Die Kombination von Heparinen mit Thrombozytenaggregationshemmern senkt beim akuten Koronarsyndrom ohne ST-Hebung das Risiko
für Infarkte oder Todesfälle.1 Dabei scheint Enoxaparin (CLEXANE) den unfraktionierten Heparinen überlegen zu sein, ohne die Rate an
Blutungskomplikationen zu erhöhen.2 Unklarer ist der Stellenwert von Heparinen bei akutem Myokardinfarkt mit ST-Hebung; hier ist von
Bedeutung, ob und welche Reperfusionsstrategien verfolgt werden. Bei perkutanen Angioplastien (PCI) oder Thrombolysen mit fibrinspezifischen Mitteln wie
Alteplase (ACTILYSE) wird in internationalen Leitlinien unfraktioniertes Heparin empfohlen. Bei Behandlung mit unspezifischen Thrombolytika wie Streptokinase
(STREPTASE) sollen Heparine in therapeutischer Dosis nur bei erhöhtem Risiko für arterielle Embolien gegeben werden.3 Eine Metaanalyse
weist auf einen Vorteil von fraktionierten Heparinen hin.4 Nach neueren Studien könnten Reviparin (CLIVARIN; a-t 2005; 36: 22-3) und Enoxaparin (siehe Seite 41) bei Patienten mit Thrombolyse auch Reinfarkte und Todesfälle
vermindern. Anscheinend sind dann aber bedrohliche Blutungen häufiger.5,6 Zwei randomisierte doppelblinde Studien prüfen jetzt den Nutzen
des synthetischen Pentasaccharids Fondaparinux (ARIXTRA), das als spezifischer
Hemmstoff von Faktor Xa bisher nur zur Therapie und Prophylaxe von Thromboembolien zugelassen ist (a-t 2002; 33: 36-
7).
In die OASIS*-5-Studie werden 20.078 Patienten mit akutem Koronarsyndrom ohne ST-Hebung aufgenommen. Zwei von drei Kriterien, die auf ein
erhöhtes Infarktrisiko hinweisen, müssen erfüllt sein: Alter über 60 Jahre, Troponin positiv oder ST-Veränderungen.7,8 Patienten
mit schwerer Nierenfunktionsstörung sind ausgeschlossen. Die Teilnehmer erhalten bis zu acht Tage lang einmal täglich 2,5 mg Fondaparinux oder zwei
bis acht Tage lang Enoxaparin in einer Dosis von zweimal täglich 1 mg pro kg Körpergewicht. Prüfhypothese ist, dass unter Fondaparinux
Todesfälle, Infarkte oder refraktäre Ischämien (primärer kombinierter Endpunkt) nicht häufiger und schwere Blutungen seltener sind als
unter Enoxaparin. Interventionelle Therapien (PCI oder Bypass) können entsprechend individueller Indikation oder der Praxis in den Zentren jederzeit erfolgen.
Die Patienten sind im Mittel 67 Jahre alt und haben mehrheitlich eine bekannte koronare Herzkrankheit. Etwa jeder dritte wird innerhalb der ersten neun Tage
interventionell behandelt. 98% nehmen Azetylsalizylsäure (ASS; ASPIRIN u.a.) ein, lediglich 67% Clopidogrel (ISCOVER, PLAVIX), und knapp 50% erhalten
einen Glykoproteinblocker. Beide Prüfpräparate werden im Mittel sechs Tage lang gegeben.8
Der primäre Endpunkt tritt innerhalb der ersten neun Tage unter Fondaparinux nicht häufiger auf als unter Enoxaparin (5,8% vs. 5,7%; Hazard ratio [HR]
1,01; 95% Vertrauensbereich [CI] 0,90-1,13; p = 0,007 für Nichtunterlegenheit). Nach 30 Tagen zeigt sich ein numerischer Vorteil von Fondaparinux (8,0% vs.
8,6%), der nach sechs Monaten noch etwas deutlicher wird (12,3% vs. 13,2%). Todesfälle sind nach 30 Tagen nominell signifikant (2,9% vs. 3,5%) und nach
sechs Monaten in der Tendenz seltener (5,8% vs. 6,5%). Auch schwere Blutungen treten unter Fondaparinux nach 30 Tagen (2,2% vs. 4,1%) und nach sechs
Monaten (3,1% vs. 5,0%) signifikant und relevant seltener auf als unter Enoxaparin. Die verringerte Sterblichkeit unter Fondaparinux erklärt sich vornehmlich
durch die selteneren Blutungen. Die Art der Blutungen wird jedoch nur unzureichend dargestellt und über andere Schadwirkungen, beispielsweise
Thrombozytopenien, gar nicht berichtet.8
Innerhalb der ersten neun Tage wirkt Fondaparinux auch in den prädefinierten Subgruppen (Alter, Geschlecht, Nierenfunktion, Angiografie, Revaskularisation)
ähnlich wie Enoxaparin. Schwere Blutungen sind dagegen in allen Subgruppen seltener, insbesondere auch bei Patienten mit PCI (2,3% vs. 5,1%; HR 0,45;
95% CI 0,34-0,59). Im Rahmen von perkutanen Interventionen kommt es aber unter Fondaparinux zahlenmäßig häufiger zu schweren
thrombotischen Komplikationen (9,5% vs. 8,6%).8
An der auf Überlegenheit angelegten und komplex aufgebauten OASIS-6-Studie nehmen 12.092 Patienten mit ST-Hebungsinfarkt teil, der
nicht älter als zwölf Stunden sein darf.9 Auch hier sind schwere Nierenfunktionsstörungen Ausschlusskriterium. Die Patienten erhalten
neben der Standardbehandlung ("usual care") entweder sieben bis acht Tage lang einmal täglich 2,5 mg Fondaparinux oder Plazebo, falls keine
Indikation für unfraktioniertes Heparin in therapeutischer Dosis vorliegt. Besteht diese Indikation, beispielsweise wegen Verwendung fibrinspezifischer
Thrombolytika, PCI oder erhöhtem Embolierisiko, wird es in der Kontrollgruppe über 24 bis 48 Stunden verabreicht, in der Fondaparinux-Gruppe aber
stattdessen Plazebo gegeben. Die Patienten sind im Mittel 62 Jahre alt und werden knapp fünf Stunden nach Symptombeginn in die Studie aufgenommen. Zur
Therapie des Infarktes erhalten 45% ein Thrombolytikum, davon 73% Streptokinase, und 29% eine PCI. 97% werden mit ASS, 58% mit Clopidogrel und 16% mit
Glykoproteinblockern behandelt.
Nach neun Tagen ist die Rate an Todesfällen oder Reinfarkten unter Fondaparinux signifikant geringer (7,4% vs. 8,9%). Der Vorteil für Fondaparinux bleibt
nach 30 Tagen (primärer Endpunkt; 9,7% vs. 11,2%; HR 0,86; 95% CI 0,77-0,96) und nach drei bis sechs Monaten (13,4% vs. 14,8%) erhalten. Auch die
sekundär ausgewertete Mortalität ist nach neun (6,1% vs. 7,0%) und 30 Tagen (7,8% vs. 8,9%) nominell signifikant geringer, ausschließlich durch
Reduktion kardialer Todesfälle. Wichtigstes Ergebnis von prädefinierten Subgruppenanalysen ist die numerisch höhere Rate an Todesfällen
oder Reinfarkten unter Fondaparinux bei Patienten, die mit einer PCI versorgt werden (6,0% vs. 4,9% nach 30 Tagen). Patienten ohne Reperfusionstherapie oder mit
Thrombolyse profitieren dagegen gleichermaßen (nach 30 Tagen 12,2% vs. 15,1% bzw. 10,9% vs. 13,6%). Die Art des Thrombolytikums soll dabei keine Rolle
spielen; konkrete Daten werden hierzu allerdings nicht geliefert. Auffällig ist, dass sich Fondaparinux bei Patienten mit Indikation für unfraktioniertes
Heparin, aber ohne vorgesehene PCI, in den ersten drei Tagen nicht von Heparin unterscheidet (primärer Endpunkt 5,8% vs. 6,2%; HR 0,94; 95% CI 0,69-
1,28). Dieser Befund lässt Spekulationen zu, dass der später erkennbare Vorteil gegenüber unfraktioniertem Heparin nicht auf Stoffeigenschaften,
sondern auf der längeren Anwendung von Fondaparinux beruht.10
Im Gesamtkollektiv sind schwere (1,0% vs. 1,3%) und tödliche (0,6% vs. 0,8%) Blutungen unter Fondaparinux tendenziell seltener als in der Kontrollgruppe. Eine
detaillierte Auflistung der Blutungskomplikationen und anderer Störwirkungen fehlt allerdings. Bei Patienten mit PCI sind unter Fondaparinux schwere Blutungen
zahlenmäßig (0,7% vs. 0,3%) und koronare Komplikationen im Rahmen der PCI signifikant häufiger (14,3% vs. 11,8%). Diese überwiegend
thrombotischen Komplikationen werden auf den Verzicht auf unfraktioniertes Heparin vor der PCI in der Fondaparinux-Gruppe zurückgeführt.
Das Pentasaccharid Fondaparinux (ARIXTRA) verhindert in der OASIS-5-Studie bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom ohne ST-Hebung, aber
erhöhtem Infarktrisiko Infarkte und refraktäre Ischämien ähnlich häufig wie das fraktionierte Heparin Enoxaparin (CLEXANE).
Schwere Blutungskomplikationen sind unter Fondaparinux signifikant und
relevant seltener. Als Folge scheint mittelfristig auch die Mortalität geringer zu sein als unter Enoxaparin.
Die Ergebnisse sind über verschiedene Subgruppen homogen. Auch
Patienten mit perkutanen Interventionen profitieren.
Damit könnte Fondaparinux neben unfraktionierten und fraktionierten
Heparinen ein Standardmittel bei akutem Koronarsyndrom ohne ST-Hebung werden.
Beim ST-Hebungsinfarkt scheint Fondaparinux Todesfälle und
Reinfarkte bei Patienten zu verhindern, die üblicherweise kein therapeutisches Heparin bekommen, z.B. bei Thrombolyse mit Streptokinase (STREPTASE),
oder wenn es anstelle unfraktionierter Heparine gegeben wird, z.B. bei Thrombolyse mit Alteplase (ACTILYSE).
Auch die Mortalität scheint mittelfristig und relevant abzunehmen, ohne
dass vermehrt Blutungen auftreten.
Ob die Vorteile für Fondaparinux gegenüber unfraktionierten
Heparinen nur durch die längere Behandlungsdauer bedingt sind, bleibt offen.
Ergebnisse laufender Studien werden den Stellenwert von Fondaparinux bei
ST-Hebungsinfarkt weiter klären müssen.
Bei primärer interventioneller Therapie des ST-Hebungsinfarktes wirkt
sich Fondaparinux ungünstig aus und sollte vermieden werden.
Patienten mit schweren Nierenfunktionsstörungen waren von den
beiden OASIS-Studien ausgeschlossen.
| | (R = randomisierte Studie, M =
Metaanalyse)
|
M | 1 | EIKELBOOM, J.W. et al.: Lancet 2000; 355:1936-42 |
M | 2 | PETERSEN, J.I. et al.:
JAMA 2004; 292: 89-96 |
| 3 | ANTMAN, E.M. et al.: J. Am. Coll. Cardiol.
2004; 44: 671-719 |
M | 4 | EIKELBOOM, J.W. et al.: Circulation 2005; 112; 3855-67 |
R | 5 | The CREATE Trial Group
Investigators: JAMA 2005; 293: 427-36 |
R | 6 | ANTMAN,
E.M. et al.: N. Engl. J. Med. 2006; 354: 1477-88 |
R | 7 | MICHELANGELO OASIS
5 Steering Committee: Am. Heart J. 2005; 150: 1107-14 |
R | 8 | The Fifth
Organization to Assess Strategies in Acute Ischemic Syndromes Investigators: N. Engl. J. Med. 2006; 354: 1464-76 |
R | 9 | The OASIS-6 Trial Group:
JAMA 2006; 295: 1519-30 |
| 10 | CALIFF, R.M.: JAMA; 295: 1579-
80
|
* |
OASIS = Organization to Assess Strategies in Acute Ischemic Syndromes |
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