FRÜHERKENNUNG VON KRANKHEITEN MIT DIAPAT-TEST SINNVOLL?
Von einem Patienten wird die Durchführung des so genannten DiaPat-Tests gewünscht. Ich bitte um Informationen zu dem Test. Ist die Durchführung sinnvoll?
Dr. med. C. KALB (Facharzt für Allgemeinmedizin)
D-85653 Aying
Interessenkonflikt: keiner
Die Firma DiaPat bietet ein Testsystem an zur Früherkennung von Blasen- und Prostatakrebs, Nierenerkrankungen und Nierenfunktionsverlust bei Diabetikern sowie Herz-Kreislauf-Erkrankungen aus Urinproben ("DiaPat-Health-Check").1 Grundlage der Diagnostik ist eine so genannte Proteomanalyse. Dabei werden zahlreiche Peptide und Proteine im Urin bestimmt, deren Zusammensetzung je nach Gesundheitszustand variieren soll. Sie werden kapillarelektrophoretisch aufgetrennt und anschließend massenspektrometrisch analysiert. Durch Abgleich der Urinproben mit Protein-"Mustern", die im Urin von erkrankten Patienten bestimmt wurden, wird mittels einer Software eine diagnostische Vorhersage errechnet. Glaubt man den Werbeparolen auf der Webseite des Anbieters, sind die Tests des DiaPat-Health-Check "zuverlässig" ("Sensitivität je nach Indikation mindestens 90%") und "risikolos" ("ohne Nebenwirkungen").1 Wir haben ihre diagnostische Wertigkeit anhand der von der Firma als Belege zitierten, vollständig veröffentlichten Studien überprüft.
Um belastbare Aussagen zur Testgüte zu erhalten, müssen neue diagnostische Verfahren im prospektiven verblindeten Vergleich mit dem bisherigen diagnostischen Goldstandard evaluiert werden. Dabei kann, wenn z.B. ein invasiver Goldstandard nicht oder nicht bei allen Patienten angewendet werden kann, auch der Vergleich mit einer Verlaufskontrolle herangezogen werden. Die Testeigenschaften müssen zudem in einer für die spätere klinische Anwendung repräsentativen Patientengruppe ermittelt werden. Die Treffsicherheit wird überschätzt, wenn ein Test ausschließlich an Patienten, bei denen die gesuchte Erkrankung bereits bekannt ist, im Vergleich mit gesunden Probanden evaluiert wird.2 Zugespitzt formuliert: Zwischen schwerkranken Patienten und gesunden Probanden kann praktisch jeder diagnostische Test unterscheiden.3,4 Entscheidend für seine Brauchbarkeit in der klinischen Praxis ist aber, wie gut er bei Patienten mit Verdacht auf die gesuchte Erkrankung bzw. - im Fall eines Screeningtests - bei Menschen ohne Symptome (von denen einige - im Fall des Screenings die meisten - gesund sind, andere leicht erkrankt sein können und wieder andere an einer anderen Krankheit leiden) zwischen tatsächlich Erkrankten und nicht Erkrankten unterscheiden kann. Da sich Screeningtests an gesunde Menschen richten, die keine ärztliche Hilfe benötigen, und jeder durch die Früherkennung angerichtete Schaden somit iatrogen ist,5 werden an diese Maßnahmen neben der Zuverlässigkeit des Tests weitere international akzeptierte Forderungen gestellt. So wird für Screeningprogramme insbesondere gefordert, dass in randomisierten kontrollierten Studien ein günstiger Effekt des Screenings auf Morbidität oder Mortalität nachgewiesen ist.6 Diese Forderung ist für keinen der Tests des DiaPat-Health-Check erfüllt. Zu den potenziellen Schäden der Früherkennung von Krankheiten zählen andererseits nicht nur die durch die Untersuchung unmittelbar hervorgerufenen Verletzungen, sondern auch die Folgen falscher Befunde und Überdiagnosen einschließlich der psychischen Belastungen und überflüssiger körperlicher Eingriffe (a-t 2006; 37: 115-7 und 2008; 39: 29-38). Früherkennungstests sind daher grundsätzlich nicht "risikolos". Wer etwas anderes behauptet, weiß nicht, wovon er spricht oder will desinformieren.
Der DiaPat-Test auf Prostatakarzinom ist dem Anbieter zufolge "eine sinnvolle Folgeuntersuchung nach Bestimmung des PSA-Wertes". Mit seiner Hilfe sollen sich die unnötigen bioptischen Eingriffe vermeiden lassen, die sich aus der hohen Rate falschpositiver PSA-Tests ergeben. Die Sensitivität* des DiaPat-Tests gibt die Firma mit 90% an.1 Die Testgüte wird prospektiv und verblindet in einer Gruppe von 213 Männern überprüft, bei denen aufgrund eines erhöhten PSA-Wertes oder eines auffälligen Tastbefundes eine Prostatabiopsie durchgeführt werden soll. Der Test schneidet in dieser Überprüfung mit einer Sensitivität von 73% und Spezifität* von 60% jedoch außerordentlich schlecht ab. Erst durch nachträgliche Adjustierungen, bei denen unter anderem ein prospektiv festgelegter Schwellenwert** zur Unterscheidung zwischen krank und nicht krank verschoben wird und Daten wie Alter und ein bestimmter PSA-Wert*** in die Analyse mit einbezogen werden, heben die Autoren die Sensitivität auf 91% und die Spezifität auf 69% an.7 Eine prospektive Validierung der Testeigenschaften mit dem verschobenen Schwellenwert und den zusätzlichen Variablen an einer unabhängigen Patientengruppe fehlt. Adjustiert wird auch für die bekanntermaßen mangelhafte Sensitivität der Referenzuntersuchung (Biopsie).7 Statt einer solchen Adjustierung, die ohne Aussagekraft bleibt, hätte von vornherein die Verlaufsbeobachtung mit ggf. wiederholter Biopsie als Referenz herangezogen werden müssen.
Die Sensitivität der Proteomtests zur Früherkennung von kardiovaskulären Erkrankungen, Blasenkrebs, diabetischer Nephropathie und chronischen (nichtdiabetischen) Nierenerkrankungen gibt der Anbieter mit über 90% bis 100% an, die Spezifität mit 80% bis über 90%.1 Die Testeigenschaften werden in den als Belege angeführten, vollständig veröffentlichten Studien8-12 mit einer Ausnahme**** lediglich an Patienten überprüft, deren Diagnosen bekannt sind. Auch in die für die unabhängige***** Validierung gebildeten kleinen Kollektive werden nur ausgewählte Probanden mit bekannter Diagnose aufgenommen, und zwar mehrheitlich solche, deren Gesundheitszustand jeweils an den Extremen der diagnostischen Skala ("gesund - krank") anzusiedeln ist:8-11 So wird beispielsweise der DiaPat-Test auf kardiovaskuläre Erkrankungen an 47 Patienten nach koronarer Bypass-Operation oder akutem Koronarsyndrom und 12 gesunden Probanden verblindet validiert.9 Der Test auf Blasenkrebs wird neben einer verblindeten Validierung an 31 Patienten mit radikal operiertem Blasenkrebs und 11 Gesunden an einer Gruppe von Patienten "verblindet" überprüft, bei denen unterschiedliche Nierenerkrankungen bekannt sind, aber kein Blasenkrebs besteht.10 Die aus solchen Prüfungen abgeleiteten Testeigenschaften sagen nichts über seine Brauchbarkeit im klinischen Alltag aus.4 Dass die Tests von Praxistauglichkeit weit entfernt sind, räumt der Geschäftsführer der Firma DiaPat, H. MISCHAK, im wissenschaftlichen Rahmen selber ein. Nach einer Anfang des Jahres publizierten Übersicht, an der er mitgewirkt hat, ist die Proteomanalyse "still far from becoming a routine tool in the clinical setting".13
Diese Einschätzung hält ihn nicht davon ab, die Tests mit vollmundigen Versprechungen ("DiaPat erkennt frühzeitig den lebenserhaltenden Unterschied") teuer zu vermarkten: Sie werden als IGeL-Leistung verkauft. Patienten müssen für einen Einzeltest 443 € aufbringen. Die Firma Diapat verfolgt ihre kommerziellen Interessen aggressiv: Ihre Anwälte versuchten in zwei Instanzen vergeblich, gegen eine kritische Stellungnahme Bonner Urologen, die im Juli 2007 vor der Anwendung des DiaPat-Tests zur Diagnostik des Prostatakarzinoms warnten, eine einstweilige Verfügung zu erwirken.14
Für keinen der im Rahmen des DiaPat-Health-Checks angebotenen Screeningtests mittels Proteomanalyse im Urin liegen nachprüfbare valide Daten vor, die die von der Firma behaupteten Testeigenschaften zur Früherkennung von Krankheiten belegen.
Die klinischen Konsequenzen des Screenings einschließlich der Folgediagnostik oder -therapie sind nicht geprüft, geschweige denn, dass ein klinischer Nutzen, wie er für Screeningmaßnahmen gefordert wird, belegt ist.
Wir raten dringend von der Durchführung der kostspieligen Tests ab.
1 | http://www.diapat.de; Zugriff am 13./14. Okt. 2008 | |
2 | LIJMER, J.G. et al.: JAMA 1999; 282: 1061-6 | |
3 | BUCHER, H.C. in: KUNZ, R. et al. (Hrsg.): Lehrbuch Evidenz-basierte Medizin in Klinik und Praxis. 2. Aufl., Dt. Ärzteverlag GmbH, Köln 2007, Seite 121-31 | |
4 | JAESCHKE, R. et al.: JAMA 1994; 271: 389-91 | |
5 | GRIMES, D.A., SCHULZ, K.: Lancet 2002; 359: 881-4 | |
6 | UK National Screening Committee: Criteria for appraising the viability, effectiveness and appropriateness of a screening programme; 24. März 2003 http://www.nsc.nhs.uk/pdfs/criteria.pdf | |
7 | THEODORESCU, D. et al.: Proteomics Clin. Appl. 2008; 2: 556-70 | |
8 | ROSSING, K. et al.: J. Am. Soc. Nephrol. 2008; 19: 1283-90 | |
9 | ZIMMERLI, L.U. et al.: Mol. Cell Proteomics 2008; 7: 290-8 | |
10 | THEODORESCU, D. et al.: Lancet Oncology 2006; 7: 230-40 | |
11 | JULIAN, B.A. et al.: Electrophoresis 2007; 28: 4469-83 | |
12 | HAUBITZ, M. et al.: Kidney Int. 2005; 67: 2313-20 | |
13 | SCHIFFER, E. et al.: World J. Urol. 2008; 26: 67-74 | |
14 | Informationsdienst Wissenschaft: Pressemitteilung vom 21. Jan. 2008: Umstrittene Urintests: Bonner Urologen dürfen kritisch bleiben; zu finden unter: http://idw-online.de | |
* | Sensitivität = Anteil der richtig Erkannten an allen Erkrankten. Spezifität = Anteil der richtig Erkannten an allen Nichterkrankten. | |
** | Wird mit einer speziellen Software aus den Polypeptidmustern errechnet | |
*** | Der Anteil des freien am Gesamt-PSA | |
**** | Bei der Ausnahme handelt es sich um eine Überprüfung des Tests auf diabetische Nephropathie durch eine dreijährige Verlaufskontrolle von 30 Patienten mit Typ-1-Diabetes und Mikroalbuminurie. Die Studie, die nur als Kurzreferat publiziert ist, bleibt wegen grober Mängel - so fehlen wesentliche Angaben zur Methodik und Durchführung sowie zur Vollständigkeit des Follow up - ohne Aussagekraft. An den aus der Untersuchung resultierenden Testeigenschaften sind die Autoren offensichtlich gar nicht interessiert. Sie werden nicht mitgeteilt.8 | |
***** | Unabhängig von der Patientengruppe, in der das als Referenz verwendete Proteom-"Muster" ursprünglich bestimmt wurde. |
© 2008 arznei-telegramm, publiziert am 7. November 2008
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