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Korrespondenz

PSYCHOSE BEI MORBUS PARKINSON

Patienten mit Morbus PARKINSON sind in der Hausarztpraxis nicht selten und stellen uns immer wieder vor therapeutische Probleme. Können Sie eine Empfehlung geben, mit welchem Neuroleptikum man einen Patienten behandeln sollte, wenn es im Verlauf der Parkinson-Erkrankung zu einer Psychose kommt?

Dr. med. A. LIESENFELD (Facharzt für Allgemeinmedizin)
D-35287 Amöneburg
Interessenkonflikt: keiner

Halluzinationen, Wahn oder Psychose sind bedeutsame dosislimitierende Komplikationen im Rahmen der Arzneimitteltherapie des Morbus PARKINSON. Standardisierte diagnostische Kriterien für Psychosen bei M. PARKINSON fehlen aber bislang. In vielen Studien und auch nach aktuellem Vorschlag einer US-amerikanischen Arbeitsgruppe genügen bereits Halluzinationen für die Diagnosestellung.1 Vor allem optische Halluzinationen sind häufig. Ungefähr jeder Zehnte mit PARKINSON-Erkrankung ist nach einer Querschnittsstudie bei erhaltener Einsicht von nicht beängstigenden Sinnestäuschungen betroffen. Mögliche Ursachen sollten abgeklärt, die medikamentöse Therapie überprüft und gegebenenfalls reduziert werden. Neuroleptika sind hier meist nicht erforderlich.2-4

Schwere psychotische Symptomatik umfasst typischerweise zusätzliche Wahnvorstellungen bei fehlender Einsicht. Deren Prävalenz beträgt nach Querschnittsdaten etwa 6%.4 Als wichtigster Auslöser gilt die medikamentöse PARKINSON-Therapie,2-4 Demenz als einer der Risikofaktoren. Die medikamenteninduzierte Psychose ist bei Patienten mit M. PARKINSON häufigster Grund für die Einweisung in ein Pflegeheim, außerdem ist eine Zunahme der Mortalität beschrieben.2,5,6

Bei den meist älteren Patienten mit behandlungsbedürftiger Psychose sollten nach einer europäischen Leitlinie zur Therapie des M. PARKINSON7 zunächst potenziell auslösende Faktoren wie metabolische Probleme oder Infekte ausgeschlossen werden. Nach Absetzen anticholinerger PARKINSON-Mittel oder Antidepressiva empfiehlt es sich, die Medikation nötigenfalls bis auf Levodopa zu reduzieren. Versuche, die Levodopadosis zu verringern, sollten zuletzt erfolgen.7

Wenn diese Maßnahmen versagen und eine antipsychotische Therapie erforderlich wird, kommen wegen der Gefahr einer verschlechterten Motorik nur Neuroleptika in Frage, die möglichst wenig extrapyramidalmotorische Störwirkungen auslösen. Sämtliche Studien hierzu sind klein.

Die beste Evidenz besteht für das auch in Leitlinien vorrangig empfohlene "atypische" Neuroleptikum Clozapin (LEPONEX, Generika).7,8 Sie basiert vor allem auf zwei randomisierten plazebokontrollierten Doppelblindstudien9-11 und mehreren randomisierten Vergleichen12-15 mit anderen "atypischen" Neuroleptika. Niedrigdosiertes Clozapin, anfangs 6,25 mg und auf maximal 50 mg pro Tag erhöht, verbessert gegenüber Scheinmedikament den klinischen Gesamteindruck und verringert die Positivsymptomatik, während sich motorische Funktion und - trotz anticholinerger Eigenschaften von Clozapin - auch die Kognition nicht verschlechtern.9,11 Tremor9,12 und Dyskinesien12 nehmen unter Clozapin in einigen Studien sogar ab.

In einer offenen dreimonatigen Nachbeobachtung einer der plazebokontrollierten Studien fällt unter Clozapin eine hohe Hospitalisierungs- und Mortalitätsrate auf, die möglicherweise durch die Grunderkrankung bedingt ist. Sie könnte aber auch - ähnlich wie bei Patienten mit Demenz (a-t 2005; 36: 51-2; 2008; 39: 80) - im Zusammenhang mit der antipsychotischen Therapie stehen.5 Absetzen führt bei drei von vier Clozapinanwendern innerhalb eines Monats zum Rückfall in die Psychose.11 Somnolenz, Gewichtszunahme, vereinzelt auch verschlechterte Motorik und delirante Zustandsbilder sowie Leuko- und Neutropenie sind beschrieben.2,9-11 Das hohe Agranulozytoserisiko unter Clozapin und die erforderlichen Blutbildkontrollen schränken dessen Anwendbarkeit ein.16

In der Praxis wird in dieser Indikation daher gerne auf das "atypische" Neuroleptikum Quetiapin (SEROQUEL) ausgewichen. Entsprechende Empfehlungen7,8 beruhen neben mehreren nicht randomisierten Untersuchungen auf einer randomisierten, aber offenen Vergleichsstudie12 mit Clozapin. In beiden Gruppen verbessert sich die Psychopathologie, ohne dass sich die Motorik verschlechtert. Gleichwertigkeit kann aus der auf Überlegenheit angelegten Studie jedoch nicht abgeleitet werden. Bei drei von 20 Patienten, die mehr als 100 mg Quetiapin einnehmen, fällt zudem ein negativer Effekt auf die PARKINSON-Symptomatik auf.12 In einer neueren von AstraZeneca gesponserten, ebenfalls offenen Vergleichsstudie mit Clozapin13 verbessert sich zwar der klinische Gesamteindruck in beiden Behandlungsgruppen. Halluzinationen werden jedoch nur unter Clozapin signifikant verringert.13 Nach zwei weiteren vom Hersteller gesponserten randomisierten Doppelblindstudien wirkt Quetiapin nicht besser als Scheinmedikament: Halluzinationen bzw. Psychosen werden in Dosierungen um 200 mg nicht verringert.6,17 Mit Somnolenz muss auch unter Quetiapin gerechnet werden.6,17

Andere "atypische" Neuroleptika sollten in dieser Indikation nicht eingenommen werden: In drei von Eli Lilly gesponserten randomisierten, doppelblinden Studien verschlechtert das "atypische" Neuroleptikum Olanzapin (ZYPREXA, Generika) signifikant die Motorik, hat aber keinen günstigen Einfluss auf Halluzinationen bzw. Positivsymptomatik.18,19 Auch Risperidon (RISPERDAL, Generika), zu dem nur nicht randomisierte Untersuchungen und eine randomisierte Kleinststudie mit zehn Patienten publiziert sind,15 verstärkt die PARKINSON-Symptomatik und ist daher nicht geeignet.7

Zu Ziprasidon (ZELDOX) und Aripiprazol (ABILIFY) ebenso wie für die in narrativen Übersichten empfohlenen Cholinesterasehemmer finden wir keine randomisierten Studien. Bei fehlendem Wirksamkeitsnachweis sind für Ziprasidon aber bereits schwerwiegende off-Perioden und pathologisches Lachen, für Aripiprazol komplette Akinesie ohne verringerte psychotische Symptomatik und für Cholinesterasehemmer insbesondere verstärkter Tremor berichtet worden.7,20,21

Bei Patienten mit Morbus PARKINSON und Psychose sollte zunächst die PARKINSON-Medikation schrittweise verringert werden. Wenn dies keine Besserung bringt oder nicht toleriert wird, ist nach Daten aus kleinen randomisierten Studien das "atypische" Neuroleptikum Clozapin (LEPONEX, Generika) wirksam. In Tagesdosierungen bis 50 mg verschlechtert es die Motorik nicht wesentlich. Das Agranulozytoserisiko macht Blutbildkontrollen erforderlich.

Das alternativ in der Praxis häufig verwendete Quetiapin (SEROQUEL) scheint niedrig dosiert (bis 200 mg/Tag) die Motorik ebenfalls nicht wesentlich zu beeinträchtigen, wirkt aber nach zwei neueren randomisierten Studien nicht besser als Scheinmedikament.

Für andere "Atypika" fehlen Wirksamkeitsnachweise. Zudem verschlechtern sie nach bisherigen Daten die PARKINSON-Symptomatik. Dies ist auch für Cholinesterasehemmer zu befürchten, für die valide Wirksamkeitsdaten ebenfalls fehlen.

  (R = randomisierte Studie, M = Metaanalyse)
 1RAVINA, B. et al.: Mov. Disord. 2007; 22: 1061-8
 2GROSSMANN, J., PIRKER, W.: J. Neurol. Neurochir. Psychiatr. 2004; 5: 42-8
 3LERTXUNDI, U. et al.: Am. Health-Syst. Pharm. 2008; 65: 414-9
 4AARSLAND, D. et al.: Arch. Neurol. 1999; 56: 595-601
 5FACTOR, S.A. et al.: Mov. Disord. 2001; 16: 135-9
R6ONDO, W.G. et al.: Mov. Disord. 2005; 20: 958-63
 7HORSTINK, M. et al.: Eur. J. Neurol. 2006; 13: 1186-1202
 8MIYASAKI, J.M. et al.: Neurology 2006; 66: 996-1002
R9The Parkinson Study Group: N. Engl. J. Med. 1999; 340: 757-63
R10The French Clozapine Parkinson Study Group: Lancet 1999; 353: 2041-2
R11POLLAK, P. et al.: J. Neurol. Neurosurg. Psychiatry 2004; 75: 689-95
R12MORGANTE, L. et al.: Clin. Neuropharmacol. 2004; 27: 153-6
R13MERIMS, D. et al.: Clin. Neuropharmacol. 2006; 29: 331-7
R14GOETZ, C.G. et al.: Neurology 2000; 55: 789-94
R15ELLIS, T. et al.: J. Neuropsychiatry Clin. Neurosci. 2000; 12: 364-9
M16FRIELING, H. et al.: Eur. Neuropsychopharmacol. 2007; 17: 165-71
R17RABEY, J.M. et al.: Mov. Disord. 2007; 22: 313-8
R18ONDO, W.G. et al.: Mov. Disord. 2002; 17: 1031-5
R19BREIER, A. et al.: Biol. Psychiatry 2002; 52: 438-45
 20SCHINDEHÜTTE J., TRENKWALDER, C.: Clin. Neurol. Neurosurg. 2007; 109: 188-91
 21SCHÖNFELDT-LECUONA, C., CONNEMANN, B.: Am. J. Psychiatry 2004; 161: 373-4

© 2008 arznei-telegramm, publiziert am 2. Oktober 2008

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