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Neu auf dem Markt

IM ZWEITEN ANLAUF:ZOSTERIMPFSTOFF ZOSTAVAX

Seit September 2013 soll der Varizella-zoster-Impfstoff ZOSTAVAX verfügbar sein. Nach Markteinführung 2009 konnte Sanofi Pasteur MSD den abgeschwächten Lebendimpfstoff gegen Gürtelrose nur vereinzelt an Apotheken und Großhändler ausliefern.1 Nach Auskunft der Firma stand für eine kontinuierliche Marktbelieferung nicht genügend Ausgangsmaterial zur Verfügung (a-t 2011; 42: 93-5). Nun soll ausreichend Impfstoff lieferbar sein, "um den Bedarf in der derzeitigen Empfehlungs- und Erstattungssituation bedienen zu können."2 Eine Stellungnahme seitens der Ständigen Impfkommission (STIKO) fehlt bislang.

ZOSTAVAX ist als Einmalimpfung zugelassen zur Prävention von Herpes zoster und postherpetischer Neuralgie bei Personen ab 50 Jahren.3 2009 fehlten Wirksamkeitsdaten für die Gruppe der 50- bis 59-Jährigen. Bei Personen ab 60 Jahren senkt die Vakzine innerhalb von drei Jahren in der für die Zulassung maßgeblichen Shingles Prevention Study (SPS)4 die Häufigkeit eines Herpes zoster von 3,3% auf 1,6% und die Rate postherpetischer Neuralgien von 0,42% auf 0,14% gegenüber Plazebo (a-t 2009; 40: 96-7).

NEUE DATEN ZUR WIRKSAMKEIT: Für 50- bis 59-Jährige liegt nun die doppelblinde randomisierte ZEST-Studie mit 22.439 gesunden Teilnehmern vor. Die Impfung senkt die Herpes-zoster-Inzidenz von 6,6 pro 1.000 Patientenjahre unter Plazebo auf 2 (Relative Risikoreduktion [RRR] 70%; 95% CI 54-81%, s. Tabelle).5 Daten zu postherpetischer Neuralgie, die in dieser Altersgruppe selten ist, fehlen. Um die Dauer der Wirksamkeit beurteilen zu können, ist die mediane Nachbeobachtung von 1,3 Jahren zu kurz.

In der SPS ergab sich bereits während der durchschnittlich 3,1-jährigen Nachbeobachtung der Verdacht auf ein Nachlassen des Impfschutzes. Daten der Long-term-Persistence Substudy erhärten dies. Von den mehr als 19.000 mit ZOSTAVAX geimpften Teilnehmern der SPS werden hierfür 6.867 nachbeobachtet und mit Daten früherer Plazebo-Empfänger verglichen. Während in der SPS in den ersten Jahren nach Impfung das Auftreten eines Herpes zoster relativ um 51% gesenkt wird, wird die relative Risikoreduktion für Jahr 7 bis 10 nach Impfung auf nur noch auf 21% geschätzt (95% Konfidenzintervall [CI] 11% bis 30%). Für postherpetische Neuralgie reduziert sich die Wirksamkeit von 67% auf 35% (95% CI 9% bis 56%). Für eine erneute Auffrischung ist der Impfstoff derzeit nicht zugelassen,3 Nutzenbelege hierzu fehlen. Nachlassen der Wirksamkeit ist auch für die bei Kindern verwendeten Varizellen-Impfstoffe (VARIVAX u.a.) unter der nicht mehr empfohlenen einmaligen Impfung beschrieben (a-t 2007; 38: 39). Sie basieren auf dem gleichen Impfstamm.

Die Empfehlung der Varizellenimpfung für Kinder könnte sich auf die Häufigkeit eines Herpes zoster im Alter auswirken. Aufgrund der geringeren Wahrscheinlichkeit einer Auffrischung der Immunität durch Kontakt mit Windpocken könnte Herpes zoster häufiger auftreten (vgl. a-t 2002; 33: 125-7). Eine aktuelle Auswertung aus Deutschland spricht für eine kontinuierliche Zunahme hospitalisierter Zostererkrankungen bei Älteren, die allerdings schon vor der Impfempfehlung gegen Varizellen eingesetzt hat.6 Ähnliche Entwicklungen werden für die USA,7 Australien8,9 und Taiwan10 berichtet, sodass der absolute Nutzen der Zostervakzine steigen könnte.

Betrachtet man ZEST und SPS zusammen, wird die Altersabhängigkeit des Nutzens des Zosterimpfstoffs deutlich. Während die Inzidenzen von Gürtelrose und postherpetischer Neuralgie mit dem Alter zunehmen, sinkt die Wirksamkeit des Impfstoffs gegenüber Herpes zoster mit zunehmendem Alter bei Impfung tendenziell (siehe oben, Tabelle). Für die nicht prädefinierte Subgruppe der wenigstens 80-Jährigen mit nur 2.595 Patienten in der SPS scheint der Nutzen zudem weniger sicher. Für sie wird eine relative Risikoreduktion von 18% für Herpes zoster (95% CI -29-48) und 40% für postherpetische Neuralgie (95% CI < 0-67%) errechnet.11

Zu beachten ist ferner, dass der Nutzen einer Impfung nach vorherigem Herpes zoster unklar ist.12 Immunkompetente müssen innerhalb von sechs Jahren in etwa 4% mit einem Rezidiv rechnen.13,14 Bei Immunsupprimierten ist Herpes zoster häufiger als bei Immunkompetenten, der Impfstoff jedoch kontraindiziert.3

NEUE DATEN ZUR SICHERHEIT: Bereits vor der Zulassung 2006 war in einer Sicherheitssubstudie der SPS eine signifikante Zunahme schwerwiegender unerwünschter Effekte in den ersten sechs Wochen nach Impfung im Verumarm aufgefallen (1,9% versus 1,3% unter Plazebo), darunter vermehrte kardiovaskuläre Komplikationen (0,6% vs. 0,4%).15 Deshalb wurde eine weitere randomisierte doppelblinde Sicherheitsstudie mit insgesamt 11.999 mindestens 60 Jahre alten Teilnehmern durchgeführt. In dieser Studie sind schwerwiegende unerwünschte Wirkungen innerhalb von sechs Wochen mit 1,4% vs. 1,1% unter ZOSTAVAX immer noch zumindest numerisch häufiger als unter Plazebo, innerhalb eines halben Jahres sind es 5,7% vs. 5,0%. Kardiale Komplikationen nehmen insgesamt weder in den ersten sechs Wochen (jeweils 0,3%) noch in sechs Monaten zu (jeweils 1,2%). Häufigstes schwerwiegendes unerwünschtes Ereignis innerhalb eines halben Jahres ist Vorhofflimmern mit 0,4% vs. 0,2%.16 Ein mit zunehmendem Alter steigendes Risiko für schwerwiegende Effekte, auf das die SPS-Substudie hindeutet,15 findet sich nicht.16 Bei den 50- bis 59-Jährigen sind in der ZEST-Studie innerhalb von sechs Wochen 0,6% vs. 0,5% von schwerwiegenden unerwünschten Ereignissen betroffen, innerhalb von sechs Monaten 2,1% vs. 1,9%.5

Zwei auf elektronischen Krankenakten basierende Kohortenstudien mit 29.000 und 190.000 Geimpften finden keine Hinweise für ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko.17,18

Eine geringe Zunahme schwerwiegender unerwünschter Ereignisse unter ZOSTAVAX scheint nach den Ergebnissen der randomisierten Sicherheitsstudien sowie der ZEST-Studie möglich, ein eindeutiges Risikosignal für eine bestimmte Störwirkung lässt sich aber nicht ableiten.

KOSTEN: Die einmalige Immunisierung mit ZOSTAVAX kostet 175,35 € (Österreich: 180,75 €). In der Regel muss sie der Patient selbst zahlen. Einzelne Krankenkassen wie die IKK classic19 übernehmen die Kosten, die Barmer GEK20 und die AOK NORDWEST21 allenfalls im Einzelfall, andere AOKen, Techniker Krankenkasse und DAK überhaupt nicht. Einer aktuellen Kosten-Nutzen-Bewertung zufolge wären hierzulande für die Krankenkassen bei Übernahme der Kosten für den Impfstoff zum aktuellen Preis keine Einsparungen durch geringere Therapiekosten zu erwarten.22

∎  Seit September 2013 soll der abgeschwächte Lebendimpfstoff gegen Gürtelrose ZOSTAVAX verfügbar sein, in welchen Mengen, bleibt abzuwarten.

∎  Der absolute Nutzen ist altersabhängig. Hinsichtlich Verhinderung des Herpes zoster errechnet sich der größte Nutzen für die Altersgruppe der 60- bis 69-Jährigen (Inzidenz 3,9 vs. 10,8 pro 1.000 Patientenjahre unter Plazebo). Postherpetische Neuralgie wird bei den mindestens 70-Jährigen am stärksten reduziert (0,7 vs. 2,1 pro 1.000 Patientenjahre). Für 50- bis 59-Jährige ist lediglich eine Verringerung des Herpes zoster belegt.

∎  Bei Impflingen ab 60 Jahren nimmt der Impfschutz gegen Herpes zoster und postherpetische Neuralgie innerhalb von zehn Jahren deutlich ab. Für jüngere fehlen entsprechende Daten.

∎  Schwerwiegende unerwünschte Ereignisse sind in mehreren Studien - zwar überwiegend nur numerisch, aber konsistent - häufiger als unter Plazebo. Ein eindeutiges Risikosignal für eine bestimmte Störwirkung lässt sich nicht ableiten.

∎  Eine Empfehlung der Ständigen Impfkommission fehlt.

∎  Wir halten die Impfung für Patienten mit Impfwunsch nach Aufklärung über den derzeitigen Kenntnisstand für vertretbar.

  (R =randomisierte Studie)
1 Sanofi Pasteur MSD: Schreiben vom 4. Okt. 2011
2 Sanofi Pasteur MSD: Schreiben vom 27. Sept. 2013
3 Sanofi Pasteur MSD: Fachinformation ZOSTAVAX, Stand Febr. 2013
R  4 OXMAN, M.N. et al.: N. Engl. J. Med. 2005; 352: 2271-84
R  5 SCHMADER, K.E. et al.: Clin. Infect. Dis. 2012; 54: 922-8
6 SIEDLER, A. et al.: Bundesgesundheitsbl. 2013; 56: 1313-20
7 LEUNG, J. et al.: Clin. Infect. Dis. 2011; 52: 332-40
8 JARDINE, A. et al.: Epidemiol. Infect. 2011; 139: 658-65
9 CARVILLE, K.S. et al.: Vaccine 2010; 28: 2532-8
10 CHAO, D.Y. et al.: Epidemiol. Infect. 2012; 140: 1131-40
11 Health Care Insurance Board (the Netherlands) et al.: ZOSTAVAX for the prevention of herpes zoster and postherpetic neuralgia, Version 4, Sept. 2013;
http://www.eunethta.eu/sites/5026.fedimbo.belgium.be/ files/Zostavax_main%20report%20including%20appendices_20130922.pdf
12 FDA: ZOSTAVAX (Herpes zoster vaccine) Questions and Answers; Stand Sept. 2013;
http://www.fda.gov/BiologicsBloodVaccines/Vaccines/QuestionsaboutVaccines/ucm070418.htm
13 YAWN, B.P. et al.: Mayo Clin. Proc. 2011; 86: 88-93
14 TSENG, H.F. et al.: J. Infect. Dis. 2012; 206: 190-6
15 Merck & Co.: US-amerikanische Produktinformation ZOSTAVAX, Stand Apr. 2013;
http://www.merck.com/product/usa/pi_circulars/z/zostavax/zostavax_pi2.pdf
R  16 MURRAY, A.V. et al.: Hum. Vaccin. 2011; 7: 1130-6
17 BAXTER, R. et al.: Vaccine 2012; 30: 6636-41
18 TSENG, H.F. et al.: J. Intern. Med. 2012; 271: 510-20
19 IKK Classic: Schreiben vom 21. Okt. 2013
20 Barmer GEK: Schreiben vom 27. Sept. 2013
21 AOK NORDWEST: Schreiben vom 8. Okt. 2013
22 ULTSCH, B. et al.: BMC Health Serv. Res. 2013; 13: 359 (18 Seiten)

© 2013 arznei-telegramm, publiziert am 8. November 2013

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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