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Korrespondenz

NAFTIDROFURYL (DUSODRIL, GENERIKA) BEI PAVK?

Ein Internist empfahl bei einer meiner Patientinnen Naftidrofuryl (DUSODRIL, Generika) bei peripherer arterieller Verschlusskrankheit (pAVK). Dabei verwies er auf die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Angiologie1... Dort wird der Wirkstoff tatsächlich bei symptomatischer pAVK empfohlen. Nach meinem bisherigen Kenntnisstand war der Nutzen eher unerheblich. Ihre Stellungnahme im arznei-telegramm stammt aus dem Jahr 2000 (a-t 2000; 31: 87), die Studien, die in der Leitlinie zitiert werden, sind von 2001. Was ist von der Empfehlung der Leitlinie zu halten?

Dr. med. J. SEFFRIN (Facharzt für Allgemeinmedizin)
D-64331 Weiterstadt
Interessenkonflikt: keiner

1 Deutsche Gesellschaft für Angiologie - Gesellschaft für Gefäßmedizin: Diagnostik und Therapie der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK). S3-Leitlinie, Stand Apr. 2009; zu finden über: http://leitlinien.net

Der seit den 1960er Jahren angebotene Vasodilatator Naftidrofuryl (DUSODRIL, Generika) ist bei peripherer arterieller Verschlusskrankheit (pAVK) im Stadium Fontaine II (Claudicatio intermittens) zugelassen, wenn andere Maßnahmen wie Gehtraining nicht durchführbar sind.1 Wegen der möglichen Gefahr eines Raubeffektes werden seit Langem Bedenken gegen Vasodilatatoren bei Patienten mit pAVK vorgebracht, deren Prognose wesentlich von koronaren und zerebrovaskulären Komplikationen bestimmt wird.2 Die intravenöse Zubereitung von Naftidrofuryl musste wegen tödlicher kardiovaskulärer Komplikationen vom Markt genommen werden (vgl. a-t 1995; Nr. 1: 8).

Die pAVK-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Angiologie empfiehlt den Vasodilatator bei einer Gehstrecke unter 200 m (Stadium Fontaine IIb) und erheblich eingeschränkter Lebensqualität.3 Sie beruft sich hinsichtlich des Nutzens auf ein Cochrane-Review zu Naftidrofuryl, nach dem sich die schmerzfreie Gehstrecke bei Ausgangswerten von im Mittel 140 m gegenüber Plazebo um 37% verlängert.4 Dieser unseres Erachtens klinisch kaum relevante Effekt beruht auf einer metaanalytischen Auswertung individueller Patientendaten aus sechs randomisierten Studien, die vom Hersteller Lipha-Merck zur Verfügung gestellt wurden. Keine der ausgewerteten Studien schließt nur solche Patienten ein, die kein Gehtraining durchführen können, wie es die europäische Arzneimittelbehörde fordert.5 (Korrektur 13.5.19) Die Begleittherapie in den überwiegend sehr alten Studien dürfte nicht den heutigen Standards entsprechen, die Thrombozytenaggregationshemmer und Statine vorsehen. Lediglich in zwei Studien gibt es Angaben dazu: In einer von zwei neueren Arbeiten war Einnahme von Thrombozytenaggregationshemmern gefordert,6 in einer von vier älteren Arbeiten waren sie ausdrücklich nicht erlaubt.7 Diese vier älteren Studien sind methodisch ausgesprochen mangelhaft, ohne verlässliche Angaben zur Randomisierung und ohne Intention-to-treat-Auswertung. Laut Cochrane-Review wurden in einigen dieser Untersuchungen Patienten sogar retrospektiv aufgrund von nachträglich definierten Kriterien von der Auswertung ausgeschlossen.4

Die von Lipha-Merck zur Verfügung gestellten Patientendaten sollen die Intention-to-treat-Population aller sechs Studien umfassen - insgesamt 1.083 Patienten. Eine transparente nachvollziehbare Darstellung des Studienablaufs, insbesondere der Frage, wie viele Patienten tatsächlich randomisiert wurden, wie viele wann und aus welchen Gründen ausgeschlossen wurden oder in der Nachbeobachtung verloren gingen, fehlt in dem Review jedoch. Dem Leser bietet sich ein höchst widersprüchliches Bild, das es nicht erlaubt, sich auch nur in Ansätzen einen Reim auf die Vorgänge zu machen. Diese Intransparenz, zusammen mit der Tatsache, dass die Cochrane-Analyse ausschließlich auf Informationen des Naftidrofuryl-Herstellers fußt und die Datenbasis überwiegend aus der Ära vor Einführung von Good Clinical Practice stammt, mindert das Vertrauen in das Review beträchtlich.

Eine der beiden neueren Studien mit 182 Patienten verwendet ein nicht standardisiertes Verfahren zur Messung der schmerzfreien Gehstrecke, die von eingangs im Mittel knapp 400 m unter Naftidrofuryl im Vergleich zu Plazebo um 95% verlängert werden soll. Mit 12-monatiger Behandlungsdauer ist sie die längste der sechs Studien. Schwere Störwirkungen treten in dieser Studie unter Naftidrofuryl fast doppelt so häufig auf wie unter Plazebo (21% vs. 12%).6 Erst dem Cochrane-Review lässt sich entnehmen, dass es sich dabei um kardiovaskuläre Ereignisse handelt.4 Die zweite neuere plazebokontrollierte Studie8 ist eine Ein-Zentrumsstudie mit 181 Patienten. In sechs Monaten verlängert sich die schmerzfreie Gehstrecke von eingangs durchschnittlich 190 m unter Naftidrofuryl im Vergleich zu Plazebo um 75%. Es fehlen Angaben zur Verblindung der Randomisierung sowie zur Begleittherapie, insbesondere auch zum begleitenden Gehtraining. 22% der Studienteilnehmer scheiden vorzeitig aus. Eine Nachbeobachtung dieser Patienten auch im Hinblick auf kardiovaskuläre Ereignisse scheint nicht erfolgt zu sein. Auch hier lassen sich schwere Störwirkungen, die in beiden Gruppen gleich häufig auftreten (12% vs. 13%) erst mit Hilfe des Cochrane-Reviews als kardiovaskuläre Ereignisse klassifizieren.

Aufgrund der skizzierten Mängel sehen wir einen Nutzen auch in den beiden neueren Studien nicht als hinreichend belegt an. Die bislang vorliegenden Studien sind zudem insgesamt zu klein und zu mangelhaft, um einen Schaden durch perorales Naftidrofuryl bei pAVK-Patienten ausschließen zu können.

∎  Die Datenbasis zu dem Vasodilatator Naftidrofuryl (DUSODRIL, Generika) in der symptomatischen Behandlung einer Claudicatio intermittens umfasst überwiegend alte, kleine Kurzzeitstudien. Wegen erheblicher Mängel auch in zwei neueren Arbeiten sehen wir einen Nutzen von Naftidrofuryl bei peripherer arterieller Verschlusskrankheit (pAVK) als nicht hinreichend belegt an.

∎  Umfang und Qualität der bisherigen Datenbasis erlauben zudem keine hinreichende Einschätzung der Sicherheit von Naftidrofuryl bei pAVK.

  (R = randomisierte Studie, M = Metaanalyse)
 1Merck Serono: Fachinformation DUSODRIL, Stand Sept. 2009
 2LOWE, G.D.O.: BMJ 1990; 300: 524-8
 3Deutsche Gesellschaft für Angiologie - Gesellschaft für Gefäßmedizin: Diagnostik und Therapie der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK). S3-Leitlinie, Stand Apr. 2009; zu finden über: http://leitlinien.net
M4De BACKER, T.L.M. et. al.: Naftidrofuryl for intermittent claudication. The Cochrane Database of Systematic Reviews, Stand Dez. 2007, Zugriff Mai 2010
 5EMA: Note for Guidance on Clinical Investigation of Medicinal Products for the Treatment of Peripheral Arterial Occlusive Disease, Apr. 2002; http://www.ema.europa.eu/pdfs/human/ewp/071498en.pdf
R6BOCCALON, H. et al.: Ann. Cardiol. Angéiol. 2001; 50: 175-82
R7MAASS, U. et al.: Dtsch. med. Wochenschr. 1984; 109: 745-50
R8KIEFFER, E. et al.: Int. Angiol. 2001; 20: 58-65

© 2010 arznei-telegramm, publiziert am 14. Mai 2010

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