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                            a-t 2008; 39: 119-21nächster Artikel
Im Blickpunkt

KEINE AUSWEITUNG DER STATININDIKATION: JUPITER-STUDIE MIT ROSUVASTATIN

"Cholesterinsenker für alle?" und "Revolution bei der Vorbeugung von Herzinfarkt?" titeln Tageszeitungen.1,2 Der umstrittene Astra-CSE-Hemmer Rosuvastatin (z.B. Österreich: CRESTOR), der in Deutschland wegen Sicherheitsbedenken nicht zugelassen wurde (a-t 2003; 34: 32), sorgt mit der aktuell publizierten JUPITER*-Studie3 auch hierzulande für Schlagzeilen. Diese bislang größte Primärpräventionsstudie zu einem Statin mit knapp 18.000 Teilnehmern prüft den klinischen Nutzen des CSE-Hemmers bei Menschen im mittleren bis höheren Lebensalter, die weder kardiovaskuläre Erkrankungen in der Vorgeschichte haben noch auch nur erhöhte Cholesterinwerte.

* JUPITER = Justification for the Use of Statins in Prevention: an Intervention Trial Evaluating Rosuvastatin

Die an der Studie teilnehmenden Männer mussten mindestens 50 Jahre, die Frauen mindestens 60 Jahre alt sein. Das initial gemessene LDL durfte 130 mg/dl nicht überschreiten. Als weiteres Einschlusskriterium wird ein im Rahmen kardiovaskulärer Erkrankungen bislang wenig etablierter Parameter verwendet: das C-reaktive Protein (CRP), das mindestens 2,0 mg/l betragen musste. Anstieg des C-reaktiven Proteins soll auf ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko hinweisen. Diese Bedeutung des Entzündungsparameters ist aber nicht unumstritten (siehe Kasten, Seite 120). Ausschlussgründe sind umfangreich, darunter Diabetes sowie Leber- und Nierenfunktionsstörungen. Es werden zudem nur Patienten aufgenommen, die sich in einer vierwöchigen Run-in-Phase als compliant erwiesen haben.3 Nur ein Fünftel der knapp 90.000 gescreenten Probanden nimmt schließlich teil.

Die Mehrzahl der Teilnehmer ist übergewichtig. Bei mehr als der Hälfte besteht ein Bluthochdruck, bei 12% eine vorzeitige koronare Herzkrankheit in der Familienanamnese. Die Patienten nehmen nach randomisierter Zuteilung täglich 20 mg Rosuvastatin oder Plazebo ein. Das mediane LDL sinkt im Verumarm nach zwölf Monaten von eingangs 108 mg/dl auf 55 mg/dl. Nach nur 1,9 Jahren im Median wird die Studie wegen deutlicher Vorteile unter Rosuvastatin vorzeitig gestoppt. Ein Ereignis des primären Endpunkts (Herzinfarkt, Schlaganfall, arterielle Revaskularisierung, Krankenhauseinweisung wegen instabiler Angina pectoris oder kardiovaskulär bedingter Tod) haben zu diesem Zeitpunkt in der Verumgruppe 142 Patienten erlitten, unter Plazebo 251 (pro Jahr 0,77% vs. 1,36%; Hazard Ratio [HR] 0,56; 95% Konfidenzintervall [CI] 0,46-0,69; Number Needed to Treat [NNT] = 170). Auch das Herzinfarkt- (jährlich 0,17% vs. 0,37%; NNT = 500) und das Schlaganfallrisiko (jährlich 0,18% vs. 0,34%; NNT = 625) werden hoch signifikant gesenkt. Nominell signifikant nimmt auch die Gesamtsterblichkeit ab (2,2% vs. 2,8%; p = 0,02).3

C-REAKTIVES PROTEIN UND KARDIOVASKULÄRE ERKRANKUNGEN

Das C-reaktive Protein (CRP) gehört zu den so genannten Akute-Phase-Proteinen, deren Serumkonzentrationen im Rahmen entzündlicher Erkrankungen ansteigen. Dem CRP wird eine Rolle bei der Infektabwehr sowie bei der Beseitigung geschädigter Körperzellen zugeschrieben. Nahezu jede Form der Gewebsschädigung, Infektion oder Entzündung, aber auch vielfältige andere "Stress"-Umstände führen zu einer Erhöhung der CRP-Spiegel.1

Werte über 10 mg/l bei Erwachsenen weisen auf klinisch relevante entzündliche Zustände hin. Werte darunter galten traditionell als normal. Inzwischen werden bereits Konzentrationen über 3 mg/l oder sogar über 2 mg/l als Hinweis auf ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko gewertet.2,3 Nach einer Metaanalyse größerer Beobachtungsstudien besteht ein mäßiger Zusammenhang (Odds ratio [OR] 1,49; 95% Konfidenzintervall [CI] 1,37-1,62).4 Bislang ist aber unklar, ob CRP ein (kausaler) Risikofaktor oder lediglich ein Marker ist. Da eine Erhöhung des CRP mit Anstieg einer Vielzahl etablierter kardiovaskulärer Risikofaktoren oder Marker vergesellschaftet ist, ist zudem offen, ob es wirklich von diesen unabhängig ist. Die Vielzahl möglicher Ursachen für einen CRP-Anstieg verbieten zudem eine Interpretation ohne vollständige klinische Abklärung.1 Wir sehen beim derzeitigen Kenntnisstand keine Indikation für ein Screening auf das kardiovaskuläre Risiko mittels CRP.

Das so genannte hochsensitive CRP, das in der JUPITER-Studie bestimmt wird, ist nichts anderes als CRP. Es bezeichnet die empfindlicheren immunologischen Tests, mit denen sich CRP auch bei geringen Konzentrationen noch quantifizieren lässt.1 Das Einschlusskriterium eines CRP-Spiegels von 2 mg/l oder höher in der JUPITER-Studie würden nach einer epidemiologischen Untersuchung mit knapp 9.000 Teilnehmern mehr als die Hälfte aller über 20-jährigen Amerikaner erfüllen.5

  (M = Metaanalyse)
 1CASAS, J.P. et al.: J. Intern. Med. 2008; 264: 295-314
 2PEARSON, T.A. et al.: Circulation 2003; 107: 499-511
 3KUSHNER, I. et al.: Am. J. Med. 2006; 119: 166.e17-28
M4DANESH, J. et al.: N. Engl. J. Med. 2004; 350: 1387-97
 5WOLOSHIN, S., SCHWARTZ, L.M. : N. Engl. J. Med. 2005; 352: 1611-3

Insgesamt 25% der Teilnehmer setzen die Studienmedikation vorzeitig ab. Die Häufigkeit schwerwiegender unerwünschter Ereignisse unterscheidet sich nicht (15,2% vs. 15,5%). Einzelheiten werden jedoch nicht berichtet. Im Hinblick auf Muskelbeschwerden oder Myopathien ergibt sich kein signifikanter Unterschied. Im Verumarm wird eine Rhabdomyolyse beobachtet, allerdings erst nach Studienschluss, wobei unklar bleibt, ob das Mittel weiter eingenommen wurde. Nierenerkrankungen werden nur summarisch aufgeführt, bei einem Trend zu häufigeren Komplikationen unter Rosuvastatin (6,0% vs. 5,4%). Auffällig ist eine nominell signifikant geringere krebsbedingte Sterblichkeit unter Rosuvastatin (0,4% vs. 0,7%). Es fällt außerdem eine signifikant höhere Zahl der durch die Studienärzte gemeldeten neu diagnostizierten Diabeteserkrankungen auf (3% vs. 2,4%).3

Die JUPITER-Studie wird nicht nur vom Rosuvastatin-Anbieter AstraZeneca gesponsert, auch der Erstautor hat einen handfesten Interessenkonflikt: Er ist Mitinhaber eines Patents für einen hochsensitiven CRP-Test.3

Die Studie bestätigt die Wirksamkeit eines Statins in der Primärprävention von Herzinfarkten und Schlaganfällen, allerdings an einer Studienpopulation, deren kardiovaskuläres Risiko noch niedriger ist als das der Patienten in bisherigen Studien wie zum Beispiel ASCOT-LLT4** (vgl. a-t 2004; 35: 56-60). Entsprechend gering sind die Ereignisraten und der Nutzen von Rosuvastatin in absoluten Zahlen. Das Ausmaß des Effekts erscheint uns mit jährlichen NNT von 500 bis 600 für die Vorbeugung eines Herzinfarkts bzw. Schlaganfalls klinisch nicht relevant. Der Nutzen könnte durch den vorzeitigen Stopp zudem noch überschätzt sein (a-t 2005; 36: 107-8).***

** ASCOT-LLT = Anglo-Scandinavian Cardiac Outcomes-Lipid Lowering Trial
*** Wenn die strengen Kriterien für Abbruch wegen Benefits erfüllt werden sollen, müssen die zum Zeitpunkt des Stopps beobachteten Effekte insbesondere bei niedrigen Ereignisraten im Vergleich zu dem, was üblicherweise zu erwarten ist, unplausibel groß sein. Es besteht die Gefahr, dass es sich dabei um eine zufällige Schwankung hin zu einem Höchsteffekt

Ergebnisse zur kardiovaskulären Sterblichkeit, die als sekundärer Endpunkt prädefiniert war, werden nicht mitgeteilt.3 Es drängt sich der Verdacht auf, dass die Daten vorenthalten werden, weil keine signifikante Differenz besteht. Ebenso fehlen die Daten zur nichtkardiovaskulären Mortalität,3 auch ein prädefinierter sekundärer Endpunkt.8 Es bleibt daher derzeit offen, worauf die Minderung der Gesamtsterblichkeit unter Rosuvastatin im Einzelnen beruht. Auffällig ist aber, dass knapp die Hälfte der Differenz durch verminderte Krebstodesfälle unter Verum zustande kommt,3 ein Nutzen, der bisher unter Statinen nicht beschrieben wird.9 Das Ergebnis zur Gesamtsterblichkeit, das zudem für multiples Testen nicht korrigiert ist, stufen wir daher am ehesten als zufallsbedingt ein.

Die Nutzen-Schaden-Bilanz einer langfristigen Einnahme von Rosuvastatin lässt sich nicht hinreichend beurteilen. Wegen des vorzeitigen Studienabbruchs bleiben die Folgen der Langzeitanwendung, unter der unerwünschte Wirkungen zunehmen könnten, offen. Zwar scheint - anders als nach Zulassungsstudien und Postmarketingüberwachung zu befürchten10 - die Rhabdomyolyserate zumindest unter der 20-mg-Dosis und den Studienbedingungen nicht häufiger zu sein als unter Standard-CSE-Hemmern. Rosuvastatin steht jedoch außerdem im Verdacht, nierentoxischer zu sein als andere Statine.10 Die summarischen Angaben zu schweren unerwünschten Ereignissen und zu Nierenerkrankungen in der JUPITER-Studie lassen eine Beurteilung des Störwirkungsprofils nicht zu und tragen nichts zur Beantwortung der wichtigen Frage bei, ob der CSE-Hemmer das Risiko schwerwiegender Nierenschäden erhöht.

Ein Detail, das den Glanz der JUPITER-Studie womöglich hätte trüben können, lassen die Autoren unter den Tisch fallen: Laut vorveröffentlichtem Protokoll8 sollte als sekundärer (Wirksamkeits-) Endpunkt die Frage geprüft werden, ob Rosuvastatin die Häufigkeit der Entwicklung eines Typ-2-Diabetes senkt (!). Diabetesdiagnosen müssten somit nach prospektiv festgelegten Kriterien systematisch erfasst worden sein. In der Publikation der Studie3 findet sich darüber kein Wort. Der faktisch beobachtete Anstieg der Diabetesdiagnosen unter dem CSE-Hemmer wird unter den unerwünschten Effekten besprochen und auf diese Weise der Eindruck erzeugt, als handele es sich um eine zufällige Entdeckung ohne besondere Aussagekraft.

Die aktuell publizierte JUPITER-Studie mit dem hierzulande nicht zugelassenen CSE-Hemmer Rosuvastatin (zum Beispiel Österreich: CRESTOR) bestätigt die Wirksamkeit eines Statins in der Primärprävention kardiovaskulärer Erkrankungen.

Bei dem vergleichsweise niedrigen kardiovaskulären Risiko der Studienteilnehmer ist auch der absolute Nutzen von Rosuvastatin sehr gering. Wir bewerten ihn als klinisch irrelevant. Er könnte wegen des vorzeitigen Studienabbruchs zudem überschätzt sein.

Ein lebensverlängernder Effekt von Rosuvastatin ist durch die Studie nicht hinreichend belegt. Die Nutzen-Schaden-Bilanz der langfristigen Einnahme bleibt wegen des vorzeitigen Studienabbruchs, aber auch wegen fehlender Daten unklar.

Eine Indikationsausweitung für die Statintherapie kann die JUPITER-Studie nicht begründen.

  (R = randomisierte Studie, M = Metaanalyse)
 1BERNDT, C.: Süddeutsche Zeitung vom 11. Nov. 2008
 2vom LEHN, B.: Die Welt vom 18. Nov. 2008
R3RIDKER, P.M. et al.: N. Engl. J. Med. 2008; 359: 2195-207
R4SEVER, P.S. et al.: Lancet 2003; 361: 1149-58
 5BASSLER, D. et al.: J. Clin. Epidemiol. 2008; 61: 241-6
 6MONTORI, V.M. et al.: JAMA 2005; 294: 2203-9
 7POCOCK, S.J.: JAMA 2005; 294: 2228-30
 8RIDKER, P.M. et al.: Circulation 2003; 108: 2292-7
M9DALE, K.M. et al.: JAMA 2006; 295: 74-80
 10WOLFE, S.M. (Public Citizen): Schreiben vom 10. März 2005 http://www.citizen.org/publications/release.cfm?ID=7370

© 2008 arznei-telegramm, publiziert am 1. Dezember 2008

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