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Korrespondenz

WELCHES KONTRAZEPTIVUM NACH VENÖSER THROMBOEMBOLIE?

In oraler Form ist die hormonale Kontrazeption bei Zustand nach Lungenembolie/tiefer Venenthrombose hochgradig problematisch. Wie ist eine Kontrazeption mit einem Levonorgestrel-haltigen Intrauterinpessar (MIRENA) in dieser Hinsicht einzuschätzen?

Dr. med. H. HECKER (Internist)
D-57489 Drolshagen
Interessenkonflikt: keiner

Kombinierte hormonelle Kontrazeptiva sind bei bestehender oder zurückliegender venöser Thromboembolie (VTE) kontraindiziert. Dies gilt für alle Darreichungsformen, also auch für das Hormonpflaster (EVRA) oder den intravaginalen Ring (NUVARING). Die Fachinformationen von Gestagen-Monopräparaten sind hingegen nicht einheitlich: Bei „bestehender” bzw. „aktiver” VTE sind nur Minipillen mit Levonorgestrel (28 MINI) oder Desogestrel (CERAZETTE, Generika) und das Etonogestrel-Implantat IMPLANON NXT ausdrücklich kontraindiziert, nicht aber das Levonorgestrel-haltige Intrauterinpessar (IUP) MIRENA. Bei venösen thromboembolischen Erkrankungen in der Vorgeschichte dürfen alle Gestagen-Monopräparate nach individueller Nutzen-Schaden-Abwägung angewendet werden.1-4

Die Datenlage zum Thromboembolierisiko rein gestagenhaltiger Kontrazeptiva ist nach wie vor dünn (vgl. a-t 2010; 41: 98-9): Eine 2012 publizierte Metaanalyse epidemiologischer Studien, in der 147 Frauen erfasst werden, die unter einem Gestagenpräparat eine VTE erlitten haben, findet keine erhöhte Gefährdung gegenüber Nichtanwendung der Hormone (relatives Risiko [RR] 1,03; 95% Konfidenzintervall [CI] 0,76-1,39).5 In Subgruppenanalysen wird allerdings für die vergleichsweise hoch dosierten injizierbaren Gestagen-Depotpräparate, beispielsweise mit Medroxyprogesteronazetat (DEPO-CLINOVIR), eine signifikante Risikosteigerung errechnet (RR 2,67; 95% CI 1,29-5,53), nicht aber für Minipillen (RR 0,90) oder das Levonorgestrel-IUP (RR 0,61). Aussagen zu einzelnen per os eingenommenen Gestagenen sind wegen der Vielzahl der angewendeten Abkömmlinge und der kleinen Fallzahlen nicht möglich.5

Die Daten zum Levonorgestrel-IUP basieren fast ausschließlich auf einer einzigen Untersuchung einer dänischen Arbeitsgruppe, die in der Vergangenheit bereits wesentliche Daten zum Thromboembolierisiko neuerer kombinierter hormoneller Kontrazeptiva beigesteuert hat (a-t 2012; 43: 63-4 und 2011; 42: 109).6 Die Autoren haben inzwischen auch erstmals Daten zum subkutanen Etonogestrel-Implantat veröffentlicht, für das auf Grundlage von fünf bestätigten VTE ein numerisch erhöhtes Risiko gegenüber Nichtanwendung von Hormonen errechnet wird (RR 1,40; 95% CI 0,58-3,38; 29.497 Anwendungsjahre).7

Die WHO hat in einer Leitlinie eine Vielzahl hormoneller und nichthormoneller Verhütungsmethoden in Abhängigkeit individueller Charakteristika (z.B. Alter, Zahl der Geburten) und vorbestehender Erkrankungen bewertet.8* Den höchsten Empfehlungsgrad (Kategorie 1*) bei akuter wie auch bei zurückliegender VTE erhalten demnach nichthormonelle Kontrazeptiva wie Kupfer-IUP oder Kondom. Alle Gestagen-Zubereitungen werden bei VTE in der Vorgeschichte mit Einschränkung (Kategorie 2) empfohlen, auch bei bestehender Therapie mit Antikoagulanzien. Im Akutstadium sollen sie jedoch eher nicht angewendet werden (Kategorie 3).8 Die Empfehlungen wurden von britischen9 und US-amerikanischen10 Leitlinien weitgehend übernommen. In den USA werden reine Gestagenpräparate bei akuter VTE aber etwas besser bewertet (Kategorie 2).10

Nutzen und Risiken der Gestagen-Kontrazeptiva sind bei Frauen, die Antikoagulanzien anwenden, allerdings noch weniger untersucht. Theoretisch könnten Gestagene die unter der Therapie oft auftretenden verstärkten und verlängerten Regelblutungen abschwächen. Das Levonorgestrel-IUP ist auch zur Behandlung der Hypermenorrhö zugelassen.4 Gestagene rufen aber häufig selbst Blutungsunregelmäßigkeiten hervor. Das Legen eines IUP könnte zudem Blutungskomplikationen verursachen. Auch wird ein erhöhtes Risiko einer Ausstoßung aufgrund der starken Regelblutung befürchtet.11 Während nach Einschätzung der WHO und der US-amerikanischen Leitlinie das Legen der Hormonspirale das Blutungsrisiko antikoagulierter Frauen nach begrenzten Daten nicht erhöht,8,10 wird in Großbritannien empfohlen, ein Verschieben der Einlage eines IUP (mit und ohne Hormon) bis zum Absetzen der Antikoagulanzien zu erwägen.9

In einer randomisierten Studie mit 40 Frauen, die nach Herzklappenersatz Antikoagulanzien einnehmen und darunter an Menorrhagie leiden, verringert sich die Blutungsstärke nach Einlage des Levonorgestrel-IUP deutlich. Probleme beim Legen werden nicht erwähnt.12 In einer kleinen Fallserie mit 17 Frauen, die nach venöser oder arterieller Thrombose unter Warfarin (COUMADIN) eine Menorrhagie entwickelt haben, werden hingegen bei fünf (29%) Frauen nicht näher bezeichnete Komplikationen beim Legen der Hormonspirale beschrieben. Zwei Frauen stoßen das IUP aus.13 Bei Frauen mit Menorrhagie, die nicht im Zusammenhang mit der Einnahme von Antikoagulanzien steht, misslingt die Einlage des Gestagen-freisetzenden IUP in einer randomisierten Studie bei acht (3%) von 285 Frauen.14

∎  Bei Zustand nach venöser Thromboembolie (VTE) kommen neben nichthormonellen Verhütungsmitteln wie einem Kupfer-Intrauterinpessar (IUP) auch reine Gestagen-Pillen (Minipille) und die Levonorgestrelspirale MIRENA in Betracht, die das VTE-Risiko nach bisherigem Kenntnisstand nicht erhöhen.

∎  Solange Frauen Antikoagulanzien einnehmen, ist wegen möglicher Blutungsrisiken das Aufschieben der Einlage eines IUP (mit und ohne Hormon) zu erwägen.

  (R =randomisierte Studie, M = Metaanalyse)
1 Jenapharm: Fachinformation 28 MINI, Stand März 2011
2 MSD: Fachinformation CERAZETTE, Stand Juli 2013
3 MSD: Fachinformation IMPLANON NXT, Stand Juli 2012
4 Bayer: Fachinformation MIRENA, Stand März 2011
M  5 MANTHA, S. et al.: BMJ 2012; 345: e4944 (10 Seiten)
6 LIDEGAARD, Ø. et al.: BMJ 2011; 343: d6423 (15 Seiten)
7 LIDEGAARD, Ø. et al.: BMJ 2012; 344: e2990 (9 Seiten)
8 WHO: Medical eligibility criteria for contraceptive use, Stand 2010 http://whqlibdoc.who.int/publications/2010/9789241563888_eng.pdf
9 Faculty of Sexual and Reproductive Healthcare: UK medical eligibility criteria for contraceptive use 2009; http://www.fsrh.org/pdfs/UKMEC2009.pdf
10 Centers for Disease Control and Prevention (CDC): MMWR 2010; 59: (RR-4): 1-88; http://www.cdc.gov/mmwr/pdf/rr/rr5904.pdf
11 CULWELL, K.R. et al.: Contraception 2009; 80: 337-45
R  12 KILIC, S. et al.: Contraception 2009; 80: 152-7
13 PISONI, C.N. et al.: Lupus 2006; 15: 877-80
R  14 GUPTA, J. et al.: N. Engl. J. Med. 2013; 368: 128-37
* Die WHO unterscheidet vier Kategorien: 1 = Methode uneingeschränkt empfohlen, 2 = Methode im Allgemeinen empfohlen, 3 = Methode eher nicht empfohlen, außer geeignetere Verhütungsmethoden sind nicht erhältlich oder werden nicht akzeptiert, 4 = Methode nicht verwenden.8

© 2013 arznei-telegramm, publiziert am 13. September 2013

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