONE BEI BESCHWERDEN DER WECHSELJAHRE NOCH ZU RECHTFERTIGEN? | |||||
Trotz der negativen Nutzen-Schaden-Bilanz* der Langzeiteinnahme von konjugierten Östrogenen plus Medroxyprogesteronazetat (CLIMOPAX u.a.)
in der WHI**-Studie blieb die Behandlung von Beschwerden der Wechseljahre - bei Beschränkung auf die niedrigste effektive Dosis und
kürzestmögliche Dauer - eine zugelassene1 und auch empfohlene2 Indikation für die Hormontherapie. Ein definitives zeitliches Limit
fehlt in den Fachinformationen.1 Ein Einnahmeintervall ohne Zunahme schwerwiegender Risiken gibt es nach den Daten der WHI-Studie zudem nicht:
Bereits im ersten Jahr steigt die Gefahr venöser Thromboembolien sowie von Herzinfarkten (a-t 2002; 33: 81-3).
Die Studienmedikation war zum Zeitpunkt des Stopps durchschnittlich 5,7 Jahre lang eingenommen worden. Alle im Fragebogen angesprochenen Beschwerden treten nach Absetzen der Hormone häufiger auf als nach Absetzen von Plazebo. Besonders deutlich ist der Unterschied mit 21% vs. 5% bei vasomotorischen Beschwerden wie Hitzewallungen und Nachtschweiß (adjustiertes Odds-Ratio [OR] 5,82; 95% Vertrauensintervall [CI] 4,92-6,89). Betroffen sind hauptsächlich Teilnehmerinnen, die schon bei Studienaufnahme unter Hitzewallungen und Nachtschweiß litten: Diese Frauen klagen nach Absetzen von Verum zu 56% über vasomotorische Beschwerden im Vergleich zu 21% nach Absetzen des Scheinmedikaments. Wiederkehren der Symptomatik kommt zwar bei jüngeren Frauen häufiger vor, betrifft aber auch von den über 70-Jährigen noch 47% (vs. 16% nach Absetzen von Plazebo). Ähnliches gilt mit weniger ausgeprägten Unterschieden auch für Schmerzen und Gelenksteifigkeit. Darunter leiden nach Stopp der Hormoneinnahme 37% im Vergleich zu 22% nach Stopp des Scheinmedikaments (OR 2,16; 95% CI 1,95-2,40). Unter den bei Studienbeginn bereits betroffenen Frauen klagen 55% darüber (vs. 38% im vormaligen Plazeboarm).3 Die Zuordnung von Schmerzen und Steifigkeit zum Hormonstatus ist allerdings bisher wenig gesichert. Zumindest ein Teil könnte auch altersbedingt sein.
Unter den alternativen nichtmedikamentösen Strategien zur Behandlung der Beschwerden sind die mit Erfolgsangaben von über 90% anscheinend wirksamsten der Gebrauch von Fächern, Ventilatoren oder Klimaanlagen, Selbsthilfetechniken wie Yoga, Baumwollkleidung oder Kleidung in Schichten ("Zwiebelschalenprinzip") sowie häufigeres "unter Leute Gehen". Pflanzliche Präparate (Phytoöstrogene) gehören mit Erfolgsangaben von 72% zu den weniger hilfreichen Methoden. Als Querschnittsbefragung nur eines Teils der ursprünglich randomisierten Frauen ist die Aussagekraft dieser WHI-Nachauswertung wie die aller Beobachtungsstudien beschränkt. Besonders zurückhaltend sind die Erfolgsangaben zu den alternativen Bewältigungsstrategien zu interpretieren, da sie nicht auf kontrollierten Erfahrungen beruhen und die einzelnen Maßnahmen jeweils nur von einem kleinen Teil der Frauen versucht werden. Die Ergebnisse zur häufigen Wiederkehr von Wechseljahresbeschwerden nach Absetzen von Hormonen werden allerdings durch weitere, kleinere Beobachtungsstudien4-6 gestützt. Es handelt sich dabei durchweg um Untersuchungen mit Frauen, die wegen der Ergebnisse der WHI-Studie versucht haben, ihre Hormontherapie zu beenden. Auftreten von Menopausenbeschwerden nach Absetzen wird bei 30% bis 54% der Frauen beschrieben.4- 6 Wie in der WHI-Nachauswertung kommen auch in einer weiteren Umfrage belastende Symptome häufiger bei Frauen vor, die die Mittel ursprünglich zur Linderung von Wechseljahresbeschwerden eingenommen haben (37% vs. 26%).4 Wiederkehr dieser Beschwerden und ihre Behandlung wird zudem von den Verumanwenderinnen der WHI-Studie wie auch von den anderen befragten Hormonanwenderinnen als einer der Hauptgründe für Absetzschwierigkeiten bzw. erneute Einnahme angegeben.3,4,7,8 Ob Ausschleichen hilft, ist nicht gesichert. In zwei Studien sind Symptome bei langsamer Dosisreduktion nicht seltener als nach abruptem Absetzen.4,5 Die Dauer der Beschwerden bleibt offen. Nach einer der Umfragen sind sie bei mehr als 70% der Frauen offenbar auch mehrere Monate nach Absetzen immer noch belastend.4 Nach Daten aus der WHI-Studie muss mehr als die Hälfte der Frauen, die Sexualhormone gegen Beschwerden der Wechseljahre einnehmen, nach Absetzen mit Wiederkehr der Symptomatik rechnen. Die Dauer der Beschwerden scheint nach anderen Beobachtungsdaten bei einem hohen Prozentsatz mindestens mehrere Monate zu betragen. Es ist wahrscheinlich, dass die Therapie von Wechseljahresbeschwerden mit Hormonen diese Beschwerden bei einem Teil der Frauen nur auf einen späteren Zeitraum verschiebt. Wiederkehr der Symptomatik scheint auch ein Hauptgrund für Absetzschwierigkeiten oder erneuten Hormongebrauch zu sein. Dies könnte die Empfehlung einer kürzest möglichen Dauer der Therapie konterkarieren und einer riskanten Langzeitanwendung Vorschub leisten. Es ist dringend erforderlich, dass der Verlauf nach Absetzen einer Kurzzeittherapie von Wechseljahresbeschwerden in randomisierten kontrollierten Studien überprüft wird, insbesondere auch die Frage einer möglichen Abhängigkeit. Beim derzeitigen Kenntnisstand sehen wir in der Kurzzeittherapie menopausaler Beschwerden mit Hormonen keine sinnvolle Option mehr. |
1 | Wyeth: Fachinformation CLIMOPAX, Stand Aug. 2004 | |
2 | North American Menopause Society: Estrogen and progestogen use in peri- and postmenopausal women: September 2003 position statement. http://www.menopause.org/positionstatement.pdf | |
3 | OCKENE, J.K. et al.: JAMA 2005; 294: 183-93 | |
4 | GRADY, D. et al.: Obstet. Gynecol. 2003; 102: 1233-9 | |
5 | HASKELL, S.G.: J. Women's Health 2004; 13: 438-42 | |
6 | NESS, J. et al.: Maturitas; published online 26. Juli 2005 | |
7 | LAWTON, B. et al.: BMJ 2003; 327: 845- 6 | |
8 | BARBER, C.A. et al.: J. Women's Health 2004; 13: 975-85 | |
9 | HEITMANN, C. et al.: Menopause 2005; 12: 405-11 | |
10 | Wissenschaftl. Inst. d. AOK (WidO, Hrsg.): "Wechseljahre in der Hormontherapie", 2005, ISBN3-922093-37-X | |
11 | Dr. Kade: Rundschreiben vom 11. Juli 2005 | |
12 | DIETEL, M. et al.: Human Reprod. 2005; 20: 2052-60 | |
13 | Pressemitteilung der Charité vom 10. Aug. 2005 | |
14 | Tagesspiegel vom 11. Aug. 2005 | |
15 | COGLIANO, V. et al.: Lancet Oncology 2005; 6: 552-3 |
Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten
Diese Publikation ist urheberrechtlich geschützt. Vervielfältigung sowie Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen ist nur mit Genehmigung des arznei-telegramm® gestattet.